Wo Harris die arabischstämmigen Amerikaner verlor

In keinem anderen Bundesstaat leben so viele Amerikaner mit arabischen Wurzeln wie in Michigan. Viele lehnen die Israel-Unterstützung der Biden-Regierung ab, was Kamala Harris in dem Swing State wertvolle Stimmen kosten dürfte. Die Demokraten haben einen Ausweichplan. Doch der ist riskant.

Suha sortiert die kleinen Keramikschälchen auf dem Tisch neu. Eben hat sie eines der selbstbemalten Kunstwerke verkauft. Die Einnahmen sollen an Hilfsorganisationen im Libanon und im Gaza-Streifen gehen.

Die 23-Jährige hat sich ein Palästinensertuch in die Haare gebunden. Sie möchte an diesem Samstag in einer zum Flohmarkt umgebauten alten Fabrikhalle im Norden Detroits ein Zeichen setzen – gegen die Israel-Politik der USA. „Leider habe ich 2020 für Joe Biden gestimmt. Ich sage leider, weil wir seinetwegen nun einen Genozid erleben“, erklärt sie.

Suha ist eine von rund 300.000 arabischstämmigen Amerikanern in Michigan. In keinem anderen US-Bundesstaat leben so viele an einem Fleck, wie in dem nördlichsten Swing State. Und unter ihnen ist die Frustration mit der Nahostpolitik der Regierung besonders groß. Sie wünschen sich ein Ende der Unterstützung Israels im Krieg gegen die Hamas im Gaza-Streifen und die Hisbollah im Libanon.

Für Vizepräsidentin Kamala Harris, an die sich diese Forderung richtet, ist das ein Problem. Denn es ist für diese Wähler das wichtigste Thema, von dem sie ihre Wahlentscheidung abhängig machen wollen. Damit drohen der Demokratin wertvolle Stimmen zu entgehen – ausgerechnet von einer demokratischen Stammwählergruppe.

Harris weiß, dass sie in Michigan ein Problem hat

Für Suha ist der Nahost-Konflikt persönlich. „Teile meiner Familie leben im Westjordanland. Jedes Mal, wenn dort etwas passiert, kann ich nur beten und hoffen, dass es ihnen gut geht“, erzählt sie. Seit einem Jahr protestiert sie gegen die amerikanische Israel-Unterstützung.

In den USA gab es seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober zahlreiche Demonstrationen arabischstämmiger und linker Amerikaner, die in großen Teilen wegen antisemitischen Parolen und Zeichen negativ aufgefallen sind.

Gehört fühlt Suha sich in ihrem Prostest nicht. „Eine Mehrheit der Menschen befürwortet ein Ende der Waffenlieferungen an Israel“, sagt sie. „Es ist nicht demokratisch, einfach damit weiterzumachen.“ Auf Kamala Harris ist sie deshalb nicht gut zu sprechen. „Wenn sie einen Politikwechsel versprochen hätte, hätte ich es mir überlegt, sie zu wählen. Aber sie hat versprochen, genauso weiterzumachen wie Biden“, so Suha.

Beim Nominierungsparteitag der Demokraten im August hat Harris versucht, einen anderen Ton anzuschlagen. „Das, was in den letzten zehn Monaten in Gaza geschehen ist, ist verheerend. So viele unschuldige Menschen wurden getötet. Verzweifelte, hungrige Menschen, die immer wieder in Sicherheit fliehen. Das Ausmaß des Leids ist herzzerreißend“, rief Harris den Delegierten in Chicago zu.

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Die Demokratin wusste, dass sie vor allem in Michigan ein Problem hat. Umfragen sehen sie und Ex-Präsident Donald Trump in einem engen Kopf-an-Kopf-Rennen, das mit wenigen Tausend Stimmen entschieden werden könnte. Biden hatte den Staat 2020 mit nur 160.000 Stimmen Vorsprung gewonnen.

Bereits bei den Vorwahlen der Partei haben arabischstämmige Aktivisten über 100.000 Menschen mobilisiert, die nicht für Biden stimmten, sondern für „uncommitted“ (nicht festgelegt). In ihrer Parteitagsrede versuchte Harris deshalb, einen Schritt auf diejenigen zuzugehen, denen das Leid der Palästinenser zu kurz kommt. Doch Suha nimmt ihr das nicht ab.

Stimmen von arabischstämmigen Amerikanern verloren

„Das Ergebnis der Vorwahlen in Michigan hätten ein Weckruf für die Partei sein müssen“, sagt Sami Khaldi. Er ist der Chef des Stadtverbands der Demokraten in Dearborn. Hier lebt ein Großteil der arabischstämmigen Bevölkerung. Schriftzüge an Läden sind zweisprachig, Halal-Metzger reihen sich an Läden für traditionelle Frauenkleider und Cafés.

Harris habe es verpasst, glaubhaft zu vermitteln, dass sie sich mehr für die Palästinenser einsetzt. „Hätte sie einen arabischstämmigen Redner beim Parteitag zugelassen, wäre das ein starkes Signal gewesen“, kritisiert er seine Kandidatin.

Harris’ Umgang mit dem Thema stört auch Zouher Abdel-Hak. Der groß gewachsene langjährige Lokalpolitiker und heutige Juwelier sitzt im Restaurant Adonis in Dearborn. Hier haben die Uncommitted-Aktivisten am Abend der Vorwahl ihre Party geschmissen. Abdel-Hak ist eng mit ihnen verbunden.

„Auch ich habe vor vier Jahren Joe Biden gewählt“, setzt er zu einer Wutrede an. „Ich wusste nicht, dass er senil ist, den Verstand verliert und idiotische Entscheidungen trifft, die dieses Land Milliarden Dollar kosten und die Werte der USA zerstören.“ Harris habe er eine Chance geben wollen, sagte er. „Aber als ich gesehen habe, wie wenig sie auf uns zugeht, hat sie meine Stimme verloren.“

Seit dem Parteitag hat Harris die Thematik weitgehend ignoriert. Dreimal traf sie sich kurz am Rand von Wahlkampfauftritten in Michigan mit Vertretern der Uncommitted-Bewegung. Die Treffen fanden jedoch im Backstage-Bereich, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und nur für wenige Minuten statt.

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Harris habe die arabischstämmigen Amerikaner, eigentlich zuverlässige Wähler der Demokraten, in Michigan mittlerweile verloren, sagt Politik-Professor Michael Traugott von der University of Michigan in Ann Arbour. „Sie sind, was wir heutzutage nur noch selten sehen: Ein-Thema-Wähler.“

Sie wählen denjenigen, mit dem sie bei ihrem Thema, dem Nahost-Konflikt, übereinstimmen, erklärt er. Da Harris und Trump beide versprechen, Israel weiter zu unterstützen, blieben ihnen zwei Möglichkeiten. „Die meisten werden nur an den Lokalwahlen teilnehmen, aber nicht an der Präsidentschaftswahl. Andere werden für Jill Stein stimmen“, sagt Traugott.

Stein ist die Kandidatin der sehr kleinen Grünen Partei. In Michigan erhält sie in Umfragen einigen Zulauf – eben von arabischstämmigen Amerikanern. Denn sie biedert sich ihnen an, indem sie Slogans wie „End the Genocide“ verbreitet und verspricht, die „israelische Apartheid“ zu beenden.

Eine Stimme für Stein sei eine Stimme für Trump, sagt die Aktivistin Suha. Sie möchte deshalb gar nicht wählen. De facto hilft auch das dem Ex-Präsidenten. „Zeig‘ mir eine Alternative“, sagt sie nur.

Eine gute halbe Stunde nördlich von Dearborn, im Detroiter Vorort Clawson, besteigt Jill Biden eine kleine Treppe zu ihrem Podium. Ein hippes Restaurant, in dem man einen „Warm Exotic Mushroom Salad“ und eine „Vegan Bolgnese“ verspeisen kann, hat alle Tische hinaus geräumt, um für die gut 50 Anhänger der Demokraten Platz zu machen, die die First Lady sehen wollen.

Denn Bidens Gattin soll dafür sorgen, dass der Verlust der arabischstämmigen Wähler ausgeglichen wird. „Wir haben so hart gekämpft, um unseren Töchtern mehr Rechte zu verschaffen, als wir mal hatten“, ruft Jill Biden dem überwiegend aus mittelalten Frauen bestehendem Publikum zu. „Kamala wird diese Rechte wiederherstellen.“ Neben ihr steht ein riesiges Plakat mit dem Slogan „Kämpfe für die reproduktive Freiheit“.

Der Gedanke ist einfach: Wenn 300.000 arabischstämmige Wähler abspringen, werden ebenso viele Frauen mobilisiert, denen das Abtreibungsrecht wichtig ist. Tatsächlich sagten 16 Prozent der registrierten Wähler in Michigan laut einer Umfrage der „New York Times“ Ende September, dass die Abtreibungsrechte für sie das vorherrschende Thema sind.

Für die Harris-Kampagne ist das aber eine riskante Rechnung, die ihr am Ende den Sieg in Michigan kosten könnte.

Source: welt.de