Ziel erreicht, doch innerlich leer? Warum uns Erfolge oft nicht glücklich zeugen
Berlin-Marathon, die letzten Meter: Die Zuschauer*innen jubeln, die Beine brennen, jeder Atemzug fällt schwer. Endlich die Ziellinie in Sicht – geschafft! Doch anstatt purer Euphorie breitet sich in Ihnen eine seltsame Leere aus. Die Medaille hängt um den Hals, der Triumph fühlt sich kleiner an, als er sollte.
Vielleicht kennen Sie dieses Gefühl auch anderswo: Der Studienabschluss, jahrelang haben Sie darauf hingearbeitet, unzählige Prüfungen, Stress, alles andere hintenangestellt. Plötzlich ist alles erreicht – aber das erwartete Glücksgefühl, der Stolz auf die eigene Leistung bleibt aus. Wie kann das sein?
Psycholog*innen sehen dafür mehrere Ursachen. Einerseits verlieren Menschen nach dem Erreichen eines großen Ziels plötzlich ihren inneren Fixpunkt. Prof. Dr. Astrid Schütz von der Universität Bamberg erklärt: „Häufig fokussieren Menschen sehr stark auf ein bestimmtes Ziel und vernachlässigen andere Aspekte ihres Lebens. Ist das Ziel erreicht, entsteht Leere.“ Die Struktur, die über Wochen oder Monate Halt gegeben hat, fällt weg – es bleibt ein mentales Vakuum.
Was persönlichen Erfolg ausmacht
Andererseits spielt die Art der Motivation eine Rolle. Schütz unterscheidet dabei zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation. Wer aus innerer Überzeugung handelt – etwa aus Freude am Lernen, aus Neugier oder einem persönlichen Wert – erlebt Erfolge meist als befriedigender. Wer hingegen primär von äußeren Anreizen wie Geld, Status oder Anerkennung getrieben ist, läuft Gefahr, sich nach Zielerreichung leer zu fühlen. Denn die äußeren Belohnungen reichen oft nicht aus, um ein dauerhaftes Gefühl von Sinn zu erzeugen.
Intrinsisch motivierte Menschen identifizieren sich mit ihrem Ziel – es ist Ausdruck ihrer Persönlichkeit. „Man fühlt sich mit dem Ziel verbunden“, erklärt die Psychologin, die sich mit Fragen des Selbstwerts und der Bewältigung sozialer und emotionaler Herausforderungen beschäftigt. „Ein Erfolg kann in das Selbstbild integriert werden und lässt Stolz entstehen.“
Problematisch wird es hingegen, wenn Ziele nicht aus einem selbst kommen, sondern vor allem durch äußere Einflüsse wie Werbung oder gesellschaftliche Erwartungen entstehen. In einer Studie mit dem Ökonomen Namho Kim zeigte Schütz, dass solche Ziele oft als wenig befriedigend erlebt werden. „Authentisches Glück entsteht nur durch Ziele, die mit den psychologischen Grundbedürfnissen nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit im Sinne der Selbstbestimmungstheorie verknüpft sind.“
Die eigene Motivation finden
Entscheidend ist also nicht nur, dass wir ein Ziel verfolgen, sondern auch warum. Die erste Frage ist also: Verfolgen Sie Ihre Ziele aus Überzeugung – oder weil es von Ihnen erwartet wird? Manchmal ist dieser Unterschied gar nicht so leicht zu erkennen. Ein Studium zum Beispiel kann sich wie ein eigenes Ziel anfühlen – tatsächlich wird es aber oft begonnen, weil „man eben einen Abschluss braucht“ oder weil es gesellschaftlich erwartet wird. Ähnlich verhält es sich mit Lebensentscheidungen wie der Familiengründung: Manche spüren einen tiefen Wunsch nach Kindern, andere erfüllen eher ein gesellschaftliches Ideal, ohne sich der eigenen Beweggründe wirklich bewusst zu sein. Bleibt die innere Stimme dabei ungehört, kann selbst das Erreichen solch großer Ziele überraschend unbefriedigend wirken.
Umso wichtiger ist es, sich immer wieder zu fragen: Will ich das wirklich – oder glaube ich nur, es zu wollen? Natürlich gibt es Dinge, die im Leben schlicht notwendig sind, etwa arbeiten, um Geld zu verdienen. Doch wer sich seiner Motive bewusst ist, kann neben diesen Pflichten auch Raum für echte, tief verwurzelte Träume schaffen – deren Erfüllung uns meist auf einer ganz anderen Ebene glücklich macht.
Dazu kommt noch etwas: Wir gewöhnen uns schnell an Erfolge. Was gestern groß erschien, ist heute selbstverständlich.
Erfolge bewusst wahrnehmen
Und dann sind da noch wir selbst. Unser Verstand, der im Moment des Erfolgs schon den nächsten Haken auf der Liste sucht. Statt den Augenblick zu feiern, gehen wir weiter, jagen das nächste Ziel. Schütz sagt, gerade erfolgreiche Menschen neigen dazu, nach dem Erreichen eines Ziels sofort das nächste zu suchen – was als Ehrgeiz gilt, tatsächlich aber oft Selbstanerkennung verhindert. Diese Dynamik wird zusätzlich durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen verstärkt. In einer Welt, die ständige Weiterentwicklung verlangt, fällt das Innehalten oft schwer. Erfolg wird selten als Abschluss erlebt – eher als Übergang zum nächsten Projekt.
Oder denken Sie an kleine große Ziele, die Sie vielleicht schon erreicht haben, ohne es wirklich wahrgenommen zu haben: die eigene Fitness verbessert, eine neue Sprache gelernt, den Traum vom eigenen Hund verwirklicht – oder etwas anderes, das Sie sich lange gewünscht und eigenhändig umgesetzt haben – und nie richtig gefeiert. Irgendwann war das vielleicht mal Ihr Ziel, wo Sie jetzt sind. All das sind kleine Erfolge, die glücklich machen, und doch gehen wir im Alltag schnell darüber hinweg, als wären wir nie wirklich angekommen.
Dabei ist Stolz ein wichtiges Gefühl. Nicht, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen, sondern weil Stolz das Selbstbild stärkt, uns Resilienz schenkt und uns hilft, schwierige Zeiten zu meistern. Wer nie stolz auf sich sein kann, beraubt sich einer inneren Kraftquelle.
Was es für echte Zufriedenheit braucht
Wer ein Ziel aus echter Überzeugung verfolgt, erlebt den Erfolg meist als besonders erfüllend. Letztlich ist auch die Qualität des Ziels entscheidend, so Schütz. Zu hohe Ziele frustrieren, zu niedrige Ziele – oft aus Angst vor Misserfolg gewählt – bieten keine echte Wachstumschance. „Menschen mit stabilem Selbstwert tendieren dazu, sich herausfordernde, aber realistische Ziele zu setzen – und erleben Erfolg dadurch nicht nur als Moment, sondern als Teil eines erfüllenden Lebenswegs.“
Genießen zu können, was man erreicht hat, ist genauso wichtig wie neue Ziele zu verfolgen, ergänzt sie. Denn oft liegt das Glück nicht nur im Ziel selbst, sondern im Weg dorthin – im Prozess des Wachsens. Es ist okay, nach vorne zu schauen – aber ebenso wichtig, zwischendurch innezuhalten. Eine Möglichkeit: Erfolg im Tagebuch festhalten oder einen Moment nur für sich nehmen und sagen: „Ich habe das geschafft. Das darf ich fühlen.“ Gut tut es auch, Erfolge mit anderen zu teilen – zum Beispiel, indem materielle Gewinne für gemeinsame Aktivitäten genutzt werden, da diese langfristiger glücklich machen als etwa Konsumgüter, rät die Psychologin.
Erfolge müssen nicht automatisch glücklich machen – aber sie können es, wenn sie zu uns passen, bewusst wahrgenommen und emotional verankert werden. Und manchmal lohnt es vielleicht, das frühere Ich zu besuchen, das genau dieses Ziel ersehnt hat – und ihm stolz zuzuwinken.