Z. Hd. Pechstein geht es heute um acht Millionen Euro
Seit mehr als 15 Jahren kämpft Claudia Pechstein gegen den Eislauf-Weltverband wegen einer Dopingsperre. Bei der Millionenklage geht es der fünfmaligen Olympiasiegerin nicht nur ums Geld. Ihr fehlt ein letzter Teil der Rehabilitierung.
Claudia Pechstein beweist nicht nur auf dem Eis Stehvermögen. Nach einem 15 Jahre währenden juristischen Marathon durch Sport- und Zivilgerichte verhandelt das Oberlandesgericht (OLG) München an diesem Donnerstag (13.00 Uhr) die Millionenklage der inzwischen 52 Jahre alten Berlinerin. Die fünfmalige Eisschnelllauf-Olympiasiegerin will vom Eislauf-Weltverband Isu viel Geld, weil dieser sie nach ihrer Meinung zu Unrecht für zwei Jahre wegen Dopings gesperrt hatte. „Seit mehr als 15 Jahren werde ich vom Weltverband als Dopingsünderin diffamiert. Das muss ein Ende haben“, sagte Pechstein. WELT beantwortet die wichtigsten Fragen zu diesem Fall.
Worum geht es? Claudia Pechstein hat den Eislauf-Weltverband Isu auf Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen einer 2009 verhängten Dopingsperre verklagt. Aus Pechsteins Sicht war die Sperre nicht rechtens. In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen U 1110/14 Kart geht es um eine Summe von rund acht Millionen Euro.
Was ist der Ursprung des Verfahrens? Am 1. Juli 2009 sperrt die Isu Claudia Pechstein rückwirkend zum 9. Februar 2009 wegen Verstoßes gegen die Anti-Doping-Regeln für zwei Jahre. Sie sei „verantwortlich für die Anwendung der verbotenen Methode des Blutdopings“, heißt es in der Begründung. Grundlage für die Entscheidung sind überhöhte Werte von Retikulozyten, die bei Blutkontrollen bei der Mehrkampf-WM vom 7. bis 9. Februar 2009 im norwegischen Hamar durchgeführt wurden.
Wie ging es weiter? Die weiter aktive Sportlerin bestreitet, jemals gedopt zu haben. Sie ruft den Internationalen Sportgerichtshof Cas an. Dieser bestätigt am 25. November 2009 die Entscheidung der Isu, datiert die Sperre aber auf den 8. Februar zurück. Mit einem anschließenden Revisionsverfahren zum Cas-Urteil am Schweizer Bundesgericht in Bern scheitert die Berlinerin.
Wie begründet Claudia Pechstein ihre Unschuld? Retikulozyten sind „junge“ rote Blutkörperchen, die nur eine kurze Zeit lang nachweisbar sind, ehe sie zu „erwachsenen“ Blutkörperchen werden. Diese sind für den Sauerstofftransport im Körper zuständig. Bereits bei der Anhörung vor der Disziplinarkommission führt sie an, dass die erhöhten Werte durch eine „angeborene Blutkrankheit“ erklärt werden können. Tatsächlich wird bei Pechstein eine vom Vater vererbte Blutanomalie (Sphärozytose) festgestellt. Auch nach Ablauf ihrer Sperre bleiben die Retikulozyten-Werte höher als erlaubt, Sanktionen durch die Isu erfolgen jedoch nicht mehr.
Warum wird der Fall nach so langer Zeit immer noch verhandelt? Mit dem Cas-Urteil startet Claudia Pechstein einen Prozess-Marathon. Während ihre Anwälte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anrufen, reichen sie 2012 Klage am Landgericht München auf Schadenersatz und Schmerzensgeld ein (Az. 37 O 28331/12). Diese wird am 26. Februar 2014 abgewiesen. Durch die Berufung des Pechstein-Teams landet der Fall zum ersten Mal am OLG München, das sich am 15. Januar 2015 für zuständig erklärt – ein erster juristischer Erfolg für die Olympiasiegerin. Das OLG begründet seine Entscheidung damit, dass eine zwischen Pechstein und der Isu 2009 getroffene Schiedsvereinbarung aus kartellrechtlichen Gründen unwirksam sei und es daher den Spruch des Cas nicht anerkenne.
Wie kamen Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht ins Spiel? Der Eislauf-Weltverband legt Revision gegen das OLG-Urteil beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Dieser kassiert im Verfahren mit dem Aktenzeichen KZR 6/15 am 7. Juni 2016 das Münchner Urteil. Daraufhin legen Pechsteins Rechtsvertreter Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein, das aber erst sechs Jahre später ein Urteil fällt. In der Zwischenzeit feiert Pechstein einen zweiten juristischen Erfolg: Der EGMR in Straßburg stellt fest, dass sie vor dem Cas mangels Öffentlichkeit kein faires Verfahren hatte und spricht ihr 8000 Euro Entschädigung zu.
Wie ging es in der Zwischenzeit sportlich für Claudia Pechstein weiter? Nach Ablauf ihrer Sperre am 8. Februar 2011 qualifiziert sich die mittlerweile 38-Jährige bei den deutschen Meisterschaften in Erfurt für den Weltcup. Es folgen sechsmal WM-Bronze und einmal -Silber sowie einmal EM-Silber. 2014 in Sotschi, 2018 in Pyeongchang und 2022 in Peking startet sie bei Olympischen Winterspielen. Mit insgesamt acht Olympia-Teilnahmen stellt sie einen Rekord auf. In Peking ist sie gemeinsam mit Bob-Ass Francesco Friedrich Fahnenträgerin der deutschen Mannschaft bei der Eröffnungsfeier. 2023 gewinnt sie ihren insgesamt 43. deutschen Meistertitel.
Moralisch sei sie längst rehabilitiert, sagt Pechstein
Wann und wie hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt? Am 12. Juni 2022 – fast vier Monate nach den Peking-Spielen – feiert Claudia Pechstein ihren bislang wohl größten juristischen Erfolg. Die Karlsruher Verfassungsrichter geben ihrer Beschwerde statt (Az. 1 BvR 2103/16), das BGH-Urteil ist gegenstandslos. Damit ist der Weg frei für die Fortsetzung des Prozesses am OLG München. Anfang 2023 reichen ihre Anwälte die angepasste Klage ein, in der unter anderem die Klagesumme von 4,4 Millionen Euro aus dem Jahr 2014 auf nun rund acht Millionen Euro erhöht wurde.
Was sagt Claudia Pechstein? Sie sehe der Verhandlung mit der Erwartung entgegen, dass ihr endlich Gerechtigkeit widerfahre, sagt sie. Moralisch sei sie längst rehabilitiert, nachdem der Deutsche Olympische Sportbund bereits Anfang 2015 betont habe, dass sie Opfer und nicht Täter sei. „Allerdings fehlt noch die juristische Rehabilitierung. Darauf arbeite ich seit mehr als 15 Jahren hin. Wir sind vor dem gleichen Gericht, das bereits vor zehn Jahren in Richtung Isu erklärt hat, dass bei einer Verhandlung in der Sache der Weltverband beweisen müsse, dass ich gedopt habe. Einen solchen Beweis kann es nicht geben. Denn ich habe nie gedopt. Insofern blicke ich voller Zuversicht auf die Verhandlung.“
Wie ist die Position der Isu? Bislang ist der Weltverband nicht davon abgerückt, dass die Sperre rechtens war. Man werde alle Möglichkeiten prüfen, hieß es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2022. Eine aktuelle dpa-Anfrage ließ die Isu unbeantwortet. Es wäre eine Überraschung, sollte die Isu noch einen Vergleichsvorschlag vorlegen. Claudia Pechstein sei gesprächsbereit, „wenn die Isu endlich bereit ist, einzuräumen, dass es falsch war, mich zu sperren“.
dpa/pk
Source: welt.de