China: Betrugsmasche mit Klimazertifikaten – Umweltministerin Lemke unter Druck

Erst die Vorwürfe parteipolitisch motivierter Manipulation bei Entscheidungen zum Atomausstieg – und nun auch noch der Verdacht eines Betrugssystems im Zusammenhang mit chinesischen Klimaschutzprojekten, die Mineralölkonzerne für den Nachweis von CO2-Einsparungen nutzten: Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) gerät zunehmend in die Kritik.

Bei einem der angeblichen Klimaschutzprojekte in der chinesischen Provinz Shandong, mit dem Mineralölkonzerne vermeintlich Treibhausgasemissionen einsparten, handelte es sich nach Recherchen der ZDF-Magazins „Frontal“ um einen verlassenen Hühnerstall. Von einem mutmaßlichen Milliardenbetrug ist in Kreisen der Biokraftstoffbranche die Rede. Von „völligem Versagen“ spricht der Bundestagsabgeordnete Christian Hirte (CDU), Mitglied im Umweltausschuss.

Schnelle Reaktion

Lemkes Haus weist die Kritik zurück. „Im Lichte der mutmaßlichen Betrugsfälle hat das Ministerium sehr schnell gehandelt“, sagte ein Sprecher am Freitag der F.A.Z. Schon zu Jahresbeginn habe man dafür gesorgt, dass Projekte nach dem Muster der mutmaßlichen Betrugsfälle in China künftig nicht mehr für die Anrechnung von Emissionsminderungen genutzt werden könnten. Mit Veröffentlichung des entsprechenden Verordnungsentwurfs im Februar sei der Branche signalisiert worden, dass die Anrechnung beendet wird, sagte der Ministeriumssprecher. Er verwies zugleich auf eingeschränkte Möglichkeiten der Überprüfung deutscher Stellen: „Eine Kontrolle derartiger Projekte im Ausland kann schon aus hoheitlichen Gründen nicht von deutschen Behörden direkt erfolgen.“

Das Ministerium setzt sich damit gegen Vorwürfe der Verschleppung, des Unwillens zur Aufklärung, ja der Tolerierung mutmaßlicher Betrugstatbestände zur Wehr. Die Anschuldigen kommen sowohl aus den Oppositionsfraktionen von CDU/CSU und AfD als auch von einem breiten Verbändebündnis der Bioenergiebranche, dem etwa auch der Deutsche Bauernverband angehört. Am Freitag debattierte der Bundestag auf Antrag der AfD-Fraktion über den mutmaßlichen Klimabetrug in China. Die Vorwürfe richten sich auch gegen das Umweltbundesamt (UBA) unter Leitung von Präsident Dirk Messner, das zum Geschäftsbereich von Lemkes Ministerium gehört und für die Aufklärung zuständig ist. In der AfD-Fraktion zeigte man sich befremdet darüber, dass das UBA nicht früher Verdacht geschöpft habe. Immerhin sei es Journalisten gelungen, durch die Auswertung von Google-Earth-Satellitenaufnahmen zu erkennen, dass es sich bei manchen Projekten offenbar um Luftnummern gehandelt habe.

Messner sprach am Freitag gegenüber der F.A.Z. davon, es gebe „sehr gewichtige Indizien, die klar auf ein Betrugsgeflecht hinweisen“. Nachprüfungen hätten ergeben, dass sich das UBA von 60 Projekten in China rund 40 Projekte noch einmal ansehen müsse. „Bei zehn davon haben wir mittlerweile besonders deutliche Hinweise, die einen Verdacht auf Betrug nahelegen“, sagte der Präsident des UBA. Daher habe man auch Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Berlin gestellt. Dies geschah allerdings erst auf Bitten des Umweltministeriums. Nach der ersten Runde der Überprüfungen seien zwei Projekte rückabgewickelt und zwei weitere Projektanträge gestoppt worden, erläuterte Messner. „Einiges spricht dafür, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist. Wir prüfen daher intensiv weiter.“ Den Vorwurf verzögerter Aufklärung wies er zurück. Die ersten Hinweise seien „diffus“ gewesen. „Zum Teil waren noch nicht einmal konkrete Projekte benannt.“ Man müsse auf der auf Basis von belegbaren Fakten operieren, nicht auf Grundlage von Verdächtigungen.

Erste Hinweise im Sommer 2023

Nach einem Bericht des Umweltministeriums für den Umweltausschuss, der der F.A.Z. vorliegt, wurde das UBA seit August 2023 aus Kreisen von Marktteilnehmern auf mögliche Unregelmäßigkeiten beim Erwerb sogenannter „Upstream-Emissions-Reduktion“-Zertifikate aufmerksam gemacht. Seit 2018 haben Ölkonzerne mit Hilfe dieser UER-Projekte die Möglichkeit, die gesetzlichen Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen. Die meisten dieser Projekte zielen darauf, den CO2-Ausstoß bei der Ölförderung zu reduzieren, indem Begleitgase nicht mehr abgefackelt, sondern durch Umbau der Anlage anderweitig genutzt werden. Für die so eingesparten Emissionen erhalten die Unternehmen UER-Zertifikate, die sie einsetzen können, um die gesetzlich festgeschriebene Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) zu erfüllen.

Doch nun besteht der Verdacht, dass die Zertifikate für Treibhausgaseinsparungen an Ölförderanlagen in China von Mineralölkonzernen durch systematischen Betrug erworben wurden. Diese Woche hatte sich bereits der Umweltausschuss des Bundestages auf Antrag der Unionsfraktionen mit den Vorfällen beschäftigt. Der Parlamentarische Staatssekretär Jan-Niclas Gesenhues (Grüne), der dem Ausschuss Auskunft gab, machte die Vorgängerregierung mitverantwortlich: „Die ehemalige Bundesregierung hatte der Kraftstoffindustrie 2018 die Möglichkeit eröffnet, die UER-Projekte auf die Treibhausgasminderungsquote anzurechnen“, sagte Gesenhues. Die Idee dahinter war, dass es für den Schutz des Klimas egal sei, ob Treibhausgase in Deutschland oder in Ländern wie China eingespart werden. In der Praxis habe sich das Zertifikatesystem aber als „undurchsichtig und fehleranfällig“ erwiesen, führte Gesenhues aus. Die Ampelregierung habe die Anrechnungsmöglichkeit von Klimaschutzprojekten im Ausland nun bereits zwei Jahre früher beendet als ursprünglich vorgesehen, nämlich schon Ende dieses Jahres. „Wir haben ein fehleranfälliges System geerbt und nun konsequent abgestellt“, hob der Grünen-Politiker hervor.

Es kursieren Berichte, dass durch die mutmaßlichen Betrügereien ein Schaden von rund 4,5 Milliarden Euro entstanden sei. Dazu sagte der Sprecher des Umweltministeriums, „die genannte Zahlen können wir nicht bestätigen und nicht nachvollziehen“. Vermutlich sei unterstellt worden, dass letztlich alle Projekte weltweit zu Unrecht anerkannt worden seien. Das sei aber „nach aktuellem Stand sehr unwahrscheinlich.“ Einen Schaden hätten zunächst Umwelt und Klima, weil nicht vorgeschriebenen CO2-Minderungen erzielt worden seien. Deutschen Autofahrern seien hingegen keine zusätzlichen Kosten an der Zapfsäule entstanden, hob der Sprecher hervor. Denn Zertifikate, die möglicherweise zu Unrecht erteilt worden seien, hätten den Sprit im Vergleich zu anderen Erfüllungsoptionen der Treibhausgasminderungsquote billiger gemacht und nicht teurer.

Zu Forderungen, wegen der mutmaßlich zu Unrecht angerechneten THG-Quoten rückwirkend Sanktionen zu ergreifen, sagte der Ministeriumssprecher: „Maßnahmen, die eine Rückwirkung auf genehmigte Projekte haben, sind mit hohen rechtlichen Hürden versehen. Es gilt nun, die Fälle vernünftig aufzuklären und die richtigen Schlüsse für die Weiterentwicklung der THG-Quote zu ziehen.“

Dazu sagte Nikolas von Wysiecki, Referent für Verkehrspolitik beim Naturschutzverband Nabu: „Der Gedanke, dass es für den Klimaschutz egal ist, wo Emissionen eingespart werden, ist natürlich richtig.“ Aber die aktuellen Vorfälle reihten sich in eine lange Kette von zweifelhaften Klimaschutzzertifikaten, zuletzt bei gepantschtem Biosprit aus China. Am Ende zahlten die Verbraucher für nicht vorhandenen Klimaschutz. Das Zertifikatesystem sei kaum zu kontrollieren und rufe Betrüger auf den Plan. „Das System muss eingeschränkt werden“, forderte von Wysiecki.

Schaden für Biokraftstoffindustrie

Der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie teilte mit, die Branche sei in zweifacher Hinsicht geschädigt: Zum einen reduziere die Anrechnung von UER-Projekten die Nachfrage nach Biokraftstoffen. Zum anderen beeinflusse die Höhe des THG-Quotenpreises auch den Preis der Biokraftstoffe. Ein niedriger THG-Quotenpreis zeige an, dass die Quote leicht erfüllt werden könne. Damit sinke der Wert und damit auch der Marktpreis der Biokraftstoffe.

Nach Angaben des Bundesverbandes THG-Quote kommen durch den Absturz des THG-Quotenpreises Stadtwerke in finanzielle Schwierigkeiten. So hätten die Stadtwerke zum Beispiel beim Kauf von Elektrobussen mit den Einnahmen aus der THG-Quote gerechnet. Dabei hätten sie einen Preis von 300 bis 400 Euro je Tonne CO2 zugrunde gelegt. Nun sei der Preis aufgrund des Überangebots durch mutmaßlich betrügerische UER-Projekte in China und durch die Importe von falsch deklariertem Biodiesel vom chinesischen Markt auf 100 Euro gesunken.