Zulieferer ZF will an deutschen Standorten Stellen streichen

In Zeiten, in denen Geschäfte gut laufen, sind Versäumnisse leichter zu verbergen. Läuft es schlecht, wiegen sie umso schwerer. Das ist der Fall beim Autozulieferer ZF , der durch die Übernahmen des amerikanischen Sensor-Spezialisten TRW 2015 und des belgisch-amerikanischen Bremsenhersteller Wabco 2020 stark gewachsen war und viele Werke und Produktionen hinzugewann. Versäumt hat es der Stiftungskonzern mit Sitz in Friedrichshafen am Bodensee, die Produktionsstrukturen zu bereinigen und effizient auszurichten. Das gilt vor allem in Deutschland, wo die Unternehmensführung sich mit einer traditionell starken Arbeitnehmervertretung auseinanderzusetzen hat.

Neun Jahre nach der TRW-Übernahme und vier Jahre nach dem Wabco-Kauf geht der Vorstand um den seit Anfang 2023 amtierenden Vorstandschef Holger Klein das Problem nun an. Am Wochenende informierten der für Produktion, Nutzfahrzeug und Industrietechnik zuständige Vorstand Peter Laier und die Personalvor­ständin Lea Corzilius mehr als 3000 Führungskräfte in einer virtuellen Schaltkonferenz über die Planungen für den Standort Deutschland. Die Vorbereitungen für das Deutschland-Projekt laufen seit gut einem Jahr. Klar ist schon jetzt, dass die beiden nordrhein-westfälischen Standorte Gelsenkirchen und Eitorf keine Zukunft haben und geschlossen werden sollen.

„Kleinteilig, ineffizient und wenig flexibel“

Kern der Argumentation ist, dass viele hiesige Standorte international nicht wettbewerbsfähig sind. Das haben Corzilius und Laier nach Informationen der F.A.Z. aus den Reihen des Unternehmens den Managern in der Konferenz erläutert. Als „kleinteilig, ineffizient und wenig flexibel“ beschrieben danach die Vorstandsmitglieder die Produktionslandschaft von ZF in Deutschland. Wegen zu hoher Kosten gewinne ZF mit den deutschen Werken zu wenig Aufträge, hieß es, was durch die global schwache Nachfrage nach Fahrzeugen nicht einfacher werde. Zuerst hatte die „Schwäbische Zeitung“ über die Konferenz berichtet.

Die Werke von ZF in Deutschland wiesen aufgrund ihrer geringen Größe vergleichsweise hohe Gemeinkosten auf und seien häufig von einem oder wenigen Produkten abhängig, die teils auch am Ende ihres Lebenszyklus stehen, erläuterte ein Sprecher. „Auf Schwankungen der Kundennachfrage können diese Standorte nicht so flexibel reagieren wie größere Standorte mit einem breiteren Produktmix.“

Geplant ist nun ein Effizienzprogramm, um in diesem und im nächsten Jahr die Kosten um rund sechs Milliarden Euro zu drücken. „Die Produktion soll effizienter und damit rentabler werden, unter anderem durch Digitalisierung und Senkung der Bestände. Die Forschung und Entwicklung soll auf Kompetenzzentren fokussiert, gegebenenfalls sollen Standorte zusammengefasst werden. Die Entwicklungs-, Vertriebs- und Verwaltungskosten sollen bis 2025 um zehn Prozent sinken“, sagte der Sprecher weiter. Weitere Standortschließungen neben Gelsenkirchen und Eitorf schließt das Unternehmen nicht aus. „Wir schauen uns alle Standorte und ihre Wettbewerbsfähigkeit beziehungsweise Wirtschaftlichkeit an. Ziel ist, verlustreiche Standorte schnellstmöglich in die Erfolgsspur zurückzubringen.“

Gesamtbetriebsrat kündigt entschiedenen Widerstand an

Für Standortschließungen oder Verlagerungen von Produktionen ins Ausland kündigt der Gesamtbetriebsrat entschiedenen Widerstand an. „Wir verschließen die Augen nicht vor der aktuellen wirtschaftlichen Situation von ZF. Grundsätzlich sind wir offen für Maßnahmen, die das Unternehmen nachhaltig sichern und wettbewerbsfähiger machen. Dies zeigen auch die aktuellen Vereinbarungen an Standorten und auf Konzernebene. Wir sind bereit mitzugestalten“, sagte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Achim Dietrich. „Wenn das Unternehmen aber meint, die vermeintlichen Lösungen liegen in Billiglohnländern, in blinden Bestandsreduzierungen, Einstellstopps, im Stellenabbau mit der Heckenschere und Leistungsverdichtung, in Standortschließungen, dann halten wir dagegen – getreu dem Motto: Zukunft oder Widerstand.“

Nach Informationen des Betriebsrats gehören zu den vorgestellten Maßnahmen auch das Nachverhandeln von Verträgen mit Zulieferern, die Weitergabe von Inflationskosten an Kunden sowie das Angebot an die gesamte Belegschaft, für den Verzicht auf Gehalt zusätzliche Urlaubstage zu erhalten.

Die jetzt vorgestellten Einsparungen von sechs Milliarden Euro sind nach Angaben des Unternehmens die Voraussetzung für die in den nächsten Jahren geplanten Investitionen. „Von der verbesserten Kostenbasis aus sollen wie geplant in den Jahren 2024 bis 2026 insgesamt 18 Milliarden Euro investiert werden – davon bis zu 30 Prozent in Deutschland, wenn die Wettbewerbsfähigkeit stimmt“, sagte der Sprecher.

Wettbewerbsfähig sind nach den Ausführungen von Laier und Corzilius Standorte, wenn sie ein Bruttoergebnis von zehn Prozent des Standortumsatzes erwirtschaften. Werke, die nicht so profi­tabel seien, stehen deshalb in Zukunft besonders im Fokus. Auf Nachfrage wollte ZF die Zielmarke nicht kommentieren. „Klar ist, dass vom Bruttoergebnis auf Werksebene jeweils die üblichen Umlagen für Vertrieb, für Entwicklung und für allgemeine Verwaltung abgezogen werden und unterm Strich ein positives Ergebnis stehen muss“, sagte der Sprecher.

Der Konzern steckt seit Längerem in einer schwierigen Lage. Getriebe, viele Jahrzehnte lang das Kernprodukt des Unternehmens, werden im Zeitalter der Elektromobilität nicht mehr so sehr benötigt wie zuvor. Schulden im Zuge der Übernahmen, die sich auf rund zehn Milliarden belaufen, belasten ZF ebenso wie Investitionskosten für den Aufbau von Werken für die Elektromobilität. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete ZF bei einem Umsatz von 46,6 Milliarden Euro eine operative Rendite (Ebit) von 5,1 Prozent. Vor allem um die Schulden in den Griff zu bekommen, beendete der Konzern zuletzt die kostenintensive Entwicklung von autonom fahrenden Shuttles, gliederte die Produktion von elektrischen Achsen in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem taiwanischen Elektronikkonzern Foxconn aus und sucht nach einem Käufer für die profitable Airbag-Sparte, die zuletzt 4,6 Milliarden Umsatz erlöst hat. Auch ein Börsengang für den Bereich kommt in Frage, wenn sich kein Käufer findet.

Klar ist, dass ZF in Deutschland künftig weniger Mitarbeiter beschäftigen wird. Von global 169.000 Mitarbeitern arbeiten derzeit 54.000 hierzulande. „Die Zahl wird sinken. ZF nutzt den demographischen Wandel und die Fluktuation zur Stellenreduzierung, kann also weiche Maßnahmen nutzen, wenn der Prozess frühzeitig genug angegangen wird“, sagte der Sprecher. Die Beschäftigungssicherungen an den meisten hiesigen Standorten laufen Ende 2026 aus. Am Jahresanfang hatten Arbeit­nehmervertreter des Autozulieferers von 12.000 Stellen gesprochen, die bei ZF zur Disposition stehen. Diese Zahlen wollten jetzt aber weder Unternehmen noch Gesamtbetriebsrat kommentieren.