Zu Händen den Winter: Alltagstaugliches hinaus die Ohren

Die Temperaturen sinken, die Tage werden kürzer. Es lässt sich nicht länger leugnen: Auch dieses Jahr wird es Winter werden. Gut, wenn es ausreichend Stoff zum Hören auf die Ohren gibt. Herzensempfehlung des Autors: „The Wirecutter Show“


Praxiswissen erfahren Hörer*innen von „The Wirecutter Show“, und lernen nebenbei einiges über die Gesellschaft

Foto: Imago/Depositphotos


Jetzt beginnt also wieder diese Zeit des Jahres, in der wir sorgenvoll einer schier endlosen Zahl kurzer, dunkler Tage entgegenblicken. Anpassungsfähig, wie der Mensch ist, hat er sich für diese Zeit jedoch Tätigkeiten ersonnen, die das Wohlbefinden steigern sollen. Und so treten wir jetzt also in die Phase des Nestbaus ein: Es wird aufgeräumt, ausgemistet, umgestellt und neu gekauft. Das klingt nicht glamourös, finden Sie? Wir sprechen uns noch mal Anfang Dezember. Wenn Tageslicht nur noch von 10 bis 16 Uhr zu erahnen ist, wird sogar der Staubsauger-Test zur willkommenen Ablenkung.

Ich für meinen Teil bin schon mittendrin in dieser Phase. Vor allem, seit ich auf The Wirecutter Show gestoßen bin. Den Podcast der New York Times gibt es erst seit ein paar Wochen, aber seitdem bin ich „hooked“, wie man so sagt, gefangen in einer Mischung aus Faszination, Amüsement und – so ehrlich muss ich sein – Neugier auf die Inhalte.

Wirecutter ist eine Produkttest- und Ratgeber-Seite, die 2016 für 30 Millionen Dollar von der New York Times gekauft und in deren Angebot integriert worden ist. Inzwischen testen dort 140 Journalist:innen Produkte und bieten von der Vielfalt der kapitalistischen Angebotswelt erschlagenen Konsument:innen wie mir Orientierung. Von Kratzbäumen für Katzen über Laufbänder bis hin zu Staubsaugern wird hier alles getestet, auch unter Langzeitbelastung und unter Berücksichtigung quasi aller Eventualitäten.

Diese Tests sind unabhängig, das zu betonen ist der Redaktion wichtig. The Wirecutter Show hebt dieses Prinzip nun in die Podcast-Welt. Einmal die Woche unterhalten sich die Hosts Caira Blackwell, Christine Cyr Clisset und Rosie Guerin mit wechselnden Gästen aus der Wirecutter-Redaktion über Alltagsgegenstände und Lifehacks, die das Leben besser machen.

Wahnsinnig spießig? Gar nicht!

Während sich andere jetzt also vor dem Herbst fürchten, sitze ich auf der Couch und lerne, wie man Flecken entfernt (und was die Wirecutter-Redaktion alles unternimmt, um Flecken in Klamotten zu bekommen, um sie hinterher wieder von den zu testenden Waschmitteln entfernen zu lassen). Ich erfahre, wie ich mich auf die Apokalypse vorbereite und welche Tupperdose mir dabei hilft, weniger Essen wegzuschmeißen. Ich schmiede Pläne, mir diesen Winter eine neue Waschmaschine zuzulegen, weil ich inzwischen weiß, dass Frontlader besser waschen als Toplader. Nebenbei bekomme ich die Gratiserkenntnis für Podcast-Kolumnisten: Es lässt sich wirklich alles verlaberpodcasten – sogar Flecken-weg-Waschmittel.

Man könnte das alles jetzt als wahnsinnig spießig abtun, als seltsame Mischung à la „frag-mutti.de trifft New York Times“. Da ist natürlich auch etwas dran. Aber wenn wir uns ehrlich machen, wollen wir diese Dinge eben wissen. Das ist Praxiswissen, das zu verschmähen fahrlässig wäre. Eine Show, die verspricht, mir zu verraten, welcher Stabmixer ein Leben lang hält oder ob mich mein smartes Türschloss ausspioniert, hat das Zeug zum „guilty pleasure“. Dass ein Medium wie die New York Times eben damit noch Platz auf dem Podcast-Markt zu finden meint, lehrt darüber hinaus aber auch einiges über den aktuellen Medienmarkt. Überhaupt ist das Hören der Wirecutter Show gerade auf der Meta-Ebene lehrreich. Weil man viel über eine Gesellschaft lernt, wenn man sich anschaut, welcher Rat gefragt zu sein scheint: Kinder tracken, Luftfilter in der Waldbrandsaison, Vibratoren – wenn das mal kein Querschnitt menschlicher Bedürfnisse der Gegenwart ist.

Den gibt es aktuell auf die US-Gesellschaft gemünzt – aber wenn Sie mich fragen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Formate es auch bei großen deutschen Medienmarken ins Podcast-Portfolio schaffen. Im Land der Laubbläser und Tischstaubsauger gibt es bestimmt einige Produkte zu testen – und zu besprechen.

Podcasttagebuch

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen. Als Product Owner Digital überlegt er, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts

Podcasttagebuch

Placeholder image-1

Benjamin Knödler studierte Philosophie und Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) und sammelte nebenbei erste journalistische Erfahrungen. Als Product Owner Digital überlegt er, was der Freitag braucht, um auch im Netz möglichst viel Anklang zu finden. Daneben schreibt er weiterhin Texte – über Mieten, Stadtentwicklung und Podcasts