Nach welcher Bionade

Litschi, Holunder, Ingwer-Orange. Das waren die Geschmacksrichtungen, mit denen Peter Kowalsky seinen größten Erfolg gefeiert hat. So lustig wie damals, mit dem raketenhaften Aufstieg von Bionade zum Kultgetränk einer halben Generation, wird es diesmal nicht. Das lässt sich schon an den Zutaten ablesen, die in Kowalskys neuem Wundertrunk stecken. Die Liste ist anspruchsvoll. Kurkuma, Ginseng und das Ko-Enzym Q10 stehen drauf, außerdem Chaga, Glutathion, Pantothensäure und allerlei mehr. Keine gut gelaunte Bio-Limonade wird daraus hergestellt, wie es bei der Bionade der Fall war, die Kowalsky und sein Familienunternehmen zur „Volksbrause“ machen und millionenfach ins Ausland verkaufen wollten. Sondern eine Tinktur zur Stärkung der Körperzellen, ein Nahrungsergänzungsmittel in apothekenmäßig braunen 100-Milliliter-Fläschchen.

Inju heißt der Stoff, der Literpreis liegt bei 100 Euro, und massenkompatibel geht garantiert anders. Aber so eine rasante Geschichte wie die Bionade-Story, von ganz unten nach ganz oben und wieder zurück in nicht viel mehr als zehn Jahren, kann es ja sowieso nur einmal geben in einem Unternehmerleben.

Für den zweiten Anlauf, das war also klar, musste sich Peter Kowalsky etwas Neues ausdenken. Die Bionade hat ihn, den rotgelockten sommersprossigen Braumeister aus der fränkischen Rhön, zumindest in Deutschland für eine Weile weltberühmt gemacht. Aber ganz so glänzend und ohne Kratzer, wie es nach außen schien, ging es damals in Wahrheit doch nicht aufwärts. Der weithin bejubelte Triumph, der reihenweise Wirtschaftspreise und Galaauftritte brachte, war vielmehr mit unternehmerischen Entscheidungen erkauft, die schon den darauf folgenden Abstieg der Bionade vom Kultobjekt zum Allerweltsgetränk und den widerwilligen Ausstieg der Familie einleiteten.

Eine Kampagne fürs Lehrbuch

Es gab für Peter Kowalsky die eine oder andere bittere Lektion zu lernen. Die Frage ist, ob er im zweiten Anlauf noch einmal richtig machen kann, was damals richtig war, ohne die Fehler von damals zu wiederholen. Aus Schaden klug zu werden, nehmen sich viele vor. Es gelingt nur längst nicht jedem.

Hinter den sieben Bergen ging es einst los, in Ostheim vor der Rhön, einem 3500-Einwohner-Städtchen. Kowalskys Mutter hatte die Brauerei der Familie dort geerbt. Dass deren Zukunft nicht golden war, ließ sich schon vor vierzig Jahren ohne großes Risiko vorhersagen. Der Bierabsatz ging zurück, die Brauereikonzerne machten sich breit. Eine zündende Idee musste her.

Ostheim vor der Rhön anno 2008: Peter Kowalsky (rechts) mit seinem Bruder Stephan und seiner Mutter Sigrid Peter-Leipold.
Ostheim vor der Rhön anno 2008: Peter Kowalsky (rechts) mit seinem Bruder Stephan und seiner Mutter Sigrid Peter-Leipold.Wolfgang Eilmes

Der zweite Mann der Mutter, Peter Kowalskys Stiefvater, hatte einen Einfall, den viele erst einmal für schräg hielten. Anstatt eine Limonade aus Wasser, Zucker und Geschmacksträgern zusammenzurühren, wollte er eine Limo brauen. Schließlich war er Braumeister. Er experimentierte in Wohn- und Badezimmer so lange mit Malz und Bakterienstämmen, bis er 1994 seine erste Bionade abfüllen konnte.

Groß machten die Sache dann die beiden Söhne, Peter und sein jüngerer Bruder Stephan, der dritte Braumeister im Bunde. Stephan kümmerte sich um Technik und Produktion, Peter um Marketing und Vertrieb. Ihm gelang ein lehrbuchreifes Kunststück: Er brachte die Litschi- und Holunderbrause aus der Rhön „undercover“ Anfang der 2000er-Jahre in ein paar Kneipen im hippen Hamburger Schanzenviertel. Die Reklame war, dass es keine Reklame gab. Die Mundpropaganda genügte, die Nachfrage stieg phänomenal. Guerilla-Marketing par excellence, erst viel später verstärkt mit einer frechen Werbekampagne, die Bionade als „das offizielle Getränk einer besseren Welt“ anpries.

Das entsprach offenkundig dem etwas groben Weltbild vieler wohlmeinender Kunden, die das gute Gegenmodell zu den Zuckerbrausen aus den bösen Großkonzernen suchten. 2005 wurden 20 Millionen Flaschen abgefüllt, 2007 waren es 250 Millionen. Als die Deutschland-Chefin von Coca-Cola in einem Interview allen Ernstes sagte, sie habe keine Angst vor Bionade, wusste jeder, was die Stunde geschlagen hatte.

Aus der Rhön in den Berliner Hinterhof

Heute empfängt Peter Kowalsky im Hinterhof eines Wohn- und Geschäftshauses im Berliner Nordosten, in einer Art großem Schuppen, den er dort als Fertigungsstätte für Inju gemietet hat. Er ist hergeradelt, obwohl es schüttet an diesem Tag, ein Auto hat er nicht mehr. Ein Mischgerät und zwei Rotationsverdampfer stehen in dem Schuppen, ein 60-Liter-Topf auf einer Herdplatte, einige milligrammgenaue Waagen und eine kleine Abfüllmaschine; Apparate wie in einer Großküche oder einer Apotheke. Eine Handvoll Mitarbeiter ziehen Proben, etikettieren Flaschen. In der Luft liegt der warme Duft von Tonkabohnen. Die konzentrierte Zellgesundheitsförderung allein, räumt Kowalsky ein, schmecke nicht umwerfend; das Aroma der Bohne soll nachhelfen, auch Blaubeere, Guave und Aronia werden dafür genutzt.

Es sind entscheidende Wochen für die neue Firma des Bionade-Helden. Diesen Winter, sagt Kowalsky, könnte es so weit sein. Der erste Monat ohne Defizit, der „Turnaround“ liege zum Greifen nah.

Demnächst soll es auch einen Inju-Trunk speziell für Schwangere und junge Mütter geben.
Demnächst soll es auch einen Inju-Trunk speziell für Schwangere und junge Mütter geben.Julia Zimmermann

Die Zeit ist günstig, einerseits. Während der Limonadenabsatz in Deutschland seit Jahren stagniert, steigt der mit Nahrungsergänzungsmitteln erzielte Umsatz erklecklich an. Der Gedanke, mit der richtigen Ernährung nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Leistungsfähigkeit zu fördern, erfreut sich gerade im zahlungskräftigeren Teil der Bevölkerung zunehmender Beliebtheit. Andererseits tummeln sich auch schon ziemlich viele andere Anbieter auf diesem Feld, die zum Teil das Blaue vom Himmel versprechen. Kowalsky will sich mit einer ärztlich begleiteten, von der Ethikkommission genehmigten Studie von ihnen absetzen. 40 Probanden sollen teilnehmen. Das ist wenig, wenn man es mit dem Anspruch an Arzneimittel vergleicht, aber mehr, als die meisten seiner Wettbewerber für nötig halten.

Was Kowalsky schon geschafft hat: Die Inju-Fläschchen stehen seit ein paar Monaten in den Regalen von einigen Hundert Reformhäusern, und seit Kurzem gibt es das Zelltonikum auch im Onlineshop der Drogeriemarktkette dm. Außerdem entwickelt er mit Partnern weitere Produkte: einen Trunk gegen Regelbeschwerden zusammen mit dem Öko-Kondom-Hersteller Einhorn; eine Mischung speziell für Schwangere und junge Mütter zusammen mit einer Berliner Hebamme.

Ein Jahrzehnt mit Ginseng und Kurkuma

So könnte es gelingen, das Comeback. Lang genug gedauert hat es. Kowalsky ist dafür aus der beschaulichen Provinz ins wuselige Berlin gezogen. Er hat Start-ups beraten und Vorträge gehalten, über Marketing, Produktentwicklung, Unternehmenskultur. Er hat ein zweites Mal geheiratet und ist mit über 50 Jahren ein zweites Mal Vater geworden. Er hat sich von seinem Gründungspartner getrennt, einem umtriebigen Unternehmer aus der Sport- und Fitness-Szene, er hat das ursprüngliche Vertriebskonzept über den Haufen geworfen und seine Frau als Ko-Geschäftsführerin an Bord geholt. Er tüftelt nun schon fast ein Jahrzehnt lang an diesem neuen Getränk, auf das ihn nach seiner Darstellung ein Schweizer Apotheker gebracht hat, „unser Chefdruide“, wie er sagt, und das mit seiner Wirkstoffkombination je nach Rezeptur das Immunsystem stärken, Ruhe schenken, Energie spenden oder die Konzentration fördern soll.

„Stark macht uns das, was in uns steckt“, sagt Kowalsky. „Nicht das, was wir von außen dazugeben.“ Das klingt erst einmal, als wolle er das Produktversprechen geradewegs dementieren. Aber nein: Der Trunk wirke eben nicht wie einer jener Proteinshakes, die Fitnessjünger in sich hineinschütteten, sondern indem er die eigenen Kräfte der Körperzellen freisetze. Das sei der Unterschied zwischen schnöder Leistungssteigerung und wahrer Potentialentfaltung. Ein anderer Vergleich: „Manche Manager meditieren morgens, damit sie ihren 14-Stunden-Tag danach aushalten.“ Da gehe es um Leistungssteigerung. „Dabei müsste sie die Meditation doch dazu bringen, dass sie ihren Job aufgeben.“ Das wäre Potentialentfaltung.

Peter Kowalsky mit seiner Frau und Ko-Geschäftsführerin Luise Tremel
Peter Kowalsky mit seiner Frau und Ko-Geschäftsführerin Luise TremelJulia Zimmermann

Ein Talent dafür, mit einfachen Worten und offenem Blick einleuchtende Sachen zu sagen, hatte Peter Kowalsky schon immer. Manche Sätze geraten ihm dabei etwas luftig, abgehoben wirkt das trotzdem nie. Eher wie ein Echo auf das, was er mit Bionade hinter den Kulissen erlebt hat, als der Sog des Wachstums größer wurde und die Mittel der Familie nicht mehr reichten, um finanzielle Altlasten abzutragen, während gleichzeitig in Gabelstapler, Lastwagen und Edelstahltanks investiert werden musste.

Der Anfang vom Ende war, von heute aus und mit seinen Augen gesehen, dass die Kowalsky-Brüder einen Mineralwasserbaron aus der Rhön als Mitgesellschafter an Bord nahmen. Dessen Sicht der Dinge lässt sich nicht mehr erfragen, er ist vor sechs Jahren gestorben. Kowalsky zufolge war er es, der 2009 den Verkauf der Anteilsmehrheit an die Brauereigruppe Radeberger forcierte, die ihrerseits zum milliardenschweren Oetker-Konzern gehört.

Die neuen Eigner setzten auf Masse und pfiffen auf das Markenimage, die nette Alternative zum mächtigen Großunternehmen zu sein. Wettbewerber nutzten die Chance und schnappten sich Marktanteile. Die Brüder machten als Geschäftsführer noch ein paar Jahre gute Miene zum bösen Spiel, ehe sie 2012 im Streit ausstiegen. So nah liegen Triumph und Fiasko beieinander. Oetker reichte Bionade 2018 ohne große Wehmut an die Mineralwasserfirma Hassia aus Bad Vilbel weiter.

Man sei „sehr zufrieden“ mit der jüngsten Geschäftsentwicklung, heißt es von dort nun, immerhin. Den Stammsitz in Ostheim gibt es noch. Knapp 50 Mitarbeiter sind dort laut Hassia mit Herstellung und Abmischung beschäftigt. Alle paar Monate, sagt Kowalsky, komme er dort vorbei, besuche seine Mutter und seinen Bruder, der in der alten Heimat eine kleine Biobrauerei mit Biergarten betreibt. Die raue Rhöner Natur fehle ihm in Berlin; aber auf die persönlichen und wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Großstadt wolle er nicht mehr verzichten. Der jüngere Bruder dagegen hat auf das Hilfsangebot des Älteren verzichtet, seine Biere in der Berliner Craft-Beer-Szene bekannt zu machen. Sein Motto sei heute „global denken, lokal trinken“, lässt er zur Begründung aus Ostheim wissen.

Hat er sich über den Tisch ziehen lassen?

„Ich will als Unternehmer etwas tun, was einen Sinn für alle hat“, sagt Peter Kowalsky in seinem Berliner Hinterhof. „Mir geht es darum, ein Unternehmen aufzubauen, das dabei nicht seinen Geist verliert, sondern echt und wahrhaftig bleibt.“ Was ihm der Verkauf seiner Bionade-Anteile gebracht hat, habe er komplett in diesen zweiten Anlauf gesteckt. Anderthalb Millionen Euro seien es gewesen, vor Steuern. Ein Witz für eine Marke, die vor 20 Jahren jeder gut fand, der in Deutschland jung und hip und lässig sein wollte. Jedenfalls nicht genug für eine Villa, teure Autos, ein Leben in Saus und Braus.

Hat er sich über den Tisch ziehen lassen? „Es war alles legal“, antwortet Kowalsky mit zwölf Jahren Abstand. „Aber gut war es nicht. Wir konnten uns damals schlicht nicht vorstellen, dass Geschäftspartner so miteinander umgehen würden.“

In der Getränkebranche sagen ihm manche nach, er suche die Schuld für das, was damals schiefging, nur bei anderen, sei selbstgerecht und frustriert. So wirkt Peter Kowalsky an diesem Tag in Berlin allerdings nicht. Er hege keinen Groll, beteuert er. Mit etwas Mühe lasse sich dem Lauf der Dinge sogar etwas Positives abgewinnen, sagt er: „Es war vielleicht besser so, um noch mal etwas wirklich Neues anfangen zu können.“ Geschäfte aber wolle er nun nur noch mit Menschen machen, mit denen er auch in seiner Freizeit gerne etwas unternehme. Auf den alten Spruch, dass beim Geld die Freundschaft aufhöre, gebe er nichts mehr.

Wie weit kann man es auf diese Weise bringen als Unternehmer? Normalerweise braucht ein Start-up potente Geldgeber, wenn es sich nach der Produktentwicklung hinaus auf den Markt wagt. Investoren, die übermäßig viel Wachstum und Rendite verlangen, sollen diesmal jedoch draußen bleiben, verspricht Kowalsky. Sein Traum ist nicht mehr, es mit Coca-Cola aufzunehmen. Er sagt: „Wenn wir auf 20 Mitarbeiter und einen ordentlichen einstelligen Millionenumsatz kommen, bin ich zufrieden.“ Die nächsten Schritte auf dem Weg dahin könne die Firma aus eigener Kraft schaffen, falls es in den Reformhäusern gut genug laufe.

Ein paar Tage nach dem Treffen meldet sich Peter Kowalsky am Telefon. Mit der Fahrradfahrt durch den Berliner Septemberregen hat er sich eine Erkältung eingefangen. Ein gutes Omen. Für Gesundmacher aller Art ist die Schnupfenzeit seit jeher Hochsaison.