Im Gespräch | Comedian Jean-Philippe Kindler: „Plötzlich war ich dieser linke wütende Dude“

Darf Klassenkampf auch Spaß machen? Für Jean-Philippe Kindler keine schwere Frage. Doch wo ansetzen? Nach Jahren auf Bühnen sucht er nun mit dem Medienkollektiv Studio Rot neue Wege, um Menschen sichtbar zu machen, die sonst kaum vorkommen. Und dann will er bei den Linken noch lernen, wie man seine Anliegen in die Öffentlichkeit bringt.

der Freitag: Herr Kindler, Sie kennen den Bundestag von Ihrer Arbeit für die Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Wenn man als Satiriker in diesen Räumen unterwegs ist: Worüber lacht man da? Worüber weint man?

Jean-Philippe Kindler: So viel zu lachen gibt es hier eigentlich nicht. Ich fühle mich in diesen Räumen eher unwohl. Einen witzigen Moment gab es aber: Nachdem die FDP aus dem Bundestag geflogen war, bin ich dem ehemaligen Justizminister Marco Buschmann zufällig über den Weg gelaufen. Ein linker Bürokollege herrschte ihn an: „Können Sie mal aus dem Weg gehen, es gibt hier noch Leute, die einen Job zu machen haben.“

Außerhalb des Bundestags war in letzter Zeit nicht immer alles leicht. Gelacht wurde dafür zumindest bei Ihrer Tournee im Frühjahr. Sie hatten aus gesundheitlichen Gründen viele Shows abgesagt. Was war der Moment, als Sie gemerkt hatten, es geht nicht mehr?

Das war ein Tag im Februar. Ich war nach einer Therapiesitzung auf dem Heimweg im Auto – und bin fast in die Leitplanke gefahren. Ich war völlig erschöpft und bin eingeschlafen. Ein Autofahrer hatte mich mit der Hupe gerettet. Zu Hause habe ich dann gemeinsam mit meiner Partnerin gemerkt: Irgendwas muss sich ändern.

Was hatte Sie in diese Situation gebracht?

Ich hatte mich in eine Rolle gedrängt, die ich nie so wollte. Zu Beginn meiner Bühnenshows war mein Ziel, mit Sprache und Humor Empathie zu vermitteln. Mit der Zeit wurde ich zynischer, wollte bestimmten Linken gefallen, mich von anderen Linken abgrenzen. Mit den Themen, über die ich öffentlich sprach, beschäftigte ich mich zugleich immer weniger. Das ständige Sich-positionieren-Wollen, Sich-durchsetzen-Müssen, die Aufmerksamkeitsökonomie, die finanzielle Unsicherheit – all das hat enormen Druck erzeugt. Gleichzeitig gab es private Belastungen.

Welche?

In dieser Zeit starb mein Vater. Das zu verarbeiten, fiel mir schwer. Lange hatte ich das Politische instrumentalisiert, um eigene Gefühle auszulagern. Kritik an meiner politischen Position wurde zu Kritik an meiner Person. Das ist eine gefährliche Mischung.

Trotzdem haben Sie noch die Abschlussshow in Berlin gespielt. Wie haben Sie den Abend erlebt?

Früher dachte ich oft, ein abrupter Wechsel könne eine Lücke füllen – ob beruflich oder privat. In Wahrheit habe ich diese Lücken immer weiter mit mir getragen. Diesmal wollte ich bewusst Abschied nehmen von einer Lebensphase. In Berlin habe ich dann wirklich alles gegeben, um bei mir selbst nicht das Gefühl eines Abbruchs zu hinterlassen. Am Ende war ich extrem emotional – und gerade deshalb hatte ich sehr viel Spaß.

Wenn Sie zurückblicken – welche Phasen Ihrer Bühnenkarriere haben Sie besonders geprägt?

Die Poetry-Slam-Phase. Ich war 18, schrieb private Texte, bis mich eine Freundin zu einem Slam in einem Eiscafé in Bochum mitnahm. Mein Text war Müll, aber kam von Herzen – und das Publikum hatte mich nicht komplett abgestraft. Von da an sprach ich öfter auf Bühnen. Das war toll – ich konnte mich ausprobieren und spürte das kollektive Empfinden der Menschen im Raum, auch die linken Triggerthemen. Später kam eine Agentur dazu. Aus dem Spiel wurde das System: Erwartungen bedienen, Marketing, erfolgreich sein.

Als Linker hat man oft den Reflex, sofort ein wütendes Statement zu geben und die „richtige“ Haltung zu signalisieren

Breiter bekannt wurden Sie dann aber vor allem über Videos auf Social Media. Wie kam das?

Während Corona wollte ich eigentlich schon aufhören – die Shows waren oft leer. Dann nahm ich mithilfe meines Freundes und Kollegen Abdul Kader Chahin im Garten spontan ein Video mit Sonnenbrille auf, in dem ich den Zeitgeist kritisierte. Plötzlich war ich dieser linke wütende Dude im Internet, der zu allem eine Meinung hat. Rückblickend sehe ich, wie urteilend ich damals war. Mit manchem hatte ich mich dabei überhaupt nicht tief auseinandergesetzt. Ich hatte aus mir selbst eine öffentliche Figur gemacht, die pauschal kommentiert und erklärt – privat war ich dabei weitaus unsicherer und verletzlicher. Das war auch mir selbst gegenüber unwürdig. Für manches schäme ich mich heute.

Das klingt, als hätten Sie Ihre Wut damals vor allem öffentlich inszeniert. Hat sich das verändert?

Als Linker hat man oft den Reflex, sofort ein wütendes Statement zu geben und die „richtige“ Haltung zu signalisieren. Für mich war das lange ein Ersatz für Traurigkeit. Beim Blick auf die Welt bleibt diese Traurigkeit aber unausweichlich: Egal, wohin man schaut – der Wert des Lebens ist nicht universell gültig. Erschreckend ist etwa, mit welcher Leichtherzigkeit Friedrich Merz die israelischen Angriffe auf den Iran als „Drecksarbeit“ abtut. Oder wie ein Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen in deutschen Talkshows als notwendiger Kollateralschaden hingestellt wird. Und diejenigen, die den Mut hatten, das frühzeitig klar zu benennen, ich gehörte nicht zu ihnen, wurden dafür massiv bestraft. Ich glaube, dass viele Menschen nicht nur wütend, sondern auch traurig sind, wenn sie in die Welt schauen. Traurigkeit gilt oft als etwas, das Wut bremst – aber ich denke, dass sie im Kollektiv gerade dabei helfen kann, die notwendige Wut über Unrecht hervorzubringen.

Sie sprechen viel von Trauer. Hat das auch mit Ihren persönlichen Erfahrungen zu tun, etwa dem Tod Ihres Vaters?

Mein Vater ist elendig verreckt, weil die Heilung seiner Krankheit nicht lukrativ für das Gesundheitssystem war. Meine Familie hätte ihn nicht so früh verlieren müssen, wäre er richtig behandelt worden. Nichts an seinem Tod war aber besonders. Diese Geschichte ähnelt den Geschichten von Millionen von Menschen. So schrecklich es auch ist, das verbindet. Und jede dieser Geschichten ist erzählenswert.

Die Verknüpfung von privaten und politischen Fragen thematisieren Sie auch in Ihrem Buch „Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf“.

Ich habe mittlerweile Schwierigkeiten, solche großen Wörter wie „Klassenkampf“ in den Mund zu nehmen, ehrlich gesagt. Im Grunde läuft es für mich darauf hinaus: Ich teile Gefühle und Anliegen mit 99 Prozent der Menschen – bis auf das eine Prozent der Reichen und Mächtigen. Das Problem: Letztere sind gar nicht so leicht zu bekämpfen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass aus dieser Ohnmacht heraus der Feind in den eigenen Reihen gesucht wird. Und ich muss eingestehen, dass auch ich lange Zeit Teil genau dieser Dynamik war. Deswegen ist mir heute auch das Wort „Gruppenwirksamkeit“ sehr wichtig.

Was meinen Sie damit?

In den letzten Jahren wurde der Begriff der „Selbstwirksamkeit“ recht erfolgreich vermarktet. Und ja: Es ist wichtig für Menschen, dass sie in ihrem Handeln wirksam sind. Mir ist aber wichtiger geworden, aus einer Gruppe heraus wirksam zu sein. Dafür muss man ein Stück von sich selbst Abstand nehmen und schauen, wo sich das eigene Leben mit dem der anderen ähnelt. Solche Verbindungen aufzubauen, ist Arbeit – und mein Dasein als kommentierender Solokünstler hat mich diesem Ziel kaum nähergebracht, da ging es viel um mich selbst. Es kann nicht immer nur darum gehen, denen gefallen zu wollen, die einem politisch am nächsten sind.

Bei Ihrer Abschlussshow in Berlin war vor allem die linke Szene anwesend. Wie ist das für Sie?

Das ist ein wunder Punkt. Bei meinen Shows waren eher akademisch geprägte Menschen anwesend, das muss ich einfach ehrlich eingestehen. Ich hatte zum Glück aber auch mehrere Veranstaltungen vor Gewerkschafter*innen gemacht, zum Beispiel bei der IG-Metall-Jugend. Ich stand beim Lufthansa-Streik in Hamburg auf der Bühne und war bei Protesten gegen die Schließung einer Real-Supermarktfiliale in Düsseldorf. Acht Leute bei der Kundgebung, es hat geschüttet wie aus Eimern. Das ist natürlich ein Riesenunterschied zu klassischen Shows – für mich waren es die schönsten Auftritte.

Was ist bei der Gewerkschaftsjugend anders?

Bei der Gewerkschaftsjugend habe ich gemerkt, dass viele meiner Anspielungen nicht funktionieren. Die jungen Gewerkschafter*innen sagten mir deutlich: Wir chillen nicht den ganzen Tag im Internet, so wie du. Für mich war das eine heilsame Erfahrung. Also sprach ich mit den Menschen über Arbeitskämpfe und Themen aus dem Alltag, die alle mitbekommen. Irgendwann habe ich dann auch aufgehört, einen auf Akademiker zu machen. Ich war ja nur ein halbes Jahr an der Uni. Dadurch konnte ich letztlich wieder Vertrauen in eine Sprache entwickeln, die zugänglich ist. Das kann ja auch eine Stärke sein.

Aus diesen Begegnungen scheint bei Ihnen ein bestimmtes Politikverständnis entstanden zu sein, bei dem Humor und Klassenkampf zusammengehen. Sind Linke dafür überhaupt lustig genug?

Ich habe mit meiner Arbeit letztlich immer versucht, nicht so bierernst zu sein, sondern linke Themen auf unterhaltsame Art zu verhandeln. Ein paar Leute haben mir gesagt, dass das nicht geht. Ich denke aber schon: Politische Praxis muss verständlich sein und auch Freude machen. In der Realität sehe ich oft Angst – Leuten wird das Gefühl vermittelt, nicht zu genügen. Und dass ihr Linkssein nicht genügt. Das verschreckt viele. Ich bin selbst zweifelndes Mitglied der Linken und hadere immer wieder mit meiner Rolle. Aber diese Haustürgespräche zur Bundestagswahl beispielsweise – die haben Freude gemacht und mich wirklich beeindruckt. Das ist tausendmal wichtiger als alles, was im Bundestag passiert.

Jean-Philippe Kindler, 1996 in Düsseldorf geboren, ist nicht nur Satiriker, sondern auch Slam-Poet, Moderator (etwa beim WDR) und Podcaster. Sein Buch Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf ist 2023 im Rowohlt Verlag erschienen