Ein Baby im Bundestag macht noch keine Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Die Grüne Hanna Steinmüller hält als erste Abgeordnete eine Rede im Bundestag mit ihrem Baby in der Trage. Ein trügerisches Bild über die Arbeit mit Kind


In ihrer Haushaltsrede tritt Hanna Steinmüller mit ihrem wenige Monate alten Baby ans Pult

Foto: Matthias Gränzdörfer/pictureteam/Imago Images


Die Grünen-Politikerin Hanna Steinmüller hat eine Rede im Bundestag gehalten, während ihr ein paar Monate altes Baby in einer Trage an ihrem Körper schlief. Die Frage, die sich mir als dreifache Mutter beim Anblick davon als Erstes stellt, ist: Muss das wirklich sein?

Denn während es natürlich total legitim ist und möglich sein sollte, als Elternteil sein Kind mit zur Arbeit zu nehmen, wenn man das muss, ist vieles an dem Narrativ, das nun durch die Medien geht, schwierig. Denn Steinmüller wird nun dafür gefeiert, dass sie ihr Kind mit auf die Arbeit nimmt. Dafür, dass sie die Erste war, die mit einem Baby hinters Rednerpult des Bundestags trat. Dass das doch längst überfällig sei.

Und ja, es stimmt, das sollte längst möglich sein. Doch wird damit eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefeiert, die es so in Deutschland weder für breite Teile der Bevölkerung gibt, noch ist sie in dieser Form erstrebenswert. Denn die erste Frage beim Anblick der Abgeordneten, wie sie da eine Rede über bezahlbaren Wohnraum hält, während sie den Kopf ihres Babys hält – vielleicht auch, um die Lautstärke ein wenig abzuschirmen – ist doch: Müssen Frauen tatsächlich arbeiten, während sie ihr kleines Baby an den Körper geschnallt haben? Geht das nicht anders?

Keine Kinderbetreuung für Abgeordnete?

Für Abgeordnete gibt es keine Elternzeitregelung und bei wichtigen Abstimmungen und Debatten müssen sie anwesend sein, das ist nachzuvollziehen. Doch sind wir hier ja immerhin im Deutschen Bundestag. Könnte es in diesen ehrwürdigen Hallen vielleicht auch eine Tagesbetreuung für Kinder unter einem Jahr geben, die es Politiker*innen ermöglicht, ihrem steuerfinanzierten Job in Ruhe und konzentriert nachzugehen, wenn sie Betreuungspflichten für Babys haben? Das sollte doch einzurichten sein.

Nun konnte sich Hanna Steinmüller konzentrieren bei ihrer Rede, sie hat das wunderbar gemeistert. Gut für sie. Nur weiß auch jede, die sich mit Babys auskennt, dass lediglich ein Bruchteil der Säuglinge ein Wesen aufweist, das es einem ermöglicht, neben ihrem Halbschlaf lautstark Reden zu halten, ohne, dass das in einem kompletten Fiasko endet.

In Wahrheit sind Babys nämlich wie das Wetter, man muss nehmen, was man kriegt. Manche Babys sind wie Hanna Steinmüllers Kind. Und manche Babys sind wie eines meiner Kinder, das zum Beispiel in einem Babymassagekurs in Berlin-Mitte, wo alle anderen Babys zufrieden und ölig vor sich hin glucksten, gezetert und geschrien hat, während ich erst sanft um mein Leben massiert und schließlich das Handtuch geworfen habe.

Hanna Steinmüller muss die Ausnahme bleiben

Es gibt Babys, die schlafen schlecht und schreien viel. Weil das Licht ein bisschen zu hell ist, weil ein Pups quer sitzt oder eine Socke zwickt – wer weiß das schon. Für jedes Baby neben dem man eine Bundestagsrede halten kann, gibt es ein Baby mit dem man sich nicht mal Frühstück machen oder duschen gehen kann. Nur leider wissen das die wenigsten Leute. Viele Eltern denken gar, es wäre ihr Verdienst, wenn sie ein genügsames Baby bekommen.

So schön es also ist, dass Hanna Steinmüller diese Rede möglich war, so sehr sollte man betonen, dass das die Ausnahme bleiben muss. Denn solche Bilder schüren Erwartungen, selbst wenn das nicht die Intention war. Einerseits Erwartungen, die Mütter glauben erfüllen zu müssen. Und andererseits Erwartungen, die Arbeitgeber glauben, erfüllt zu bekommen. Dafür kann natürlich Hanna Steinmüller nichts, sie hat getan, was sie tun musste, wie sie in einem Interview mit der ZEIT später erklärte, war es ein Wochentag, an dem sie ihr Baby betreut, weil da normalerweise keine großen Plenardebatten stattfinden.

Doch solche Bilder prägen die öffentliche Vorstellung davon, wie Mütter zu funktionieren haben. Wie Frauen Beruf und Familie vereinbaren sollten. Doch bedeutet Vereinbarkeit nicht, beides gleichzeitig und zu jeder Zeit alles zu machen, sondern, dass Platz für beides ist, jeweils zu seiner Zeit, und dass beides den Raum bekommt, den es tatsächlich braucht.

Super Safe Space

Saskia Hödl ist freie Journalistin und Autorin aus Wien. Sie war bis 2022 Leiterin des Ressorts „taz zwei & Medien“. Alle vier Wochen schreibt sie hier die „Super Safe Space“-Kolumne