Musikfestivals werden älter: Mit Umsetzen zum Glamping
Das britische Glastonbury-Festival hat eine lange und bewegte Geschichte – derartig lang und bewegt, dass es schon das „britische Woodstock“ genannt wurde. Als es 1970 zum ersten Mal als „Pilton Pop, Blues & Folk Festival“ stattfand, kamen etwa 1.500 Leute, der Eintritt betrug 1 Pfund.
Ein Jahr zuvor hatte das „echte“, also US-Woodstock das Prinzip Festival weltbekannt gemacht, wenngleich es nicht das erste seiner Art war. Die Idee, für mehrere Tage Rockbands unter freiem Himmel spielen zu lassen – was ganz andere Freiheiten, aber auch andere Probleme mit sich brachte als ein streng kontrolliertes und begrenztes Clubkonzert –, war eine hippieeske Angelegenheit. Die Mitglieder von Bands wie The Who oder Jefferson Airplane, die in den 60er- und 70er-Jahren auf den ersten großen Festivals auftraten, waren selten über 30 – ähnlich wie das Publikum. Rockmusik war Jugendkultur, Festivals eine Manifestation dieser.
Nun sind die Held*innen von damals mittlerweile im Rentenalter, und das Prinzip Festival wurde zu einem damals wohl kaum vorstellbaren Erfolg. Deutschland gilt heute als Land mit der größten Festivaldichte in Europa: Etwa 2.200 Musikfestivals – so schätzen es Branchenverbände – finden hier mittlerweile pro Jahr statt. Einige der größten Namen – das Wacken Open Air oder die Zwillingsfestivals Rock am Ring und Rock im Park – sind international bekannt, ziehen pro Jahr Hunderttausende Menschen an.
Mit Komfort aufs Festival
Mit Jugendbewegung und Rebellion haben diese Großveranstaltungen heute allerdings nur noch wenig zu tun. Festivalbesucher*innen werden immer älter – so ließe sich eine dpa-Meldung zusammenfassen, die Anfang Juni durch viele Medien zirkulierte. Zitiert werden einige Zahlen und Stimmen aus der Veranstaltungsbranche, die den Trend bestätigen. In der Altersgruppe 60 bis 69 Jahre – so schreibt das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) unter Berufung auf Umfrageergebnisse – habe sich das Interesse am Besuch von Festivals und Konzerten fast verdoppelt, von 14 auf 26 Prozent.
Den Veranstaltern dürfte das gelegen kommen, immerhin zählen „ältere“ – was auch immer man darunter versteht – Festivalbesucher*innen zur tendenziell kaufkräftigeren Zielgruppe. Die wird es brauchen, denn Festivaltickets werden kontinuierlich teurer: Eine Teilnahme an der Metal-Messe Wacken kostet unterdessen über 300 Euro, vor zehn Jahren waren es noch 160.
Für das gestiegene Komfortbedürfnis der älteren Festivalbesucher*innen ist inzwischen auf vielen Veranstaltungen gesorgt: „Glamping“, eine Kofferwort-Kreation aus Glamour und Camping, heißen komfortablere Arten, auf Festivals zu nächtigen – natürlich gegen Aufpreis. Genutzt werde dieser Service vor allem von Menschen, „deren Rücken drei Nächte im Iglu-Zelt vielleicht nicht mehr unbeschadet übersteht“, so sagte es ein Sprecher der Konzertagentur FKP Skorpio der dpa.
Zudem kommt kaum ein großes Festival heute ohne die sogenannten Legacy-Acts aus: Künstler*innen, die nicht unbedingt neue Veröffentlichungen vorzuweisen haben, sondern vor allem ein Publikum abseits der aktuellen Jugendkulturen ansprechen sollen. So gehörte zu den ganz großen Namen auf dem diesjährigen Glastonbury-Festival auch die inzwischen 71-jährige Cindy Lauper, die zuletzt 2016 ein Album veröffentlichte und deren letzter Hit schon einige Jahrzehnte her ist. Der Guardian begegnete ihrem Auftritt mit einem höflichen Verriss. Laupers Stimme versagte hier und da, manchmal stimmte das Timing nicht. Wann immer das passierte, halfen ihr allerdings einige Zehntausend Menschen aller Altersgruppen aus und sangen Hits wie Time After Time oder Girls Just Wanna Have Fun inbrünstig mit. Gealtert mögen manche Fans und Künstler*innen sein – totzukriegen ist die Magie eines Festivals bis auf Weiteres nicht.