Zaho de Sagazan: Tanz den Widerspruch
Die Blutquelle, La fontaine de sang, so heißt das erste Lied, das sie an diesem Abend singt, nach dem Gedicht von Charles Baudelaire. Sie singt von metzelnden Männern, getöteten Kindern, von sprudelndem Blut, vom Fließen und Plündern, sie singt dies mit der schönsten und dunkelsten Chansonstimme, die man sich wünschen kann, während hinter ihr jemand an zwei übermannsgroßen sehr alten Modularsynthesizern an Knöpfchen dreht und Kabelklinken in Buchsen stöpselt und wieder aus diesen herauszieht. Viele bunte Lichter blinken an diesen Geräten, sodass es fast so aussieht, als ob die Sängerin sich einen eigenen Sternenhimmel mitgebracht hat. Unter ihrer Stimme brummt und zischelt und schwirrt es elektrisch, bis die Stimme sich mit den Geräuschen darunter verbindet und plötzlich selbst in Sternschnuppenschwärme zerstäubt, „bs-bs-s-da-a-bs-ds, sa-a-a-a-ng da-da-da-da-da“, was sie singt, wird nun elektronisch manipuliert und multipliziert, sie singt mit sich selbst im Chor und wird von ständig die Tonhöhen wechselnden Klangfragmenten umschwirrt, manche erinnern an dunkel brummende Mönche, andere an quiekende Backenhörnchen auf Speed. Einen Moment lang wirkt es dadurch, als ob die Sängerin die Kontrolle über ihre Stimme verliert und also über die Gesamtsituation in diesem Konzert – in Wirklichkeit aber weiß sie jederzeit, was sie tut, und so formt sie im nächsten Moment mit ihrer Band aus den stotternden Sounds einen treibenden Beat, und der Konzertsaal verwandelt sich in einen Dancefloor: bluten, fließen, quieken, tanzen.