Ein AfD-Verbot löst nicht dasjenige Problem, dasjenige hinter dieser Partei aufscheint
Gegen die AfD werden Brandmauern hochgezogen und Verbotsverfahren angestrengt – doch die Themen der Partei werden gerne übernommen. Das ist ein Fehler und ersetzt nicht die demokratische Auseinandersetzung, die unausweichlich ist
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Die Frage, wie mit der AfD umgegangen werden soll, scheint unbeantwortbar zu werden, weil die Maßstäbe verschwimmen oder gar nicht vorhanden sind. Da schließen sich Bundestagsabgeordnete von der Union bis hin zur Linken zusammen, um jene Partei verbieten zu lassen. Umgekehrt plädiert der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter für eine AfD-Regierung in Thüringen, wenn sich anders nicht verhindern lässt, dass die dortige CDU mit dem BSW koaliert. Steht die Republik kopf, weil ein Alterspräsident im Interesse seiner Partei, der AfD, die Verfassung falsch ausgelegt hat? Das Thüringer Verfassungsgericht hat ihn korrigiert, er hat das auch hingenommen.
Man kann eine Partei nicht verbieten, die in mehreren Bundesländern Wahlen gewinnt. Einzelne Gliederungen wohl. Wer nicht sieht, dass der Landtagsabgeordnete Wilko Möller aus Frankfurt (Oder) auf einem Wahlplakat den Hitlergruß zeigt, muss wirklich blind sein. Aber der AfD im Ganzen kann nur in politischer Auseinandersetzung begegnet werden. Der Grundfehler war, dass man ihre demokratisch gewählten Abgeordneten auszugrenzen versucht hat, wie die Unions-Parteien das schon mit der PDS hielten und heute noch mit der Linkspartei halten. „Brandmauer“ nennt sich das heute. Nein, wo es einen Brand gibt, ist er zu löschen, statt dass man ihn nur abhält, sodass er auf seinem Feld fortwuchern kann. Statt Ausgrenzung muss Auflösung versucht werden.
Der Auflösungs-Versuch würde nicht nur das Ziel haben, Nazis in dieser Partei zu isolieren und aus ihr zu entfernen, so notwendig das auch ist. Ihr Beginn wäre, anzuerkennen, dass es die AfD nicht gäbe, repräsentierte sie nicht ein wirkliches Problem. Und ja, es ist ein Problem der Demokratie. Demokratie ist weder bloß Mehrheitswille noch Mehrheit plus Republik, sondern, nach der klassischen Einsicht der Verfassungsväter der USA, der Zustand einer Gesellschaft, die über Mehrheit und Minderheit hinweg einen Grundkonsens teilt. Nur wenn das der Fall ist, braucht keine Minderheit zu fürchten, von der Mehrheit terrorisiert zu werden, was mit Demokratie unvereinbar ist. Wohl aber gehört zur Demokratie, und das geschieht gerade, nicht nur in Deutschland, dass man über den Grundkonsens streitet, weil neue Umstände eingetreten sind, über die sich eine Bürger:innenschaft nicht gleich einig wird. Die neuen Umstände sind die Globalisierung des Kapitals und in ihrer Folge die Migration.
Multikulturalismus statt Ausgrenzung
Die Umstände führen nicht zum Ende der Nation, und das heißt auch: ihrer Grenzen, verändern sie aber gewaltig. Eine Nation im 21. Jahrhundert besteht zum Teil aus Menschen mit Migrationshintergrund. In der deutschen Nation wird das mehrheitlich anerkannt und begrüßt. Das heißt, die Mehrheit will diesen neuen Zustand in den Grundkonsens aufnehmen. Viele AfD-Wählerinnen wollen ihn aber nicht wahrhaben – noch nicht – und ihr Partei-Establishment schürt fremdenfeindliche Stimmungen.
Das ist eine demokratische Auseinandersetzung, die geführt werden muss. Sie wird bislang nicht gut geführt. Müsste es nicht eine Kampagne zum Lob der Multikultur geben, in direkter Diskussion mit der AfD, statt in deren Ausgrenzung? Heute geschieht das Gegenteil: Man tut so, als würden einzelne Messerstecher die Menschen mit Migrationshintergrund repräsentieren. Selbst vom BSW, das bis in seine Führung hinein aus solchen Menschen besteht, sind nur migrationskritische Töne zu hören. Man versucht also gar nicht, die AfD-Wählerschaft zu verändern, und tut ihr damit auch unrecht. Das ist grundfalsch.