4,6 Prozent: Chinas Wirtschaft wächst so langsam wie seit dem Zeitpunkt eineinhalb Jahren nicht
Chinas Wirtschaft ist im dritten Quartal laut offiziellen Zahlen um 4,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen. Das entspricht etwa dem Wert, den Ökonomen vorausgesagt hatten. Es ist jedoch gleichzeitig das niedrigste Wachstum seit anderthalb Jahren. Im laufenden Jahr wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bisher um 4,8 Prozent. Damit ist fraglich, ob die Volksrepublik das von Peking ausgegebene Ziel von rund fünf Prozent Wachstum in diesem Jahr erreichen wird.
Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt befindet sich in einer angespannten Lage. Die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Situation im Land ist deutlich negativer, als es die offiziellen Zahlen vermuten ließen. Ende September hatte die Zentralregierung mit einer Zinssenkung und weiteren Maßnahmen die Hoffnung auf ein großes Konjunkturpaket geweckt, die chinesischen Aktienmärkte schossen nach oben.
Ökonomen hoffen auf ein großes Konjunkturpaket
Seitdem gibt eine Wirtschaftsbehörde nach der anderen Pressekonferenzen. Am Donnerstag hatte der Wohnungsbauminister Ni Hong eine Kreditlinie für unfertige Wohnungen auf 4 Billionen Renminbi verdoppelt, umgerechnet gut 500 Milliarden Euro, und mit weiteren Liberalisierungen versucht, den Wohnungsmarkt zu stabilisieren. Die Reaktion an den Finanzmärkten war zunächst verhalten. Am Freitag deutete Zentralbankchef Pan Gongsheng auf einem Forum in Peking an, dass der Mindestreservesatz für Banken weiter gesenkt werden könnte. Darauf reagierten die Märkte am Freitag positiv. In Hongkong und auf dem Festland lagen die Indizes rund zweieinhalb Prozent im Plus.
Die Bevölkerung, Ökonomen und Anleger hoffen aber weiter auf ein großes Konjunkturpaket. Nach Warnungen aus Peking vor negativen, unpatriotischen Kommentaren zur Wirtschaftslage hatten sich die Wirtschaftswissenschaftler im Festland monatelang zurückgehalten. In den vergangenen Wochen überboten sie sich aber in den Summen, die ein Konjunkturpaket aus ihrer Sicht haben müsste. Der Stimulus solle 10 Billionen Renminbi, umgerechnet 1,3 Billionen Euro, „auf jeden Fall übersteigen“, sagte etwa Liu Shangxi am Freitag der Hongkonger Zeitung „South China Morning Post“. Liu ist Leiter der chinesischen Akademie der Fiskalwissenschaften, die mit dem Finanzministerium affiliiert ist. Caixin, ein Wirtschaftsmedium vom Festland, berichtete Anfang der Woche über Stimulus-Pläne in Höhe von 6 Billlionen Renminbi, knapp 800 Milliarden Euro. Manche anderen Ökonomen lieferten sich in Chinas sozialen Medien Wortgefechte, einzelne Posts wurden zensiert.
Xis Wirtschaftspolitik konzentriert sich auf die Angebotsseite
Zunächst hatte es Hoffnungen gegeben, dass die Staatliche Kommission für Entwicklung und Reform, das oberste Gremium für die Wirtschaftsplanung, oder das Finanzministerium das Konjunkturpaket bekanntgeben könnte. In den Pressekonferenzen Mitte Oktober wurden diese Erwartungen aber enttäuscht. Stattdessen richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses, Chinas de-facto Parlament. Dieses könnte Ende des Monats höhere staatliche Ausgaben beschließen.
Fraglich ist indes, ob es überhaupt ein größeres Paket geben wird. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich an der grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Linie von Präsident Xi Jinping etwas geändert hätte. Diese konzentriert sich auf die Angebotsseite der Wirtschaft und pumpt immer neue Mittel in Industrien, die Peking für zukunftsträchtig hält, die sogenannten „Produktkräfte neuer Qualität“. Die meisten Beobachter sind sich aber einig, dass die Probleme der chinesischen Volkswirtschaft eher auf der Nachfrageseite liegen. Der Konsum der Bevölkerung ist schwach, viele Lokalregierungen müssen sparen, weil die Steuereinnahmen sinken. Der Fokus der bisherigen Maßnahmen lag auf der Stabilisierung der Finanzen der Lokalregierungen und des Immobilienmarktes.