Zurück ins Jahr 1990 – Kritik an Ampel-Idee z. Hd. mehr bezahlbaren Wohnraum Wohnungsbau: Geywitz präsentiert verknüpfen Steuervorteil – und erntet Kritik – WELT
Das sei ein guter Tag für alle Mieter, sagte Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) zu der überraschenden Einigung innerhalb der Ampel-Regierung auf eine steuerliche Förderung günstiger Wohnungen. „Mit der neuen Wohngemeinnützigkeit schaffen wir neben dem sozialen Wohnungsbau eine weitere starke Säule für mehr bezahlbaren Wohnraum in unserem Land“, fügte Geywitz hinzu.
Vorgesehen ist, dass Unternehmen, Vereine und Stiftungen, die dauerhaft Wohnungen zu Preisen unterhalb der marktüblichen Miete anbieten, umfassende Steuererleichterungen erhalten. Im Unterschied zum sozialen Wohnungsbau müssen bei der Gemeinnützigkeit die Wohnungen dauerhaft unter dem Marktpreis angeboten werden. Die Mietbindungen laufen nicht aus.
Laut Bauministerium gibt es gerade bei Unternehmen ein Interesse, Werkswohnungen unter dem Dach der Gemeinnützigkeit zu finanzieren, beispielsweise für Auszubildende. Für Facharbeiter kämen sie kaum in Betracht, gibt es doch klare Einkommensgrenzen für Mieter. Diese liegen für Singles bei dem Fünffachen und für Alleinerziehende beim Sechsfachen des Regelsatzes im Bürgergeld, der aktuell 563 Euro im Monat beträgt.
Mit der geplanten Änderung der Abgabenordnung will die Bundesregierung – vor allem die Sozialdemokraten, aber auch die Grünen – 34 Jahre nach Abschaffung der Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau zu ihr zurückkehren. 1990 war die Gemeinnützigkeit von der damaligen Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) abgeschafft worden.
Sie reagierte damals auf den Skandal um das gemeinnützige Bau- und Wohnungsunternehmen „Neue Heimat“, das dem Deutschen Gewerkschaftsbund gehörte. Selbstbereicherung, Korruption und Missmanagement hatten die über Jahrzehnte aktive Sozialbau-Politik in Verruf gebracht.
Nun soll die Wohngemeinnützigkeit angesichts der Krise auf dem Wohnungsmarkt wieder eingeführt werden. Darauf hatten sich SPD, Grüne und FDP schon bei den Koalitionsverhandlungen 2021 verständigt. Auf Seite 69 des Vertrages wurde festgehalten, dass man „zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlichen Förderungen und Investitionszulagen auf den Weg bringen“ werde.
Mietervertreter kritisieren Einigung
Die steuerlichen Förderungen sollen jetzt kommen, die angekündigten Investitionszulagen aber nicht. Hier konnte sich Geywitz nicht gegen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) durchsetzen. „Investitionszuschüsse waren in dem Sinne nicht Gegenstand des Koalitionsvertrages“, sagte dieser nach der Einigung.
Es würden jetzt die Kriterien der Gemeinnützigkeit angewandt. „Mehr ist darüber hinaus nicht geeint und auch finanziell nicht darstellbar“, sagte Lindner.
Anders als Geywitz sprachen Mietervertreter von keinem guten Tag. „Wir warnen vor einem gesetzlichen Schnellschuss ins Leere“, sagte Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Seiner Ansicht nach genügt es bei Weitem nicht, allein Steuererleichterungen zu beschließen.
Der Staat müsse weitere Anreize schaffen, um das 1990 abgeschaffte Instrument wiederzubeleben. „Wir erwarten, dass der Bundestag das Schmalspur-Projekt der Ampel nun richtig aufgleist und hierdurch eine bundesweite Debatte über die Chancen einer umfassenden gesetzlichen Regelung zur neuen Gemeinnützigkeit angestoßen wird“, sagte Bartels.
Zumindest bei den Grünen ist man dazu offenbar bereit. „Die nun im Kabinett beschlossene Regelung wirkt eher wie ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagte die Wohnungsbau-Expertin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Christina-Johanne Schröder, der Nachrichtenagentur Reuters.
Sie hält umfassende Investitionszuschüsse für unvermeidlich. Von der Regelung profitieren laut Gesetzentwurf lediglich 100 Unternehmen und rund 105.000 Mieter. Zu erwarteten Steuerausfällen machte das Finanzministerium keine Angaben.
Ökonomen sehen Schmalspur-Lösung
Eine Schmalspur-Lösung sehen auch Ökonomen. „Die Regelung wird wirkungslos bleiben“, sagte Michael Voigtländer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Nur mit Steuerbefreiungen, aber ohne direkte Investitionszulagen sei das für Unternehmen kaum reizvoll.
„Stiftungen und kommunale Unternehmen haben von Steuervorteilen wenig, weil sie ohnehin kaum Steuern zahlen“, sagte Voigtländer. Aus seiner Sicht arbeite die Ampel-Regierung mit der Einigung zwar formal einen weiteren Punkt aus dem Koalitionsvertrag ab – aber nicht mehr.
Der Wirtschaftswissenschaftler bedauert nicht, dass die Ampel-Koalitionäre sich auf keine umfassendere Lösung einigen konnten. „Weitergehende Subventionen wären sehr, sehr teuer. Die Treffsicherheit ist gering“, sagte Voigtländer.
Er steht einer Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit schon seit Längerem kritisch gegenüber. Stattdessen plädiert er dafür, das Baurecht zu vereinfachen, Auflagen abzuschaffen und mehr Bauland auszuweisen. Das seien wirksamere Instrumente, um mehr und damit günstigeren Wohnraum zu schaffen.
Der Wohnungswirtschaft geht die geplante Wiedereinführung nicht weit genug. Das Instrument könne dabei helfen, „dass Institutionen wie Vereine und Stiftungen zu Anbietern von bezahlbarem Wohnraum werden“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Verbands der Wohnungswirtschaft (GdW). Allerdings reiche das angesichts des „riesigen“ Wohnungsmangels „bei Weitem“ nicht aus.
Es fehlten mittlerweile 800.000 Wohnungen in Deutschland, erklärte Gedaschko. Da brauche es ein „funktionierendes Fördersystem für bezahlbaren Wohnraum in deutlich größerer Zahl“, sagte Gedaschko.
Sozial orientierte Wohnungsunternehmen müssten zunächst einmal „überhaupt erst wieder in die Lage versetzt werden, zu bauen“. Er forderte ein kurzfristiges Zinsprogramm, durch das die gestiegenen Bauzinsen bei einem Prozent gedeckelt werden.
Bei der CDU/CSU-Fraktion will man die neue Wohngemeinnützigkeit offen prüfen, sagte die finanzpolitische Sprecherin Antje Tillmann. Noch seien einige steuerrechtliche Punkte unklar. Aus ihrer Sicht ist die Regelung zudem Missbrauchs-anfällig, weil der Mieter nur zu Beginn des Mietverhältnisses und bei Mieterhöhungen seine persönliche Situation darlegen müsse. „Ein hilfebedürftiger Arbeitsloser, der drei Monate nach Mietbeginn eine Arbeit findet, würde dann steuersubventioniert weiterhin von einer vergünstigten Miete profitieren“, sagte Tillmann.
Source: welt.de