Wut-Ärzte im Widerstand

Es sind nicht viele, die dem Regen trotzen, aber sie sind sauer. Vor der Rheingoldhalle in Mainz, in der am Dienstag der Deutsche Ärztetag begonnen hat, skandieren Mediziner, Pflegekräfte und andere Beschäftigte in Heilberufen kämpferische Parolen, blasen in Trillerpfeifen, applaudieren den Rednern, die die Missstände im Gesundheitswesen anprangern: zu wenig Personal, miese Arbeitszeiten, unzulängliche Vergütung. Auf den Schildern stehen markige Sprüche: „Make Health Not War“, „Ihr nächster Arzttermin: frühestens 2025“ oder auch: „Die Patientenversorgung geht den Lauter-Bach runter“.

Der so Angesprochene, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), will mit den Demonstranten sprechen. Aber die Teilnehmer verweigern sich, auch eine Rede von Ärztetagspräsident Klaus Reinhardt lehnen sie ab – obgleich der einer von ihnen ist. Drinnen in der Halle kommen Politik und Zunft eher ins Gespräch: Noch bis Freitag tagt der 128. Bundesärztetag mit Dutzenden von Sitzungen und Nebenveranstaltungen. Für das „Ärzteparlament“ sind 250 Delegierte aus 17 Landesärztekammern angereist.

Ausgesucht höflicher Umgang

In der feierlichen Eröffnungsveranstaltung wird viel von Demokratie und Toleranz gesprochen. Redner erinnern an die Verabschiedung des Grundgesetzes vor 75 Jahren. Es ist nicht gerade ein Ausweis von Diskussionskultur und Kompromissbereitschaft, wenn sich Teile der Ärzteschaft draußen am Rheinufer dem Gespräch verweigern. Der Ton dort sei „nicht sehr nett gewesen“, sagt Lauterbach: „Wir können es uns nicht leisten, nicht miteinander zu reden.“ Der folgende Applaus im Saal klingt ein bisschen nach schlechtem Gewissen.

Die Hauptredner gehen ausgesucht höflich miteinander um, die Ärzte Reinhardt und Lauterbach nennen einander „Kollegen“. Als Präsident der Bundesärztekammer lobt Reinhardt, dass sich der Minister als Erster wirklich um die Strukturprobleme in der ambulanten und stationären Versorgung kümmere. Aber offenbar beiße er am Kabinettstisch auf Granit, insinuiert Reinhardt mit Blick auf Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), der sich weiteren Steuerausgaben verweigert. „Wir brauchen einen ressortübergreifenden Ansatz, wir brauchen einen Gesundheitsgipfel im Kanzleramt“, verlangt der Ärztepräsident.

Er erwähnt den Medizinermangel, widerspricht aber der Empfehlung des Sachverständigenrats Gesundheit, die Weiterbildung über Quoten zu steuern: „Das ist der Einstieg in sozialistisches Verteilungsdenken.“ Dass statt der Ärztekammern der Staat oder gar die Krankenkassen die Weiterbildung steuerten, sei indiskutabel. Völlig wirklichkeitsfremd sei auch der Ratschlag der Regierungskommission für die Krankenhausreform, die „doppelte Facharztschiene“ abzuschaffen, also Fachärzte weitgehend an Kliniken zu konzentrieren.

Zufriedenheit mit dem Plan, die gedeckelten Budgets abzuschaffen

Wie seit Jahren fordert er, die Gebührenordnung für Ärzte zu Privatabrechnungen zu novellieren. Gemeinsam mit den Privatversicherungen – welche die neuen Ziffern mitbezahlen müssen – habe man sich auf ein Leistungsverzeichnis geeinigt, selbst bei den Bewertungen und dem finanziellen Gesamtrahmen sei man auf dem Weg der Einigung. Bis Sommer werde es ein Ergebnis geben, aber Lauterbach müsse mitziehen. Die seit Jahrzehnten verschleppte Reform sei ein „Staatsversagen“. Lauterbach versprach – wie oft zuvor –, die Vorschläge wohlwollend zu prüfen. Dafür erntete er Gelächter.

Beim Bürokratieabbau, für den Lauterbach ein eigenes Gesetz plant, könnten Mediziner und Politik näherrücken. Die Bundesärztekammer hat dem Ministerium 150 Punkte empfohlen, die man vereinfachen oder streichen könnte. Das Gesundheitswesen dürfe nicht über Gebühr „verrechtlicht“ werden, so Reinhardt. Um dem Ärztemangel zu begegnen, müssten mehr Studienplätze geschaffen werden. Ärzte im Ruhestand ließen sich reaktivieren, wenn man Steueranreize schaffte, etwa für Teilzeitarbeit: „Das Mindeste wäre, sie von den sozialversicherungspflichtigen Beiträgen zu entlasten.“

Reinhardt zeigte sich zufrieden mit Lauterbachs Plänen, die gedeckelten Budgets für Hausärzte abzuschaffen, forderte aber, das müsse auch für Fachärzte gelten. Man vermisse eine Regulierung Medizinischer Versorgungszentren, die von Investoren zur reinen Gewinnmaximierung betrieben würden. Lauterbach sagte zu, Wege dagegen zu prüfen. Reinhardt kritisierte die Cannabis-Legalisierung als „verunglücktes Gesetz“. Die Neuerung gehe auf Politiker zurück, „die das Kiffen legalisieren wollen, weil das der eigenen Weltanschauung entspricht oder weil sie einfach gerne kiffen“.

Lauterbach sagte, man dürfe auf das Fehlen von 50.000 Ärzten in den kommenden Jahren nicht mit Abwerbung aus anderen Staaten reagieren: „Das ist nicht ethisch.“ Er versprach eine Reform der Zulassungsregeln, einen Ausbau der Studienplätze und eine Entbürokratisierung, um den Beruf attraktiver zu gestalten. „Wir haben im Gesundheitssystem eine Kultur des Misstrauens aufgebaut“, sagte der Minister. So sei es falsch, dass jeder einzelne Krankenhausfall auf eine Fehlbelegung überprüft werde. Mit der Idee, „Hybridärzte“ sollten künftig sowohl stationär wie ambulant arbeiten, stieß er auf dem Ärztetag auf Widerstand.