Raumfahrt: Dieser Flug wird zum Besten von Boeing zur Schicksals-Mission – WELT
Vor fast genau vier Monaten riss eine im Flug herausgebrochene Tür ein Riesenloch in ein Boeing 737-Flugzeug. Wie durch ein Wunder kam niemand an Bord zu Schaden.
Der Zwischenfall markierte einen weiteren Höhepunkt in der Diskussion um Qualitätsmängel bei Amerikas größtem Luft- und Raumfahrtkonzern. Und die betreffen auch die Raumfahrtsparte. Daher gilt der jetzt endlich anstehende erste bemannte Flug einer Boeing-Raumkapsel in den Weltraum als eine Art Schicksalsmission für Boeing – es geht darum zu beweisen, wie sicher seine Produkte sind.
In der Nacht zum Dienstag soll die Boeing-Astronautenkapsel CST-100 Starliner erstmals mit zwei Menschen an Bord vom Raumfahrtbahnhof Cape Canaveral in Florida abheben. Mit gewaltigen sieben Jahren Verspätung zur Ursprungsplanung. Der Start um 04:34 Uhr hiesiger Zeit mit einer Atlas-V-Rakete muss auf die Minute genau erfolgen, um wie geplant an der „Internationalen Raumstation“ (ISS) anzukoppeln. Dort soll die Besatzung acht Tage bleiben.
Es ist der dritte Flug der von Boeing gebauten und von der Nasa mit fünf Milliarden Dollar bezahlten Kapsel, die wiederverwendbar ist. Kommandant ist der erfahrene 61-jährige Astronaut Butch Wilmore. Er hat bereits vor der Mission angedeutet, dass es womöglich kleinere Probleme geben könnte.
„Dies ist ein Testflug“, sagte er, „wir erwarten, dass es Vorkommnisse geben wird“. Es darf aber nichts Gravierendes sein. Mit an Bord ist die 58-jährige Pilotin Suni Williams, die ebenfalls schon zweimal im Weltraum war.
Die Nasa hat laut Angaben in Branchenblogs die Wahrscheinlichkeit für einen Verlust der Crew mit eins zu 295 kalkuliert, was über der sonst geforderten Risikoeinschätzung von eins zu 270 liegt. Allerdings lag die Risikobewertung beim ersten Space Shuttle Flug 1981 sogar bei gefährlichen eins zu zwölf.
Für Boeing ist es nicht der erste Flug von Menschen in einem Raumschiff des Konzerns – aber eine Premiere nach langer Zeit. So war der US-Konzern mit am Bau der wiederverwendbaren Raumfähren Space Shuttle beteiligt. Die anstehende Mission soll nach dem Willen der Boeing-Verantwortlichen das Ende eine Serie von Pannen und Verspätungen mit der ersten Boeing-Raumkapsel markieren.
So wäre der unbemannte Premierenflug einer Starliner-Kapsel Ende 2019 beinahe am unplanmäßigen Zünden von Steuertriebwerken gescheitert – wegen falsch gestellter Uhren. Mitte 2021 war ein zweiter Testflug geplant, aber da klemmten Ventile kurz vor dem Start.
Es kam zu einer größeren Verschiebung. Im Mai 2022 dann ein erster unbemannter Flug zur ISS und jetzt die bemannte Mission. Boeing will sich endlich aus den Negativschlagzeilen auch in der Raumfahrtsparte herausarbeiten.
Blamage gegen Elon Musk
Für Boeing ist das Starliner-Projekt im Konkurrenzkampf mit dem Raumfahrtkonzern SpaceX von Elon Musk bislang eine große Blamage. Beide Konzerne hatten von der Nasa nach dem Ende der Space Shuttle-Flüge im sogenannten Commercial Crew-Programm den Auftrag erhalten, eine Raumkapsel zu entwickeln.
SpaceX ist dies mit seiner Dragon-Kapsel mit Bravour gelungen und sie fliegt mit Fracht oder Besatzungen reibungslos zur ISS – während Boeing mit Pannen und Verzögerungen kämpfte. Klappt jetzt der Boeing-Flug, würden die USA über zunächst zwei Kapseln für bemannte Raumflüge verfügen.
Die Rückkehr der Starliner-Kapsel ist für den 15. Mai geplant. Der Eintritt in die Erdatmosphäre und das Auslösen der Fallschirme ist eine der risikoreichsten Phasen der Mission. Im Unterschied zu den Gemini, Apollo und Dragon-Kapseln soll das Boeing-Gefährt nicht im Meer, sondern an Land niedergehen. Erst wenn die Crew unverletzt geborgen wird, kann ein neues Kapitel in der Boeing-Raumfahrt beginnen.
Source: welt.de