75 Jahre Bundesrepublik: Wo Deutschland hingehört

Die Soziale Marktwirtschaft begleitet die Bundesrepublik Deutschland seit 75 Jahren – und sie hat dem Land gutgetan. Niemals hat es in der deutschen Geschichte einen freiheitlich verfassten Staat gegeben, der den Menschen über ein Dreivierteljahrhundert Frieden und Wohlstand bescherte. Um die offenkundigen Vorzüge einer Marktwirtschaft gegenüber einer Planwirtschaft zu erkennen, bedurfte es gerade in Deutschland keiner gelehrten Abhandlung, sondern nur des Augenscheins. Die planwirtschaftlich verfasste DDR musste eine Mauer mit Schießbefehl errichten, um die Abwanderung der Menschen aufzuhalten. Den Bankrott ihres Wirtschaftssystems verhindern konnte sie damit nicht, wie spätestens im Herbst 1989 offenkundig wurde.

Über die wirtschaftlichen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft wie die Sicherung des Wettbewerbs, die Offenheit von Märkten und die Freigabe von Preisen ist viel und zurecht geschrieben worden. Sie waren eine Bedingung für den Erfolg des Modells, aber sie erklären seinen Erfolg nur zum Teil. Die Bundesrepublik profitierte in ihren ersten Jahrzehnten erheblich von ihrer wirtschaftlichen, politischen und militärischen Westbindung.

Die Westbindung – wohlverstanden als eine sich ergänzende Bindung in Europa und gleichzeitig über den Nordatlantik hinaus – schuf einen zuverlässigen Rahmen, der die Integration der deutschen Unternehmen und Verbraucher in die Weltwirtschaft erst ermöglichte und dann absicherte. Diese doppelte Westbindung garantierte Sicherheit und Wohlstand gerade auch für jene, die im Laufe der Jahrzehnte gegen sie demonstrierten.

Von autokratischen Regimen herausgefordert

Wesentliche Ursachen des Erfolgs der Bundesrepublik gerieten nach dem Jahre 1990 in Vergessenheit. Mit dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus kam dem Westen der Gegenspieler abhanden. Der Eintritt Osteuropas, vor allem aber Chinas in die internationale Arbeitsteilung bescherte der deutschen Exportindustrie hoch attraktive Absatzmärkte. Aber die Vision einer politisch harmonischen, durch eine wohlfahrtsfördernde Globalisierung und die dauerhafte Ausschüttung von Friedensdividenden geprägten Ordnung besaß keinen Bestand. Vielmehr sieht sich der Westen von einer Phalanx autokratischer Regime herausgefordert.

Gerade Deutschland zeigt sich auf die neue Lage schlecht vorbereitet. Die Wiedervereinigung war zwar als Beitritt der DDR zur Bundesrepublik organisiert worden und die größere Bundesrepublik blieb Mitglied der NATO und der Europäischen Union. Aber mental begab sich dieses Deutschland – und dies gilt auch zumindest für Teile der Wirtschaft – wieder in eine europäische Mittellage zwischen West und Ost, mit der Deutschland mangels Ressourcen und strategischen Weitblicks in seiner Geschichte noch nie dauerhaft etwas Gescheites angefangen hatte.

Geschichtsvergessen in Abhängigkeiten begeben

Bestätigt sehen konnten sich mit der unseligen gefühlten Äquidistanz zwischen Washington und Moskau nicht nur jene vorsintflutlichen Linken aus den alten Bundesländern, die in der westlich ausgerichteten Bundesrepublik nie mehr gesehen hatten als einen ungeliebten provisorischen Gliedstaat nach einem verlorenen Weltkrieg.

Selbstverständlich ging es auch dieses Mal nicht lange gut. Nachdem Deutschland vor einem halben Jahrhundert als Ergebnis zweier Ölkrisen seine Abhängigkeit von Öllieferungen autokratischer Regime verringert hatte, begab man sich nach der Jahrtausendwende geschichtsvergessen in eine fatale Abhängigkeit von Gaslieferungen aus dem autokratischen Russland. Statt in Verteidigung und Infrastruktur zu investieren, bauten Regierungen mit einem Gespür für die Präferenzen einer alternden, sich sicher wähnenden Gesellschaft den Sozialstaat aus.

Den intervenierenden Staat zurückdrängen

Und während immer neue Rekordüberschüsse in der Leistungsbilanz als Indiz für eine dauerhaft blühende Wirtschaft interpretiert wurden, steht ein Rückstand bei vielen modernen Technologien und eine unbefriedigende Entwicklung der Produktivität für die Gefahr einer Stagnation. Die deutsche Wirtschaft ist kein Sanierungsfall, aber sie bedarf einer Modernisierung.

Die Marktkräfte stärken und den intervenierenden, patriarchalischen Staat zurückdrängen, ist das Gebot der Stunde. Diese erneuerte Soziale Marktwirtschaft bedarf zusätzlich eines Rahmens, der Deutschland wie früher in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht fest im Westen verankert sieht. Den geopolitischen Herausforderungen, die auch mit erheblichen wirtschaftlichen Risiken einhergehen, kann sich Deutschland nur stellen, wenn es weiß, wo es hingehört.