Zum Tod von Peter Eisenberg: Sein geliebtes Deutsch

Die Sprachwissenschaft bringt es mit sich, dass sie ihren Gegenstand nicht fixieren, ihn kaum einmal einholen, ihn im Grunde nur beschreiben, inventarisieren kann. „Der“ oder auch nur einer Sprache eine Theorie überzustülpen, wie dies Noam Chomsky mit seiner generativen Transformationsgrammatik und den Postulaten eines Spracherwerbsmechanismus und der Binarität von Oberflächen- und Tiefenstruktur seit den Fünfzigerjahren auf folgenreiche, aber zu sehr am Computerdenken ausgerichtete und sich schließlich im Abstrakten verlierende Art und Weise tat, wird sie letztlich verfehlen. Sprachwissenschaft muss, wenn sie zu haltbaren Einsichten kommen will, empirisch, deskriptiv und, methodologisch, integral bleiben – und hat auch dann noch gut zu tun.

Peter Eisenberg hatte, nach seiner Zeit in einem ökumenischen Kinderheim nahe Bebra und einer Ausbildung zum Tontechniker, zu Anfang der Siebzigerjahre bei Chomsky am Massachusetts Institute of Technology studiert und brachte von dort eine gewisse Theoriegläubigkeit mit zurück nach Deutschland. Diese wich aber während seines Hin- und Herwechselns zwischen der FU Berlin und der Universität Hannover, spätestens aber auf seinem Potsdamer Lehrstuhl für Deutsche Sprache der Gegenwart einer gleichsam konservativen Skepsis gegenüber idealistisch-theoretisierenden Zugriffen, die getragen war von dem Eingeständnis, dass wissenschaftliche Aus­sagen über die Sprache gleichsam nur im Modus des Hinterherhinkens Gültigkeit beanspruchen können, nämlich immer erst dann, wenn diese ihre konkrete lautliche und schriftliche Verkörperung schon gefunden hat.

Das zweifellos wirkmächtigste, weil sich an die gesamte Sprechergemeinschaft wendende Ergebnis der dahinter stehenden Überlegungen ist die unter Eisenbergs Federführung herausgebrachte sechste Auflage des Grammatik-Dudens (1998). Aber schon am „Grundriß der deutschen Grammatik“ (1986), der bald ein Standardwerk wurde, ließ sich eine gewisse Verzichtsbereitschaft ablesen: keine Modellannahmen, die ihr Objekt zumal in Verbindung mit Kognitions- oder mit Computerwissenschaften leicht aus den Augen verlieren, sondern Bestandsaufnahme des Vorgefundenen, Überlieferten und, auf dieser Grundlage, das Auffinden von Regelmäßigkeiten inklusive der vielen Ausnahmen davon. Grammatiken, die etwas taugen und zu denen man auch nach Jahrzehnten noch greift, begnügen sich in der Regel mit „Grundzügen“. Oder eben mit Eisenbergs „Grundriß“.

Größte Murksveranstaltung

Dass man dieses Wort inzwischen mit Doppel-s schreibt, markiert eines von Eisenbergs Kümmernissen: die deutsche Rechtschreibreform seit 1996. Aus ihr wurde, nicht etwa obwohl, sondern weil sie gut gemeint war (mehr aber auch nicht), die wohl größte Murksveranstaltung der Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftspolitik der Nachkriegszeit, indem es eben Kultusminister und keine Wissenschaftler waren, die sich auf neue, selten sinnvolle Schreibungen verständigten, die sich teilweise noch gar nicht durchgesetzt hatten. Getrieben von Zielvorstellungen wie „Erleichterung“, „Einheitlichkeit“, „Konsequenz“, sogar etwas wie „Logik“ – ­alles Dinge, die der Sprache gar nicht oder jedenfalls nicht in dem behaupteten Maße inhärent sind –, hatte man sich allen Ernstes eingebildet, dass man vor die Sprache kommen könnte und gar nicht abzuwarten bräuchte, bis Verwendungsweisen, die sich auch mehrheitlich durchgesetzt haben, die Handhabe für Neuregelungen lieferten.

Wie verfehlt schon eines der reformerischen Kernanliegen, die Angleichung der Schrift an die Lautung, war, wollte man nicht wahrhaben, auch wenn schon der Alltag das gebrochene Verhältnis beider zueinander belegt: Ich bin dann mal weg und Der Weg ist das Ziel – gleiche Schreibung, unterschiedliche Lautung. Bei Eigennamen ist es manchmal quasi umgekehrt: Rowohlt (sprich: „Rohwollt“) und Bonhoeffer (sprich: „Bonnhoefer“).

Auch beim Gendern beharrte Eisenberg darauf, dass Normen nichts anderes seien als die „Festschreibung des allgemeinen Sprachgebrauchs“, und ließ sich auf eine Mitgliedschaft erst in der verlegenheitshalber eingerichteten Zwischenstaatlichen Kommission, dann im Rat für deutsche Rechtschreibung vermutlich nur deswegen ein, weil er glaubte, damit das Schlimmste noch verhindern zu können. Spätestens seit seinen eklathaften Austritten 1998 beziehungsweise 2013 war er, Seit’ an Seit’ mit Theodor Ickler, einer der vernehmlichsten und ganz sicher auch sachverständigsten Kritiker der Reform, die nicht nur nach seinem Dafürhalten auf einem irrigen Sprachverständnis beruhte, bei der aber, so muss man leider sagen, die Schlachten geschlagen und die Wirrnisse nunmehr komplett sind. Es war kein Defätismus, der Eisenberg irgendwann eingestehen ließ, mehr als ein „Rechtschreibfrieden“ sei nicht mehr drin. Insbesondere in der Groß- und Klein- sowie in der Getrennt- und Zusammenschreibung, wo der größte Schaden angerichtet wurde, rettete er, was zu retten war, und formulierte, als inzwischen hochgeehrtes Mitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, deren Kompromissvorschläge.

Im Abwehrmodus

Es liegt in der Natur der Sache und hätte in gewisser Weise auch tragisch enden können, dass die Rechtschreibreform die, die es besser wussten, dazu nötigte, ihre kostbare Zeit mit deren Bekämpfung zu verbringen und so aus dem Abwehr­modus gar nicht mehr herauszukommen. Eisenberg jedoch verzichtete auf die Rolle des Querulanten und ließ bloß, bis zuletzt, auch in seinen vielen Beiträgen für diese Zeitung, nicht locker, indem er, manchmal wohltuend polemisch, falschen Sprachgebrauch („Er kann einem Leid tun“, „Wir sind zusammen gekommen“, „Am Wichtigsten ist Gesundheit“) dort ankreidete, wo es ihm am nötigsten schien und wo er seine Ausbesserungen mit Ausflügen in die Sprachgeschichte und damit in die stetige, nur eben nicht „von oben“ zu beschließende Veränderung der (in seinem Fall: deutschen) Sprache verbinden konnte. Sprache ist, wie sie ist: Eisenberg zeigte, welche Einsicht in dieser Redensart zum Ausdruck kommt.

Sprachwissenschaft wird in ihren synchronen und in ihren diachronen Dimensionen zuweilen unterschätzt. Die Sprache selbst aber gehört allen – allen, die sie sprechen oder in ihr schreiben. Zur Verbreitung dieser Tatsache hat Peter Eisenberg, der es sich nie leicht gemacht hat, ein Gelehrtenleben lang beigetragen. Nun ist er im Alter von 85 Jahren in Berlin-Spandau gestorben.

Source: faz.net