Handelspolitik: EU-Mercosur-Abkommen gen jener Zielgeraden
Das EU-Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten ist auf der Zielgeraden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der neue Handelskommissar Maroš Šefčovič reisten Donnerstag kurzfristig zum Mercosur-Gipfel in die Hauptstadt von Uruguay, Montevideo. „Gelandet in Lateinamerika“, teilte von der Leyen am Mittag über den Nachrichtendienst „X“ mit. „Die Ziellinie für das EU-Mercosur-Abkommen ist in Sichtweite, lass Sie sie uns überqueren“, hieß es weiter. „Wir haben die Chance, einen Markt mit 700 Millionen Menschen zu schaffen, das größte Handels- und Investitionsabkommen, das die Welt je gesehen hat.“
Von der Leyen will an diesem Freitag am Gipfel der fünf Mercosur-Staaten Argentinien, Bolivien, Brasilien, Paraguay und Uruguay teilnehmen. In diesem Rahmen soll das Abkommen von beiden Seiten initialisiert werden. Die Verhandlungen auf oberster politischer Ebene liefen aber noch, teilte die Kommission mit. Sie würden auch nicht vor Freitag abgeschlossen werden. Alles andere als ein erfolgreicher Abschluss wäre jedoch eine Überraschung. Von der Leyen werde nur nach Montevideo reisen, wenn sie sicher sein könne, „mit etwas zurückkommen“, hieß es in den vergangenen Tagen einhellig in der Kommission. Die Europäische Kommission hat den Abschluss am 6. Dezember auf dem Mercosur-Gipfel von langer Hand vorbereitet. Ihr geht es auch darum, nach der abermaligen Wahl des Republikaners Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten ein Zeichen für freien Handel und offene Märkte zu setzen. Dennoch war bis zuletzt unklar, ob dies gelingen wird. Am Montag noch hatte die Kommission betont, von der Leyen habe „aktuell“ keine Reisepläne nach Südamerika. Die Entscheidung, nach Montevideo zu reisen, sei erst am Mittwochabend gefallen, sagten mit dem Ablauf Vertraute der F.A.Z.
Das lange Zögern hat politische Gründe. Frankreich ist strikt gegen das Abkommen, um seine Bauern zu schützen. Der Vertrag sieht einen Anstieg der Einfuhr von Rindfleisch, Geflügel und Zucker vor. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte in den vergangenen Wochen versucht, in Gesprächen in Südamerika wie innerhalb der EU eine Allianz gegen Mercosur zu schmieden. In der vergangenen Woche hatte sich auch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk gegen Mercosur gestellt. Zu den Gegner zählen zudem Österreich und die Niederlande. Ihnen allen geht es vorrangig um den Schutz der Landwirte von der Konkurrenz aus Südamerika.
Schwäche von Macron genutzt
Um Details ging es in den vergangenen Tagen nicht mehr. Auf technischer Ebene sind die Gespräche abgeschlossen. Das Kernabkommen steht ohnehin schon seit 2019. Verhandelt wird um ein auf Drängen der EU ausgehandeltes Zusatzprotokoll, in dem sie ursprünglich nur einen besseren Schutz des Regenwalds festschreiben wollte. Die Mercosur-Staaten hatten daraufhin Gegenforderungen gestellt. Die Details des nun vereinbarten Protokolls blieben am Donnerstag unbekannt. Zuletzt sei es noch darum gegangen, wie Paraguay entlastet werden kann: 70 Prozent von dessen Ausfuhr fällt unter die umstrittene EU-Entwaldungsverordnung.
Am Ende habe von der Leyen sich offenbar entschieden, die aktuelle Schwäche des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu nutzen, um Fakten zu schaffen, heißt es in Brüssel. Die Regierung unter Ministerpräsident Michel Barnier war am Mittwochabend gestürzt. Ein Sprecher der EU-Kommission spielte die Bedeutung des französischen Widerstands herunter. „Die Kommission habe die alleinige Kompetenz, Handelsgespräche zu führen“, sagte er. Das geschehe auf Basis des von allen Mitgliedstaaten einstimmig erteilten Mandats.
Gewinner deutsche Autoindustrie
Dem Vernehmen nach hat von der Leyen in den vergangenen Tagen auch Gespräche mit Macron, Tusk und anderen über das Handelsabkommen geführt. Über Inhalte oder eventuelle Absprachen und Gegengeschäfte wurde zunächst nichts bekannt. Es wird aber damit gerechnet, dass sich Tusk nach der Präsidentschaftswahl in Polen im Mai 2025 bewegen und dem Abkommen zustimmen könnte. Für die deutsche Wirtschaft ist das Abkommen von zentraler Bedeutung. Nicht zuletzt die Autobranche dürfte zu den Gewinnern gehören. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte deshalb in den vergangenen Monaten darauf gedrungen, nach einem Vierteljahrhundert Verhandlungen endlich zum Abschluss zu kommen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte von der Leyen am Mittwoch aufgerufen, die Verhandlungen abzuschließen. Dieser Mercosur-Gipfel sei wahrscheinlich die letzte Gelegenheit dafür.
Die Unterzeichnung in Montevideo wäre nur eine politische Einigung. Das Handelsabkommen muss anschließend noch vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat, dem Gremium der EU-Staaten, angenommen werden. Die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente ist nicht nötig. Bis es soweit ist, dürften aber weitere Monate vergehen. Zunächst muss das Abkommen juristisch überprüft werden. Erst wenn beide EU-Institutionen zugestimmt haben, kann das Mercosur-Abkommen in Kraft treten. Frankreich hat also noch Zeit, um eine Blockade zu organisieren. Dafür müssten mindestens vier EU-Staaten dagegen stimmen, die mehr als 35 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.