Koalitionskrise: Aktion Ampelrettung

Der von Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit seinem Wendepapier aufgebaute Druck sorgt für Bewegung in der Ampel-Koalition. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bot kurz nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub an, auf die Milliarden in „seinem“ Klimafonds zu verzichten, die erst einmal nicht benötigt werden, weil der Chiphersteller Intel seinen Fabrikbau in Magdeburg auf Eis gelegt hat.

Habecks Zugeständnis allein wird die Krise der Koalition aber nicht beenden. Lindners Ministerium reagierte schnell – und kühl: „Geld, das wir nicht haben, kann man erst recht nicht ausgeben, wenn ein Vorhaben entfällt.“ In die Berechnung des aktuellen Handlungsbedarfs seien die für Intel vorgesehenen Summen daher gar nicht mehr eingerechnet worden, hieß es dort. Lindners persönlicher Berater, der Ökonom Lars Feld, nannte es im Gespräch mit der F.A.Z. erfreulich, dass Habeck schnell reagiert hat. „Aber das wird nicht reichen.“ Es gehe um eine grundsätzliche Umkehr in der Wirtschaftspolitik, die jetzt nötig sei. Auch im Finanzministerium gibt man sich nicht zufrieden. „Es geht nicht um das Stopfen von Haushaltslöchern, sondern um die Stärkung des Wachstums.“

Trotz aller Differenzen arbeitet die Koalition an Kompromiss, die der schwächelnden Wirtschaft Schwung geben sollen. Das sind die potentiellen Schnittmengen:

Investitionsanreize für Unternehmen setzen

Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Lindner und Habeck sehen einen Handlungsbedarf. Alle drei geben sich nicht mehr mit der im Sommer verabredeten Wachstumsinitiative zufrieden. „Sowohl im SPD-Strategiepapier als auch in Habecks Modernisierungsagenda findet sich der Vorschlag einer Investitionsförderung“ betont der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Darauf sollten sich die drei Koalitionäre doch einigen können, die technische Umsetzung als Superabschreibung oder als Investitionsprämie, sollte kein Hindernis für eine Einigung sein, meint er.

Während der Finanzminister mit einem schnellen Aus für den Rest-Soli und einer Senkung der Körperschaftsteuer einen breiten Entlastungsteppich ausrollen will, will Habeck Unternehmensgewinne und hohe Einkommen nicht pauschal entlasten, um „Mitnahmeeffekte“ zu vermeiden, sondern nur Investoren direkt mit einer Prämie entlasten. Wie könnte da ein Kompromiss aussehen? „Auf verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten kann man sich wahrscheinlich einigen. Besser für den Standort wäre aber eine Senkung der Körperschaftsteuer“, meint Lindner-Berater Feld. Das Problem ist nach seinen Worten: Die Länder müssen steuerlichen Entlastungen zustimmen, damit diese in Kraft treten können, was sie in der Vergangenheit oft nicht getan haben.

Simon Jäger, Habecks persönlicher Wirtschaftsberater, leitet interessanterweise eine ähnliche Kompromisslinie aus den Papieren von Habeck und Lindner ab: „Die Koalition könnte zuerst die Abschreibungsregeln erweitern und so Investitionsanreize setzen und dann mittelfristig die Unternehmenssteuern senken“, sagt der am amerikanischen MIT forschende Ökonom. Die von Habeck befürworteten Investitionsanreize und Prämien wirkten schnell, niedrigere Unternehmenssteuern entlasteten dann langfristig. „Da sollte eine Lösung möglich sein“, so Jäger.

Anreize zur Arbeit erhöhen

Um die Menschen zu mehr Arbeit und Produktivität zu bewegen, will Lindner die tägliche Höchstarbeitszeit streichen und durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen. „Hier zieht er mit Habeck an einem Strang“, sagt Habeck-Berater Jäger. Auch der Grünen-Politiker befürworte Reformen, die weggehen von starren und bürokratischen Regelungen. In der Ausgestaltung unterscheide man sich, so lege Habeck großen Wert auf Maßnahmen, die eine Ausbeutung von Geringverdienern verhinderten, doch die Stoßrichtung sei dieselbe. Auch eine Reform, die für Transferbezieher die Arbeitsanreize erhöht, indem Zuverdienstregeln verändert und Sozialleistungen besser aufeinander abgestimmt werden, hält Jäger für konsensfähig in der Ampel. „Allerdings ist das ein dickes Brett, das geht nicht ohne zusätzliche Kosten oder die Schlechterstellung mancher Betroffenen“, so der Ökonom.

Lindner-Berater Feld sieht daher auf diesem Feld vor allem die SPD am Zug. „Insgesamt müssen die Sozialdemokraten einen größeren Schritt machen als die Grünen. Das Tariftreuegesetz darf so nicht kommen, und wir brauchen flexiblere Arbeitszeitregeln“, sagt Feld der F.A.Z. „Da müsste sich der Arbeitsminister bewegen.“ Die SPD versucht offenkundig den Ball flach zu halten. Nachdem die Bild-Zeitung über eine interne Analyse der Fraktion berichtete, in die mehrere „rote Linien“ genannt worden seien, unter anderem beim Bürgergeld und bei der Rente, spielte die Führung der SPD-Abgeordneten die Sache herunter. Das sei eine interne Analyse auf Mitarbeiter-Ebene, die man sich nicht zu eigen mache. Man sollte sie nicht überbewerten.

Klimapolitik überarbeiten

Um die Kosten der Transformation zu drücken, dringt Lindner darauf, dass Deutschland nicht länger ehrgeiziger sein will als andere Länder. „Die Grünen werden einer Verschiebung des Ziels Klimaneutralität 2045 kaum zustimmen. Das ist zu sehr symbolisch aufgeladen“, meint das langjährige Mitglied des Sachverständigenrats zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Volker Wieland. Nach seiner Einschätzung wird ein solcher Aufschub wahrscheinlich erst mit einer CDU-geführten Regierung kommen. Aber er hofft darauf, dass die Grünen in der Klimapolitik mehr auf die Lenkungswirkung des CO2-Preises setzen und ihre – „viel teurere“ – Subventionspolitik aufgeben können. Habecks „Verzicht“ auf die Intel-Milliarden in seinem Klima- und Transformationsfonds könnte in diese Richtung deuten.

Weniger Bürokratie und schnellere Planung

Weniger Aufwand für Nachweise und Berichtspflichten ist etwas, auf das sich SPD, Grüne und FDP schon öfter verständigt haben. Schwierig wird es erst, wenn es konkret wird. „Eine Schnittmenge aus den Vorschläge in der Koalition ergibt sich einmal aus dem bisher gemeinsam Beschlossenen. Da sticht vor allem der Bürokratieabbau und die Verfahrensbeschleunigung heraus, findet Ökonom Hüther. Das intensiver weiterzutreiben, sollte möglich sein. „Zudem bestehen durchaus inhaltliche Überlappungen in den Vorschlägen“, hebt er hervor. Zur Planungsbeschleunigung sagt Wieland: „Warum schaffen es die Italiener, die Brücke in Genua innerhalb von zwei Jahren wiederaufzubauen, hier dauert aber es ein Vielfaches länger?“ Seine Empfehlung: „Wenn sich die Koalition auf ein Gesetz einigen könnte, mit dem Infrastrukturvorhaben ähnlich schnell umgesetzt werden wie der Bau der Flüssiggasterminal, wäre schon viel erreicht.“

Lieferkettengesetz beseitigen

Der Wirtschaft ist nicht zuletzt das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ein Dorn im Auge. Größere Unternehmen in Deutschland müssen dafür sorgen, dass ihre Lieferanten die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten – überall in der Welt. Wenig später hat die EU eine eigene Lieferketten-Richtlinie beschlossen. Bundeskanzler Scholz sprach zuletzt von seinem Aus für das deutsche Gesetz, Wirtschaftsminister Habeck bemühte in diesem Zusammenhang sogar das Bild der Kettensäge. Zuständig ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). In der FDP ist die Empörung groß, dass Hubertus Heil (SPD) sich lange nicht bewegt hat, obwohl eine Korrektur des deutschen Gesetzes schon im Rahmen der Wachstumsinitiative verabredet worden war. Es sei vereinbart worden, dass Deutschland die EU-Richtlinie noch in dieser Legislaturperiode vorfristig umsetze, teilte Heils Ministerium auf Nachfrage mit. „Das BMAS arbeitet bereits unter Hochdruck an einem Gesetzentwurf, um dieses Ziel zu erreichen.“

Weg zum Gesamtkompromiss

Letztlich müssen alle drei Ampelparteien Opfer bringen, um die Koalition zu retten. IW-Direktor Hüther bringt das auf die Formel: „Eine sinnvolle Re-Europäisierung der Zeitvorgaben des Klimagesetzes auf 2050 fordert die Grünen und SPD heraus, eine vollständige Aufgabe des Rentenpakets II die SPD und die FDP, eine gezielte Nutzung der finanziellen Transaktion (gemäß Schuldenbremse) für verlässlich höhere öffentliche Investitionen über Infrastrukturgesellschaften (wie die Bahn und die Autobahn GmbH) die FDP.“ Mit gutem Willen könnte nach seiner Einschätzung ein Paket geschnürt werden, dass eine Besserung einleiten kann. „Dann muss aber für alle drei Partner gelten: Zuerst das Land.“

Der Haushalt 2025 galt als letzte große Hürde, die die Koalition nehmen muss – bis der Finanzminister sein Wendepapier vorlegte. Nachdem Habeck die frei gewordenen Intel-Milliarden nicht längere für andere Aufgaben beansprucht, sollte es keine große Herausforderung mehr sein, die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses vorzubereiten – wenn nicht Lindner weitere Reformen verlangt hätte, um die Wachstumsblockade zu lösen. Das Bundesfinanzministerium sieht daher nach wie vor Habeck gefordert, sich zu bewegen. Lindners Ideen stießen in Wirtschaft und Wissenschaft auf positive Resonanz. Aus dem Finanzministerium heißt es nun: „Jetzt ist es am Wirtschaftsminister zu sagen, wie er den Standort Deutschland wieder fit machen will.“

Wie der MIT-Ökonom Jäger hervorhebt, sind sich Lindner und Habeck uneins darüber, wie die Investitionsanreize finanziert werden können. „Habeck möchte ein Sondervermögen, also einen Nebenhaushalt, schaffen, Lindner sieht Sparpotential unter anderem beim Bürgergeld.“ Der frühere „Wirtschaftsweisen“ Wieland hält Habecks Weg nicht für gangbar: „Es scheint noch nicht jeder in der Koalition die europäischen Vorgaben zur Verschuldung auf dem Schirm zu haben. Ein Schuldenaufbau an der Schuldenbremse vorbei ist schlicht nicht möglich.“ Neben den erkennbar gewachsenen Animositäten in den Ampel-Parteien und -Fraktionen erschwert das die Kompromisssuche erheblich. Aber niemand hat gesagt, dass es einfach wird. Oder wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) es am Samstag in seinem F.A.Z.-Gstbeitrag formulierte: „Koalitionen sind nicht einfach. Regieren ist nicht einfach. Demokratie ist nicht einfach. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass es gemeinsam gelingt.