Wladimir Putin: „Unsere strategischen Streitkräfte sind immer in Kampfbereitschaft“

Russlands Staatschef Wladimir Putin hat die Militärparade in Moskau zum Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg erneut als Gelegenheit genutzt, seinen Staat als Verteidiger des Friedens und Speerspitze gegen Nationalismus zu inszenieren. „Wir sehen heute, wie versucht wird, die Wahrheit über den Zweiten Weltkrieg zu verzerren“, sagte Putin in einer kurzen Ansprache auf dem Roten Platz vor Tausenden dort versammelten Soldaten. Denkmäler „wahrer Helden gegen den Nazismus“ würden abgebaut, und „Helfer der Hitleristen auf Podeste gestellt“.  

„Revanchismus“ und ein „koloniales“ Vorgehen gehörten zur „allgemeinen Politik der westlichen Eliten, immer neue Regionalkonflikte und Hass zwischen Nationen“ zu schüren und „unabhängige Zentren“ in der Welt in ihrer Entwicklung zu hemmen, sagte Putin weiter. Dies werde man nicht zulassen. „Russland wird alles tun, um keine globale Konfrontation zuzulassen“, sagte der Staatschef. Und drohte zugleich: „(Wir) werden niemandem erlauben, uns zu drohen. Unsere strategischen Streitkräfte sind immer in Kampfbereitschaft.“ 

Wie auch bei den Militärparaden in den Vorjahren verband Putin in seiner Rede den Zweiten Weltkrieg mit Russlands Krieg gegen die Ukraine. Alle „Teilnehmer“ der „militärischen Spezialoperation“ seien „unsere Helden“, sagte er. „Mit euch ist ganz Russland.“ Zusammen werde man „eine freie, sichere Zukunft Russlands, unseres einigen Volkes gewährleisten“.

Putin inszeniert Überfall auf die Ukraine als Kampf gegen Faschismus

Putin folgte in seiner Rede mehreren Narrativen, die er und sein Regime seit Jahren verbreiten, um den Krieg gegen die Ukraine und die Feindschaft gegenüber dem Westen zu rechtfertigen. Der Vorwurf der Geschichtsfälschung an westliche Länder fällt ebenfalls in diesen Kontext: Den Überfall auf das Nachbarland erklärt Putin mit einem dort angeblich herrschenden „Naziregime“ und wirft westlichen Ländern dessen Unterstützung vor. 

Das Beispiel der Entfernung von Denkmälern, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern, scheint dabei nicht zufällig gewählt. Entsprechende Vorgänge in der Ukraine und in baltischen Ländern sorgten im vergangenen Jahr für empörte Reaktionen der Regierung in Moskau. Russische Behörden rechtfertigen damit beispielsweise den Eintrag von zahlreichen westlichen Politikern vor allem aus dem baltischen Raum in russischen Fahndungslisten. 

Die baltischen Staaten waren im
Zweiten Weltkrieg erst von der Sowjetunion und später dem
nationalsozialistischen Deutschland besetzt worden. Das Gedenken an die Besatzung durch die Sowjetunion in diesen Ländern wird von der russischen Regierung als „Verrat“ und „Geschichtsklitterung“ bezeichnet. Dabei wird die Besatzung Osteuropas durch die Rote Armee in Russland sowie die Zusammenarbeit Stalins mit Russland etwa sowohl in den Staatsmedien als auch im Bildungssystem seit Jahren systematisch geleugnet oder gar nicht erst thematisiert.



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:
„Ich glaube nicht, dass wir ein demokratisches Russland erleben werden“

Oppositionelle kritisieren Gedenkveranstaltung

Russische Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft und der Politik aus osteuropäischen Ländern werfen Putins Regime deshalb ihrerseits Geschichtsverzerrung vor.  So schrieb etwa der inhaftierte russische Oppositionelle Ilja Jaschin auf der Plattform X,
dass seine Vorfahren, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hätten, „vereint
in dem Verständnis (waren), dass derartiges sich niemals wiederholen“ dürfe. „Und dann kamen hirnlose Menschen, die das schwere Gedenken an den Krieg nahezu in einen Karneval verwandelt haben.“ Dem Grundsatz, dass es keinen Krieg mehr geben dürfe, sei das
Motto „Wir können’s wiederholen!“ gewichen – eine unter Putins Anhängern
verbreitete Losung, die auf den Sieg im Zweiten Weltkrieg und den
russischen Vormarsch bis nach Berlin bezogen wird. „Leider ist es nicht
(dabei) geblieben“, schrieb Jaschin, „Unser Land wurde tatsächlich in
einen schrecklichen und sinnlosen Krieg hineingezogen“.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte Putin bereits zuvor in einer Videoansprache „Nazimethoden“ vorgeworfen. In der Ukraine wird seit vergangenem Jahr nicht mehr am 9. Mai, sondern am 8. Mai wie in den meisten anderen europäischen Ländern des Zweiten Weltkriegs gedacht. In der Nacht zum Mittwoch erlebte das Land den größten russischen Raketen- und Drohnenangriff seit etwa einem Monat, mehrere Stromkraftwerke wurden dabei beschädigt.

Militärparade vor dem Hintergrund neuer Atomdrohungen

Das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg wird von Putin zudem seit Jahren für die Demonstration der russischen militärischen Macht genutzt. Sein Verweis auf die Kampfbereitschaft der russischen Atomstreitkräfte erfolgt vor dem Hintergrund jüngster russischer Drohungen gegen den Westen. So drohte Russlands Außenministerium Großbritannien mit Angriffen auf dessen Truppen und Militärstandorte, sollte die Ukraine russisches Staatsgebiet mit britischen Waffen angreifen. Großbritannien reagierte mit der Ankündigung, einen russischen Attaché aus der Botschaft in London auszuweisen, dem das Land verdeckte Arbeit für russische Geheimdienste vorwirft.

Zudem kündigte Putin Atomwaffenübungen an. Laut unabhängigen russischen Medien handelt es sich dabei um die erste Übung dieser Art seit dem Zerfall der Sowjetunion. Russlands Verteidigungsministerium rechtfertigte die Ankündigung mit angeblichen Plänen westlicher Länder, eigene Truppen in die Ukraine zu entsenden. Die meisten Nato-Staaten haben einen solchen Schritt ausdrücklich ausgeschlossen. Lediglich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, eine solche Entsendung sei in Zukunft unter bestimmten Umständen denkbar.

Laut vorab veröffentlichten Ankündigungen sollten an der Militärparade rund 9.000 Soldaten teilnehmen, etwa 1.000 mehr als im Vorjahr. Traditionell zeigte sich Putin auf der Tribüne auf dem Roten Platz zudem mit Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Zu ausländischen Staatsgästen gehörten unter anderem der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko, der als Putins engster Verbündeter in Europa gilt, sowie die Staatschefs Kasachstans, Usbekistans und weiterer zentralasiatischer Länder.