Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke! Fünf kapitalismuskritische Weihnachtsfilme

1. „Die Glücksritter“ von John Landis: So trickst man Börsengurus aus

Einer der kapitalismuskritischsten Weihnachtsfilme ist die grandiose Komödie Die Glücksritter(Trading Places)von John Landis aus dem Jahr 1983. Erstmalig tritt hier Eddie Murphy auf der großen Leinwand auf. Der aufstrebende Superstar spielt den Straßengauner Billy Ray Valentine, der durch die Machenschaften der altgrauen Gebrüder Duke sich plötzlich im Rollentausch mit Louis Winthorpe III wiederfindet. Dieser (Dan Akroyd) ist der schnöselige und verzogene Geschäftsführer der Brokerfirma der perfiden und gelangweilten Duke-Brüder, die auf der Wall Street ihr Unwesen treibt. Sie beschließen das soziale Experiment während ihrer elitären Weihnachtsfeier auf dem eigenen Luxusanwesen.

Inspiriert wurde der Film von der Mark-Twain-Geschichte Der Prinz und der Bettelknabe. Und auch hier weiß sich der Bettelknabe Billy Ray dank seiner Bauernschläue und mit Streetknowledge im Wall-Street-Business bestens durchzusetzen, wohingegen Louis an den einfachsten Alltagsaufgaben zu scheitern droht. Der Absturz ist komplett, als er sich im Santa-Claus-Kostüm volltrunken in einem Drogen- und Sexskandal verzettelt. Statt Marionetten der Duke-Brüder zu bleiben, kreuzen sich die Wege von Billy und Louis und in einem fulminanten Finale an der New Yorker Rohstoffbörse kurz nach den Feiertagen tricksen die ungleichen Partner gemeinsam die mächtigen Dukes aus.

Der Film wurde für seine Akkuratesse gelobt, weil er das Treiben und das hinterhältige Spiel auf den Börsenmärkten so gut abbildete, dass daraus im Fachjargon sogar die „Eddy-Murphy-Rule“ wurde. Erst nach der Finanzkrise 2008 wurde diese Form des Insiderhandels verboten. Der Sieg gegen die Dukes wird in dem Film groß gefeiert, ist aber keiner, der das System nachhaltig beeinflussen konnte. Das wusste auch schon John Landis. Dennoch zeigte er, wie politisch Komödien sein können, vor allem, wenn sie mit den Jahrzehnten zunehmende Relevanz bekommen. Ji-Hun Kim

2. Netflix‘ „Jingle Bell Heist – Der große Weihnachtsraub“: Es geht auch ohne verschneite Kleinstadt

Die Weihnachtsfilme, die Netflix als Jahresendroutine herausbringt, sind inzwischen mehr Running Gag als Filmgenre. Wie oft kann man den Plot von der karrierebesessenen Frau aus der Stadt wiederholen, die in die verschneite Kleinstadt kommt und dort den Geist der Weihnacht und dazu einen schönen Mann findet? Wieviel Prinzessinnen und Bäckerinnen, die wie Vanessa Hutchinson aussehen, werden in fiktiven europäischen Königreichen noch die Rollen tauschen? In dieser Saison aber startete mit Jingle Bell Heist – Der große Weihnachtsraub ein Film, der von den etablierten Klischees tatsächlich etwas abweicht.

Das beginnt schon damit, dass die Handlung nicht in einem erfundenen Winterweißland stattfindet, sondern im realen London und sogar erkennbar dort gedreht wurde. Ein anders, fast erschreckend reales Element des Plots ist die Lebenssituation der Heldin Sophia (Olivia Holt). Selbst Amerikanerin, ist sie mit ihrer britischen Mutter nach London zurückgezogen, damit diese sich dank NHS die Behandlung gegen ihren Krebs leisten kann. Dann müssen Mutter und Tochter erfahren, dass auch ein System wie die Nationale Gesundheitsfürsorge Großbritanniens nicht alles bezahlt. Weshalb die als Verkäuferin in einem Kaufhaus jobbende Sophia ein Auge auf die sie umgebenden Schätze wirft. Nur dass sie beim Ausspähen der geeigneten Beute beobachtet wird, und zwar von Nick (Connor Swindles), einem ehemaligen Security-Mitarbeiter des Kaufhauses, der selbst wegen Diebstahls schon mal im Gefängnis saß. Es stellt sich heraus, dass der geschiedene Vater einer kleinen Tochter ebenfalls vorhat, dem Besitzer des Kaufhauses, ein arroganter Oligarch namens Maxwell Sterling (Peter Serafinowicz), eins auszuwischen. Die beiden vom kapitalistischen System Erniedrigten und Beleidigten tun sich zusammen und planen den großen Coup – an Heiligabend.

Mit zwei überraschend charmanten und sogar gut zusammenpassenden Hauptdarstellern – es ist eine Freude, den in Sex Education den tumben Bully spielenden Connor Swindles hier als smarten Nachwuchs-Meisterdieb agieren zu sehen – und einer in sich logischen Handlung mit realem Blick auf soziale Verhältnisse stellt Jingle Bell Heist das rare Beispiel eines Netflix-Weihnachtsfilms dar, der einem nicht peinlich sein muss. Für den von zu viel Essen und Familie ermüdeten Geist, der allenfalls mit halber Konzentration einem übersichtlichen Plot und nicht allzu komplexen Figuren folgen kann, ist es die ideale Unterhaltung. Barbara Schweizerhof

3. Billy Wilders „Das Appartement“: Die witzigste Büro-Weihnachtsfeier

CC Baxter (Jack Lemmon), ein kleiner Angestellter in einem großen Versicherungskonzern, stellt seine Junggesellenwohnung in New York seinen Vorgesetzten für deren Affären zur Verfügung. Währenddessen darf er sich im Central Park den Hintern abfrieren und hofft für diese Entbehrungen auf eine Beförderung. Er ist sehr in die Fahrstuhlführerin Fran Kubelik (Shirley MacLaine) verliebt, doch der arme Baxter darf bald feststellen, dass sein Konzernchef Sheldrake sie auch in seine Wohnung entführt. Der liebenswerte Narr muss sich in diesem charmanten Schwarzweißfilm entscheiden: Will er für seine Karriere die Liebe opfern?

Billy Wilders Komödie ist sicher kein klassischer Weihnachtsfilm, aber es gibt eine der witzigsten Büro-Weihnachtsfeiern überhaupt zu sehen. Diese Szene wurde auch tatsächlich am 23. Dezember 1959 gefilmt, sodass alle Statisten in entsprechender Stimmung waren. Neben trunkenen, flirtenden Weihnachtsfeierszenen wird hier auch der Beginn des typischen zermürbenden 9-to-5-Corporate-Lebens gezeigt. Die Kapitalismuskritik wird im Büroalltag deutlich: Die gierigen Bosse, die offenbar eh nicht wirklich arbeiten und Frauen sowie untergebenes Personal ausbeuten. Man fragt sich, was sich Baxter eigentlich von einem größeren Büro erhofft, wenn er dafür kaum in seinem Bett schlafen darf.

Der Film ist erstaunlich gut gealtert. Fran macht sich keine Illusionen über die Ambitionen ihres Bosses. Sie bezaubert mit ihrem Look – Kurzhaarschnitt und Uniform – und begegnet etwaigem Sexismus mit frechen, klugen Sprüchen. Und auch Baxter, anfangs der kleine Mann im großen Konzern und zunächst als untergebener Spielball zwischen seinen moralisch fragwürdigen Chefs inszeniert, mausert sich mit seinem Humor und Anstand zu einem sympathischen Helden. Susann Kim-Massute

4. „Mickys Weihnachtserzählung“: Dagobert Duck als Ebenezer Scrooge

Eine Warnung vorweg: Wer auf einer endlosen Zugfahrt vor Weihnachten der Versuchung erliegt, die Lage im Familienabteil durch den Kauf einer Micky-Maus-Wundertüte (zwei Hefte, zahlreiche Gimmicks) zu befrieden, wird für den Rest der Strecke mit hanebüchenen Plots und lauen Kalauern bestraft. Waren die Hefte immer schon so schlecht? War Donald früher schon so nervig? Micky dieser betuliche Langweiler? Bei aller Liebe zum gedruckten Wort empfehle ich als letzte Reserve auf langen Fahrten statt Micky-Maus-Zeitschriften dringend Kopfhörer, Tablet und Disneys Variation auf Charles Dickens Christmas Carol. Dagobert Duck brilliert als der misanthrope Kapitalist Ebenezer Scrooge, Donald ist in der Rolle des großherzigen, tollpatschigen Neffen Fred sein bestes Selbst. Herzerweichend: Micky als Scrooges Angestellter und Prügelknabe Bob Cratchit, den die Sorge um seinen kranken Sohn Timmy auffrisst. Die wohl überraschendste Besetzung ist Scrooges alter Geschäftspartner, ein Geizhals wie er, der die Witwen ausraubte und die Armen betrog. Dieser Jacob Marley, der Scrooge als Untoter heimsucht, ist für alle Zeiten an Spardosen gefesselt und erhält eine erfrischende Slapstick-Note durch Mickys schusseligen Freund Goofy (Dickens schwebte wahrscheinlich auch nicht unbedingt ein Sparschweinderl an den Ketten vor).

Wirklich fantastisch wird diese Filmadaption, als die Geister der vergangenen, der jetzigen und der künftigen Weihnacht ihre Auftritte haben und Scrooge vorführen, in welches Elend seine korrupte Gewinnmaximierung andere stürzt und dass er einsam verenden wird. Echt gruselig: Kater Karlo als zigarrepaffender Geist der künftigen Weihnacht in Mönchskutte. Aus dem Ekel Ebenezer Scrooge, der Weihnachten für Humbug hielt, wird so ein Philanthrop, der mit vollen Händen gibt. Vorlage und Film belassen es aber nicht bei Almosen: Am Ende erhält Bob Cratchit eine Gehaltserhöhung und wird zum Partner gemacht. Und so ist A Christmas Carol auch in der Micky-Maus-Version nicht nur eine Lektion in Sachen Barmherzigkeit sondern identifiziert sozialen Aufstieg als Motor für gesellschaftliche Veränderung. Christine Käppeler

5. „Stirb Langsam“ mit Bruce Willis: Einer gegen alle im Unterhemd

Die Diskussion ist selbst schon ein Weihnachtsritual geworden. Ist Stirb Langsam ein Weihnachtsfilm? Es ist eine jener Fragen, für die die sozialen Medien um 2010 wie gemacht schienen; scherzhaft in den anonymisierten öffentlichen Raum geworfene Provokationen, die zum spielerischen Pro und Kontra aufriefen. Es waren selige Zeiten; von „Ragebaiting“ war noch keine Rede; Ironie wurde noch verstanden. Zumindest hat man daran geglaubt.

Die augenzwinkernden Argumente für die Pro-Seite liegen jedenfalls auf der Hand: Die gesamte Handlung – bestehend aus Bruce Willis im Unterhemd, der es im Alleingang mit einem mörderischen Trupp von deutsch sprechenden, blonden Proto-Nazis aufnimmt – spielt sich während einer Weihnachtsfeier an Heiligabend ab. Weihnachtsbäume, -pullover, -dekorationen und -musik sind omnipräsent. Und mehr noch, wie in jedem zünftigen Weihnachtsfilm geht es letztlich um eine Läuterung, um die Zusammenführung einer Familie, um Solidarität untereinander und darum, anderen Gutes zu tun.

Hier wird es natürlich auch schon haarig von wegen weihnachtlicher Versöhnung und Wohlwollen, schließlich kommen sämtliche Bösewichte zu Tode, und das auf Weisen, die szenisch reichlich ausgekostet werden, mit spritzendem Blut, ratternden Schüssen und einem spektakulären Fall. Hinzu kommt der demonstrative Zynismus der Hauptfigur John McClane, die gleichzeitig zum Markenzeichen von Bruce Willis wurde. „Yippee-Ki-Yay – Motherfucker!““, oder wie die kongeniale deutsche Übersetzung mit der Stimme von Manfred Lehmann lautete: „Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke“. Nicht gerade christlich.

Die längste Zeit galt Stirb Langsam (mit seinen vier Nachfolge-Filmen) in erster Linie als Action-Klassiker, diskutiert wurde allenfalls über den Wechsel von weißem zu braunem Unterhemd, den Bruce Willis in der Mitte des Films vollzieht, einer der berühmtesten Anschlussfehler der Filmgeschichte. Dass der Film aber neben den saison-gerecht sentimentalen Klassikern wie Ist das Leben nicht schön? mittlerweile in Jahresend-Rituale eingebunden wird, bezeugt eine ungebrochene Popularität, die allein mit „gut gemacht“ nicht erklärt werden kann.

Es gibt da nämlich noch eine weitere Ebene, und die hat etwas mit dem Klassenbewusstsein zu tun, das der ganzen Geschichte unterlegt ist. Von Anfang an verkörpert Bruce Willis als John McClane auf seine Weise den Proletarier, der nicht nach Kalifornien passt, dessen Lebensweise überholt scheint von der durch globale Korporationen entwickelten Technologie, die auch noch ausgerechnet seine eigene Frau „geschluckt“ haben. Sein „Einer gegen Alle“-Kampf im Unterhemd durch die oberen Etagen des Nakatomi Plaza ist gewissermaßen ein Aufbäumen gegen den Neoliberalismus, erkennbar auch an der Gegensätzlichkeit von denen, die sich am Fuße des Gebäudes gegen oder für ihn positionieren. Der schmierige Journalist interessiert sich nur für seine eigene Reichweite, das FBI setzt sich kalt über mögliche Opfer hinweg, der Polizeichef droht ihm noch hinterher mit Sanktionen. Zu McClane halten bezeichnenderweise zwei Afroamerikaner: einerseits der jugendliche, Hip-Hop-lauschende Limofahrer und andererseits ein einfacher Straßenpolizist und Amtskollege. Letzterer bekundet seine Solidarität per Funkverbindung: „We are rooting for you!“. Der Moment, als diese zwei Männer, die sich vorher gar nicht kannten, in den Armen liegen, ist das eigentliche Happy End. Eigentlich doch auch wieder sehr weihnachtlich. Barbara Schweizerhof