Wirtschaftsweise erwarten schwaches Wachstum

Der Sachverständigenrat Wirtschaft erwartet für das kommende Jahr ein nur geringfügiges Wachstum von 0,4 Prozent. Damit positioniert sich der Rat weit skeptischer als die Bundesregierung, die im Oktober noch von einem Wachstum von 1,1 Prozent ausgegangen war. Für dieses Jahr rechnen die fünf Ökonomen, die umgangssprachlich auch als Wirtschaftsweise bezeichnet werden, mit einer leichten Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent.

Die deutsche Wirtschaft komme aus der Phase der Stagnation nicht heraus, die seit dem Beginn der Pandemie- und Krisenjahre 2020 andauere, heißt es im Jahresgutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. In den vergangenen fünf Jahren sei das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland real lediglich um 0,1 Prozent gewachsen. Im internationalen Vergleich hinke Deutschland wirtschaftlich deutlich hinterher.

Als wichtige Gründe für das geringe Wachstum nennen die Sachverständigen die industrielle Schwäche Deutschlands und den sehr verhaltenen privaten Konsum, der entgegen der Erwartungen und trotz deutlicher Lohnerhöhungen auch in diesem Jahr nicht richtig angezogen hat. Auch die Bauwirtschaft dämpfe das Wachstum weiterhin.

Hohe Lohnstückkosten drücken die Wettbewerbsfähigkeit

Die deutschen Industrieunternehmen haben nach der Analyse international an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Die Produktionskosten hätten sich bei zugleich schwacher Produktivitätsentwicklung im Vergleich zum Ausland stark erhöht. Das ist nach Analyse des Rats der Grund dafür, dass die deutsche Wirtschaft – anders als früher – von der recht robust wachsenden Weltwirtschaft nicht profitiere. Für das kommende Jahr erwarten die Ökonomen, dass der Außenbeitrag – Export minus Import – negativ ausfällt und das Wachstum deutlich belasten wird.

Als Gründe für den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit verweist der Sachverständigenrat auf die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten, aber auch auf die deutlichen Lohnerhöhungen in den vergangenen Jahren. „Kostenseitig wichtiger als Energie ist allerdings der Faktor Arbeit, der in Deutschland nicht nur knapp, sondern im internationalen Vergleich teuer und in den vergangenen Jahren noch teurer geworden ist“, heißt es. „Dies zeigt sich daran, dass in vielen Ländern die Lohnstückkosten relativ zu Deutschland gesunken sind.“

Die industrielle Schwäche spiegelt sich in der Investitionsschwäche. Die Ausrüstungsinvestitionen werden in diesem Jahr deutlich um 5,6 Prozent sinken. Für 2025 erwarten die Ökonomen nur ein mageres Plus von 0,7 Prozent. Das Risiko, dass eine Ausweitung der Kapazitätsauslastung im verarbeitenden Gewerbe ausbleibe, sei substanziell, heißt es. Die Schwäche im verarbeitenden Gewerbe wird nach Einschätzung des Rats auf andere Wirtschaftsbereiche ausstrahlen, vor allem auf die unternehmensnahen Dienstleistungen. Die wirtschaftliche Stagnation schlägt sich derweil zunehmend am Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosenquote soll nach der Prognose im kommenden Jahr von 6 auf 6,1 Prozent steigen. Die Inflation in Deutschland werde mit 2,1 Prozent im kommenden Jahr nahezu unverändert ausfallen.

Mit seiner Wachstumsprognose von 0,4 Prozent für das kommende Jahr liegt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Mittel der Erwartungen. Die Bundesregierung erwartet 1,1 Prozent, die großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen in ihrer Gemeinschaftsdiagnose mit 0,8 Prozent. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer geht von einem Nullwachstum aus. Manche Volkswirte von Geschäftsbanken erwarten auch eine weitere Schrumpfung der Wirtschaftsleistung von bis zu 0,3 Prozent.

Dem Sachverständigenrat gehören neben der Vorsitzenden Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilians-Universität in München Veronika Grimm (Nürnberg), Ulrike Malmendier (Berkeley, Kalifornien), Achim Truger (Duisburg-Essen) und Martin Werding (Bochum) an. Das Verhältnis der Ökonomen untereinander ist durch einen Streit über einen neuen Verhaltenskodex belastet, gegen den Grimm Klage eingereicht hat. Die anderen vier Ökonomen halten es mit der Glaubwürdigkeit des Rates für nicht vereinbar, dass Grimm ein Aufsichtsratsmandat von Siemens Energy angenommen hat. Hinter dem Streit werden auch inhaltliche und persönliche Spannungen zwischen der Vorsitzenden Schnitzer und Grimm vermutet. Grimm wendet sich im aktuellen Jahresgutachten in drei Minderheitenvoten zu wirtschaftspolitischen Fragen gegen die Meinung ihrer Kollegen.