Landwirtschaft: Warum die Bauern trotz Rekordgewinnen unzufrieden sind
Mehr als vier Monate nach den großen Bauernprotesten ist es um die Landwirte ruhig geworden. Die meisten Betriebe haben auf dem Acker alle Hände voll zu tun, das ungewöhnlich nasse Frühjahr hat die Aussaat vielerorts verzögert. Dabei konnten die meisten Bauern in den vergangenen Jahren zumindest finanziell aufatmen. Die durchschnittlichen Einkommen und Betriebsgewinne auf den Höfen haben sich im Wirtschaftsjahr 2022/23 – und damit zum zweiten Mal in Folge – deutlich verbessert. Das durchschnittliche Einkommen je Arbeitskraft in den Haupterwerbsbetrieben stieg im Vergleich zum Vorwirtschaftsjahr um 32 Prozent auf rund 61.000 Euro. Der Gewinn je Agrarbetrieb lag mit 113.900 Euro etwa 39 Prozent über dem Vorjahreswert. Das ergaben Hochrechnungen des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf Basis von mehr als 7000 repräsentativ ausgewählten Betrieben.
In der Landwirtschaft geht ein Wirtschaftsjahr von Ernte zu Ernte – von Juli bis Juni. Grund für die Zahlen waren kräftige Preisanstiege bei den meisten Agrarerzeugnissen auch im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Das Jahr gilt in der Branche aber als Ausnahmejahr. Mit Blick auf die aktuelle Lage äußerte sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) weniger optimistisch. „Wir erwarten durch sinkende Lebensmittelpreise geringere Einkommen der Bauern“, sagte er.
Bauernverband erwartet Gewinneinbruch von 30 bis 50 Prozent
Auch der Deutsche Bauernverband gibt sich pessimistisch. Die aktuelle wirtschaftliche Lage der Bauern sei angespannt. „Unsere Betriebe sind wieder in ein wirtschaftlich schwierigeres Fahrwasser geraten“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied der F.A.Z. „Nach den uns vorliegenden Zahlen müssen wir für das aktuelle Wirtschaftsjahr 2023/24 mit einem Gewinneinbruch zwischen 30 und 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr rechnen.“ Das liege vor allem daran, dass die Erzeugerpreise bei den meisten wichtigen pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen im Vergleich zum vorausgegangenen Wirtschaftsjahr deutlich niedriger seien.
Agrarminister Özdemir betonte, man dürfe sich nun nicht in falscher Sicherheit wiegen, sondern müsse „jetzt erst recht anpacken“ und dafür sorgen, dass sich die Bedingungen für die Landwirtschaft nachhaltig und langfristig verbesserten. Man sei seit Beginn der Legislaturperiode „mitten im Reformprozess“. Zugleich betonte er, dass harte Arbeit einen guten Lohn verdiene. „Dass viele Höfe nun schon zum zweiten Mal starke Betriebsergebnisse einfahren konnten, ist deshalb eine gute Nachricht“, sagte er am Dienstag in Berlin.
Einkommen und Betriebe kaum vergleichbar
Es ist nicht einfach, landwirtschaftliche Einkommen vergleichbar zu machen. Von Nord bis Süd und von klein bis groß sind die Betriebe strukturell unterschiedlicher denn je. Die Einkommenswerte stellen den Durchschnitt aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland dar. Sie umfassen Nebenerwerbsbetriebe, Haupterwerbsbetriebe und juristische Personen. Die Haupterwerbsbetriebe bilden die größte Gruppe. Sie bewirtschaften im Durchschnitt mit 2,3 Arbeitskräften (davon 1,4 nicht entlohnte Familienarbeitskräfte) eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 93 Hektar.
Um die wirtschaftliche Situation der landwirtschaftlichen Betriebe darzustellen, wird der Unternehmergewinn herangezogen, der zur Entlohnung der eigenen Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital sowie für Nettoinvestitionen zur Verfügung steht. Die Einkommenssituation weist jedoch einige Besonderheiten auf. Die meisten Betriebe sind Familienbetriebe, in denen oft jeder mit anpackt, aber nur selten entsprechend entlohnt wird. Zudem ist der Gewinn für ein einzelnes Wirtschaftsjahr nur bedingt aussagekräftig. Da die Gewinne teilweise um mehr als 50 Prozent schwanken, ist eine Betrachtung über einen Zeitraum von fünf Jahren aussagekräftiger.
Trotz der relativ guten Einkommenszahlen gab sich Landwirtschaftsminister Özdemir keinen Illusionen hin. Der Strukturwandel sei in vollem Gange. Als Beispiel nannte er die Schweinehaltung: Von 2010 bis 2020 habe sich die Zahl der schweinehaltenden Betriebe halbiert. Dies sei zum Teil eine Folge der Marktentwicklung und des rückläufigen Schweinefleischkonsums. Es handele sich aber nicht um einen organischen Wandel, sondern um einen harten Strukturbruch. Umso wichtiger sei es, die Betriebe fit für die Zukunft zu machen. Auf die Frage nach konkreten Lösungsansätzen gab sich der Minister allerdings zurückhaltend. Man sei in Gesprächen, aber es sei „nichts, was sehr kurzfristig gelöst werden kann“, sagte er. Die Bauern hatten in den vergangenen Monaten während und nach den Protesten eine Reihe an Forderungen an die Politik gerichtet.
Ähnlich wie die Zahl der schweinehaltenden Betriebe geht auch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland insgesamt zurück. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland rund 255.000 landwirtschaftliche Betriebe. 2020 waren es noch 263.500 Höfe. Der Strukturwandel hin zu weniger, aber größeren Betrieben hat sich seit 2010 allerdings verlangsamt.