„Wirtschaftswende“? „Haushaltswende“? Die Liberale will eine Sozialstaatswende

Wende ohne Ende in der Politik – mit der FDP als Möchtegern-Klassenprimus: Olaf Scholz‘ „Zeitenwende“ will sie eine „Wirtschaftswende“ und eine „Haushaltswende“ folgen lassen. Was in Wirklichkeit „Sozialstaatswende“ bedeutet – und mithin Sozialabbau.

Jüngstes Beispiel dafür ist das am 13. Mai veröffentlichte Papier „Fünf Punkte für eine generationengerechte Haushaltspolitik“. Den Staatshaushalt mit „immer mehr Sozialausgaben“ zu überlasten, heißt es dort, schränke „Handlungsspielräume“ ein und trübe die „Zukunftsperspektiven unserer jungen Generation ein“.

Sozialabbau und Steuerdumping

Nun ist soziale Teilhabe für ärmere Haushalte ohne sozialstaatliche Leistungen freilich kaum möglich. Und auch mittlere Haushalte profitieren etwa von Kinder- und Elterngeld, Sozialversicherung, sozialstaatlichen Dienstleistungen sowie einem solidarischen Netz, das sie im Zweifel auffängt. Warum es für zukünftig lebende Menschen gut sein soll, stattdessen eine zerrüttete Sozialstruktur, Sicherungslücken, soziale Unsicherheit und Ungleichheit zu erben, sagen uns die Liberalen nicht. Wohl aber, wo stattdessen die Prioritäten deutscher Haushaltspolitik zu liegen haben: Man wolle „Spielräume schaffen für Investitionen in Infrastruktur, Sicherheit und Bildung“ sowie für Steuersenkungen.

Letztere meinen Entlastungen vorrangig für Unternehmen. Auch deren Verbände fordern sie; die Unternehmensbesteuerung hierzulande sei im internationalen Vergleich hoch. Das geben die Zahlen zur effektiven Steuerbelastung zwar nicht her, Deutschland befindet sich im Mittelfeld. Aber andere Länder haben die internationale Steuerkonkurrenz zuletzt in der Tat stärker vorangetrieben. Die derzeit angeblich katastrophale Wirtschaftslage scheint zwingend zu beweisen, dass Deutschland hier endlich nachziehen müsse: „Wirtschaftswende jetzt!“, heißt es bei der FDP.

Allerdings ist die Konjunktur längst nicht so schwarz, wie manche sie malen. Und die tatsächlichen Probleme der deutschen Wirtschaft sind andere – insbesondere mangelnde öffentliche Investitionen und eine unzureichende finanzielle Unterstützung des sozial-ökologischen Umbaus. Beides hinterlässt heute schon Spuren. Gestrichene Zuschüsse für den Kauf von Elektroautos beispielsweise haben deren Verkäufe eingedampft, und die Produktionspläne der Hersteller gleich mit. Die Kapazitäten der mit öffentlicher Förderung zu bauenden Reservekraftwerke, die Flauten bei den Erneuerbaren Energien ausgleichen sollen, reichen erkennbar nicht aus.

600 Milliarden Euro Investitionsbedarfe

Das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsinstitut IMK und sein Arbeitgeber-Pendant IW beziffern in einer aktuellen Studie die zusätzlichen staatlichen Ausgabebedarfe in den kommenden zehn Jahren auf 600 Milliarden Euro. Wie die FDP zu behaupten, das sei durch andere Prioritätensetzung und Sozialkürzungen finanzierbar, ist Augenwischerei. Was erst recht gilt, wenn dazu noch Steuern gesenkt werden sollen.

Ohne eine Lockerung der Schuldenbremse und ohne höhere Staatsverschuldung ist der sozial-ökologische Umbau schlicht nicht machbar. Was wiederum mit den Liberalen nicht machbar ist. Dabei wäre genau das eine „generationengerechte Haushaltspolitik“. Es bedeutet schließlich, nachfolgenden Generationen einen lebenswerten Planeten zu überlassen – und nicht ein überhitztes Klima, kaputte Schienen, Schulklos an der Grenze zur Körperverletzung und ein Land ohne Industrie.

Patrick Schreiner ist Gewerkschafter und Autor. Jüngst sind von ihm die Bücher Wirtschaftsmärchen. Hundertundeine Legende über Ökonomie, Arbeit und Soziales (zusammen mit Kai Eicker-Wolf, PapyRossa 2023, 269 S., 19,90 €) und Nichts für alle. Wie Politik und Wirtschaft uns den Sozialstaat kündigen (mit einem Vorwort von Wolfgang M. Schmitt, Brumaire 2024, 240 S., 19 €) erschienen.