„Biodeutsch“: Das Unwort des Jahres 2025 ist eine linke Erfindung
Es sind nicht nur Rassisten, die von „Biodeutschen“ sprechen. Die Darmstädter Jury hat bei ihrer Wahl zum Unwort des Jahres so einiges übersehen
Kartoffel, umgangssprachlich für „Biodeutscher“
Montage: der Freitag, Foto: Pond5 Images/Imago Images
Die Wahl zum Unwort des Jahres 2024 überrascht. „Biodeutsch“ hatte man nicht auf der Rechnung. Das Unwort bestimmt eine vierköpfige Jury aus den Einsendungen an das Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. 3.172 Einsendungen gab es, gerade mal zehn Leute schlugen „biodeutsch“ vor, sogar noch vier weniger als „Tierwohllabel“. Auch das Volk (Unwort des Jahres 2025?) hat das Wort offenbar nicht auf dem Schirm.
Möglicherweise brauchte man in Marburg rasch eine Alternative zum „Heizungsverbot“, das auf Platz zwei gelandet ist, aber nun auch nicht gerade rockt, obwohl die Begründung, der Ausdruck sei irreführend, weil das Gebäudeenergiegesetz ja weder das Heizen noch Heizungen verbietet, zweifellos stichhaltig ist. Aber gibt es irgendeine Debatte, irgendeinen Skandal, den ich verpasst habe, in dem das Wort „biodeutsch“ eine zentrale Rolle spielte, so wie es bei „Remigration“ der Fall war, das im Vorjahr zum Unwort des Jahres gekürt worden ist (und jetzt in das Wahlprogramm der AfD aufgenommen wurde)?
Nein, „biodeutsch“ ist ein Wort, das gefühlt vor zehn Jahren die Gemüter eventuell erregte. Und tatsächlich landete es 2016 auf der Liste der zehn häufigsten Einsendungen an die Jury, wurde aber damals für nicht würdig befunden. Das hat einen guten Grund.
Die ironischen Wurzeln des Wortes
Zum ersten Mal öffentlich wurde der Ausdruck 1996 in einem Cartoon der taz. Darin sagt ein Mann zu seinem Nachbarn mit schwarzem Schnurrbart und Teeglas: „Der Unterschied zwischen dir und mir besteht darin, Hüsnü: Du bist ein getürkter Deutscher! Eine Fälschung! Und ich … Ich bin ein Original! Ein Bio-Deutscher“.
Die ironische Wurzel des Wortes kennt natürlich auch die Jury. „Seit mehreren Jahren“ sei nun aber vermehrt eine gedankenlose, wörtliche Verwendung des Wortes festzustellen, die zwischen vermeintlich echten und falschen Deutschen trennt und also eine „Form von Alltagsrassismus“ darstellt. Und wo genau ist dieser Trend festzustellen? „Insbesondere in den sozialen Medien.“ Natürlich. Hier kann man alle möglichen Trends behaupten, wer überschaut sie schon, die sozialen Medien? Wer überdies ein Zurückweichen von Ironie vermutet, wird gleich gar nicht falschliegen bei einem Medium, das im Zweifel eher für Hass und Hetze als für distanzierende Gesten steht. Ärgerlich nur, dass sich die Jury selbst an diesem Trend beteiligt.
Sie scheint auch irgendwie ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie schreibt: „Die Jury kritisiert nicht den ironisch-satirischen, sondern den diskriminierenden Wortgebrauch.“
Wir verwenden das Wort, weil wir manchmal unsicher sind, wie wir den Sachverhalt genau benennen sollen, wenn wir zum Beispiel über die Bevölkerungszusammensetzung in einem Stadtteil berichten, wohl wissend, dass wir heikle, deswegen aber nicht falsche Dinge ansprechen. Wäre es der Jury lieber, wir würden von „Herkunftsdeutschen“ sprechen? Wohl kaum. Oder will sie uns in dialektischer Pädagogik dahin treiben, künftig nur noch von „Kartoffeln“ zu reden? Ironie ist Ausdruck einer Welt, in der die Dinge nicht perfekt sind, die aber auch nicht totalitär ist.
Wer das verkennt, der macht uns fuchsig. Ein Wort, das in so hohem Maße auch in Gänsefüßchen verwendet wird wie „Biodeutscher“, ist einfach kein gutes Unwort des Jahres 2024. Eine Jury von großer „Besonnenheit“ (50 Nennungen) hätte auf einen anderen Vorschlag zurückgegriffen. „Kriegstüchtig“ (58 Nennungen) zum Beispiel.