BSW | BSW: Eine Partei zwischen Weltfrieden und Frauenhaus-Rettung

Bockwurst statt Waffen: Beim BSW in Malchin haben sie einen Vorschlag für den neuen Namen ihrer Partei und den Humor noch nicht verloren. Jeden ersten Mittwochabend des Monats steht hier in der 7.000-Einwohner-Kleinstadt im Nordwesten der Mecklenburger Seenplatte das „Unterstützer- und Mitgliedertreffen“ des BSW an.

Anfang September sitzen 30 Menschen dicht gedrängt um den Tisch im kleinen Parteibüro im Stadtzentrum. Während in der Pause des Treffens die Bockwürste gereicht werden, verrät Gerold Lehmann seinen ernsthaften Favoriten für die Abstimmung über den neuen Namen beim BSW-Bundesparteitag im Dezember: „Bündnis für Solidarität und Weltfrieden“.

In der Partei, die bis dahin noch nach ihrer Gründerin Sahra Wagenknecht heißt, wird von Malchin gern als „Hochburg“ erzählt, als „Herzkammer“. Gerold Lehmann ist dann wohl der Herzschrittmacher. Schon auf dem Weg durch die Stadt gibt es keinen Passanten, der dem 54-Jährigen nicht zuwinkt oder die Hand schüttelt. Auch vor dem Parteibüro begrüßt man ihn freudestrahlend, oft mit Umarmung. Hier hat Lehmann das erste der 20 gerade vom Landesvorstand gelieferten Plakate für die Friedenskundgebung in Berlin am 13. September aufgehängt, „Stoppt den Völkermord in Gaza!“, steht darauf. Auch um die meisten der 19 restlichen Plakate wird er sich kümmern.

In Malchin stellt das BSW neben der AfD die stärkste Fraktion – und arbeitet mit der einzigen Linken-Abgeordneten zusammen

Lehmann, der früher Mitglied der Linken war, arbeitet als Maler bei einer Wohnungsgenossenschaft vor Ort. Bei ihm zu Hause, in seinem Partyraum, haben sie Malchins BSW-Gruppe vor anderthalb Jahren gegründet. Bald darauf sind sie bei den Kommunalwahlen angetreten, obwohl der Parteivorstand um Wagenknecht in Berlin das nicht gern sah und erst einmal alles auf die Europawahl 2024 ausrichten wollte.

Bei der holte das BSW in Mecklenburg-Vorpommern dann 16,4 Prozent, so viel wie in keinem anderen Bundesland. Sogar 23,8 Prozent waren es bei der zeitgleichen Kommunalwahl in Malchin. Seither sind das BSW und die AfD mit jeweils fünf Sitzen die stärksten Fraktionen in der Stadtvertretung, wobei das BSW sogar auf sechs Mitglieder kommt, weil bei ihr die einzige verbliebene Vertreterin der bei der Wahl 2024 abgestürzten Linken mitarbeitet. Gerold Lehmann ist der Fraktionschef.

In Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern liegt das BSW in Umfragen bei nur sechs Prozent

Heute aber sieht die jüngste Umfrage für Mecklenburg-Vorpommern das BSW – ebenso wie in Sachsen-Anhalt – nur noch bei sechs Prozent. Beide Länder wählen im September 2026 neue Landtage. In Berlin, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wo 2026 ebenfalls gewählt wird, liegt das BSW unter fünf Prozent. Viel mehr werden es auch bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 15. September kaum werden.

Folgt der schnellsten und erfolgreichsten Parteigründung der bundesdeutschen Geschichte der rasche Abstieg zur kleinen, ostdeutschen Regionalpartei? „Das wäre eine Katastrophe, damit befasse ich mich gar nicht, denn für mich gibt es zum BSW keine Alternative“, sagt Gerold Lehmann in Malchin, bevor er das Unterstützer- und Mitgliedertreffen eröffnet und an die nächsten Termine erinnert, etwa den Treffpunkt für die gemeinsame Anreise mit dem Zug zur Kundgebung in Berlin am 13. September.

Plakate für die Kundgebung hängen eine knappe Woche nach dem Treffen der Malchiner auch in der Bundespressekonferenz in Berlin, hinter Sahra Wagenknecht, Didi Hallervorden und Massiv. Die BSW-Chefin, der Schauspieler und der Rapper werben für die Kundgebung. Massiv erzählt von seiner Arbeit mit dem Goethe-Institut im Westjordanland und von einem Termin bei seinem Steuerberater kürzlich: Dieser habe seit Beginn des Krieges in Gaza dort 72 Familienangehörige verloren.

Der Name Sahra Wagenknecht fällt in Malchin in zweieinhalb Stunden kein einziges Mal

Wagenknecht spricht von einem breiten und bisher nicht dagewesenen Spektrum an Menschen, die hinter dem Aufruf stünden, die alle der Einsatz für Frieden eine, und sie verteidigt die geplante Videobotschaft des Sängers Roger Waters, dem Kritiker immer wieder Antisemitismus vorwerfen. Hallervorden erzählt, wie er von Medien und Politikern „ordentlich auf die Schnauze bekommen“ habe, als er schon 2024 von einem „Völkermord“ in Gaza sprach. Als der Schauspieler, der sich früher für die FDP engagierte, von einem Journalisten nach seinem Blick auf das BSW gefragt wird, antwortet Hallervorden, er setze auf baldige Neuwahlen und den Einzug der Partei in den Bundestag: „Dann werden wir die Stimme von Sahra Wagenknecht wieder im Bundestag hören, dort gehört sie hin und dort fehlt sie mir.“

Das würden sie beim BSW in Malchin unterschreiben, doch der Name Sahra Wagenknecht fällt während des zweieinhalbstündigen Mitglieder- und Unterstützertreffens in Mecklenburg kein einziges Mal. Als einer fordert, für den Landtagswahlkampf im kommenden Jahr müsse prominentes BSW-Personal nach Mecklenburg-Vorpommern kommen, stimmen ihm zwei andere sogleich zu und machen Vorschläge: „Sevim Dağdelen zum Beispiel!“ Oder „Żaklin Nastić, die finde ich klasse!“

Zwei Politikwissenschaftler fordern in der „FAZ“, was das BSW beantragt hat: Eine Neuauszählung der Bundestagswahl

Die Hoffnung auf baldige Neuwahlen hat indessen neue Nahrung bekommen, seit die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst den Artikel zweier ehemaliger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft veröffentlichte, den Gerold Lehmann jetzt auf seinem Telefon zeigt: „Eine bundesweite Neuauszählung ist angesichts des knappen Ausgangs und vieler Ungereimtheiten nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend geboten“, fordern Eckhard Jesse und Uwe Wagschal darin und kritisieren: „Die Politikwissenschaft und die Rechtswissenschaft verharren in merkwürdigem Schweigen.“

Die Beschwerde des nur um wenige tausend Stimmen am Bundestagseinzug gescheiterten BSW samt Antrag auf Neuauszählung liegt beim zuständigen Wahlprüfungsausschuss des Bundestags. Erst wenn der entschieden hat, kann die Partei im Falle einer Ablehnung vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Doch das ist in Malchin kein großes Thema, hier arbeiten sie unverdrossen am Parteiaufbau, der im Nordosten so weit fortgeschritten ist wie nirgendwo sonst: In allen sechs Landkreisen und beiden kreisfreien Städten Mecklenburg-Vorpommerns gibt es inzwischen einen BSW-Kreisverband, zuletzt hat sich der für die Mecklenburgische Seenplatte gegründet. Dessen Vorstand stellt sich beim Treffen in Malchin am Mittwochabend vor.

Die BSWler wollen die AfD aus der Rolle der Kümmererpartei verdrängen

Da ist etwa Anke Stegemann, 60, die ihre beiden Söhne ohne viel Geld alleine großgezogen hat und von der „Herzenswärme“ schwärmt, die sie hier verspüre, seit sie sich im BSW engagiert. Sie betreibt in einem nahen Dorf einen „Nestwärmehof“, eine Begegnungsstätte für alle Generationen – und spüre, wie der Staat am Sozialen spart, wenn sie etwa eine Veranstaltung für psychisch kranke Menschen organisiert. Oder Guido Adam, 55, der aus Neustrelitz berichtet, dass „die Kümmererpartei jetzt mit A beginnt“. Wenn einer Hilfe bei der Verlängerung seines Behindertenparkausweises benötige, wende er sich heute an die AfD. „Das müssen wir besetzen!“

Oder Robert Koch, 42, mit zwei großen Tunnelscheiben in den Ohrläppchen, der mit seiner Familie schon einmal ein halbes Jahr in einer mongolischen Jurte gelebt hat. Im nahen Neubrandenburg macht er jetzt Kommunalpolitik und gilt als Retter des dortigen Frauenhauses: Die Anlaufstelle für Opfer häuslicher Gewalt war von Schließung bedroht, Koch investierte viele Stunden in die Ausarbeitung eines Antrags für den Kreistag.

Der BSW-Kreisvorsitzende kämpft in Neubrandenburg gegen Femizide

Mit dem Antrag tingelte er erfolgreich alle anderen Fraktionen ab und sorgte so für einen einstimmigen Beschluss, demnach die kommunalen Zuwendungen ausreichend erhöht werden. Seine Rede dazu schloss Koch so: „Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet, 80 Prozent davon von ihrem Partner oder Ex-Partner. Wir dürfen nicht darauf warten, dass eine Frau, die im einzigen Frauenhaus im Landkreis abgewiesen werden muss, vor den Augen ihrer Kinder von ihrem Mann zu Tode geprügelt wird.“

Es gehe eben nicht immer nur um den Weltfrieden, sagt Kochs Mitstreiter Guido Adam, „sondern auch darum, dass das BSW hilft, die Probleme des Alltags zu bewältigen“. An ein solches parteiinternes erinnert Gerold Lehmann noch, bevor sie wieder auseinandergehen: „Wie gewinnen wir die Jugend hier für das BSW?“ Er würde dafür ja gern einfach mal in den Jugendclub gehen. „Da müssen wir erst mal dafür sorgen, dass es hier überhaupt einen Jugendclub gibt.“