Betrug an welcher Tankstelle?

Gegen Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) werden neue Vorwürfe wegen mutmaßlicher Betrugsfälle mit Klimaschutzzertifikaten erhoben. Für verdächtige Klimaschutzprojekte in China haben die Autofahrer an deutschen Tankstellen nach einem Bericht des ZDF-Magazins Frontal womöglich bis zu 1,2 Milliarden Euro gezahlt, ohne dass es an chinesischen Ölförderanlagen zu den zertifizierten Einsparungen von Treibhausgasen kam. Die Berechnungen für den Fernsehbericht, der am Dienstagabend ausgestrahlt wurde, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin geliefert.

In der DIW-Kurzanalyse, die der F.A.Z. vorliegt, heißt es, anhand der bisher vorliegenden Daten sei davon auszugehen, dass Endkunden mit ihren Spritpreisen in den Jahren 2020 bis 2023 insgesamt rund 0,9 bis 1,2 Milliarden Euro für Klimaschutzzertifikate gezahlt hätten, bei denen der Betrugsverdacht bestehe, dass sie zu keinen Emissionsminderungen geführt hätten. Die DIW-Analyse ist jedoch umstritten.

Dirk Messner, der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), sagte der F.A.Z., „für solche Zahlen ist es viel zu früh“. Schon die genannte Größenordnung des vermeintlichen Schadens sei „nicht nachvollziehbar“. Bei einem Teil der insgesamt 45 verdächtigen Projekte in China habe seine Behörde beweisen können, dass diese unrechtmäßig seien. „Bei den anderen gilt wie immer die Unschuldsvermutung, bis die Unrechtmäßigkeit bewiesen ist“, hob der UBA-Präsident hervor. Erst dann könne man Bilanz ziehen. „Alles andere ist rechtsstaatlich unzulässig und unseriös.“

„Kein finanzieller Schaden“ für Verbraucher

Lemke hat die Anrechnung der Zertifikate auf die Klimaschutzverpflichtungen wegen der Vorfälle in China beendet. Gegenüber Frontal sagte die Ministerin, den Verbrauchern sei kein finanzieller Schaden entstanden. Denn die Anrechnung der Zertifikate habe dazu geführt, dass die Mineralölkonzerne ihre Klimaschutzverpflichtungen preisgünstiger erfüllen konnten als das durch die Beimischung von Biokraftstoffen möglich gewesen wäre.

UBA-Präsident Messner ergänzte gegenüber der F.A.Z., „so paradox es klingt, waren unrechtmäßige Projekte letzten Endes an der Tankstelle billiger als valide Projekte, die auch wirklich eine Klimawirkung gehabt hätten“. Sollten die Mineralölkonzerne jedoch verpflichtet werden können, Klimaschutz nachzuholen, „kann es sein, dass die Konzerne diese Kosten auf die Spritpreise umlegen“. Einen Schaden habe jedenfalls das Klima erlitten, sollten sich die Betrugsvorwürfe bewahrheiten, ergänzte er. Nach Mitteilung des Ministeriums wurden durch die Klimaschutzauflagen für die Mineralölunternehmen seit 2015 geschätzte 127 Millionen Tonnen CO2 bei Kraftstoffen eingespart. Die Zertifikate aus ausländischen Klimaschutzprojekten trügen mit rund fünf Prozent zu dieser Gesamtmenge bei.

Auch Rechtsanwalt Stefan Altenschmidt kritisierte gegenüber der F.A.Z. die Berechnungen des DIW zu dem vermeintlichen Milliardenschaden an der Tankstelle als „nicht seriös“. Tatsächlich könne man kaum bestimmen, mit welchen Kostenanteilen der Verbraucher an der Tankstelle Klimaschutzprojekte in China mitfinanziert habe. Grund dafür seien „die sehr dynamischen Preisbildungsprozesse an den Tankstellen“, wie ein Vertreter der Mineralölindustrie vor Kurzem bei einer Anhörung im Bundestag erläutert habe. Altenschmidt war auf Vorschlag der FDP zu der Anhörung geladen worden.

Der Rechtsanwalt vertritt eines von drei deutschen Prüfunternehmen, die das UBA wegen des Verdachts auf „Konstruktion und Handel mit Schattenprojekten“ ins Visier genommen hat. Außerdem ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges. Die Ermittlungen richten sich gegen 17 Geschäftsführer beziehungsweise Mitarbeiter von Prüfstellen, die an der Verifizierung der Klimaschutzprojekte beteiligt gewesen sein sollen.