Wirtschaftsverbände fordern von G7-Ländern konkrete Zielsetzung
In Zeiten von Kriegen, Handelskonflikten, Blockbildung und technischen Umbrüchen soll die G7 „ein Leuchtfeuer der Hoffnung“ sein. Das haben die Wirtschaftsverbände der führenden Industrieländer am Freitagabend in Rom gefordert. Was etwas pathetisch klingt, ist diesmal aber mit konkreten Zahlen unterlegt. Die in den siebziger Jahren nach der ersten Ölkrise gegründete G7 ist ein Zusammenschluss demokratischer und marktwirtschaftlicher Staaten, die in unsicheren Zeiten gemeinsamen Halt suchen. Über meist vage Absichtserklärungen ist die Staatengruppe bisher indes nicht hinausgekommen.
Nun haben die Wirtschaftsverbände (B7) unter der diesjährigen Präsidentschaft Italiens erstmals konkrete Kriterien (Key Performance Indicators) ausgearbeitet, an denen sich die Staaten messen lassen sollen. Sie hoffen, dass sich die G7- Regierungen die Forderungen auf ihrem Gipfeltreffen vom 13. bis zum 15. Juni im italienischen Apulien zu eigen machen, und schlagen dafür die Einrichtung eines gemeinsamen „G7-B7-Kontrollgremiums“ vor.
Die Wirtschaftsverbände der sieben führenden Industrienationen – also der Vereinigten Staaten, Kanadas, Großbritanniens, Frankreichs, Italiens, Japans und Deutschlands – beschäftigen sich in ihrem Zielkatalog mit den Themen Wettbewerbsfähigkeit, internationaler Handel, Klima, Energiepolitik, Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, vor allem Afrika, und Bildung.
In Sachen Wettbewerbsfähigkeit fordern die Verbände beispielsweise, dass die Länder in der Rangliste der schweizerischen Managementschule IMD bis 2026 ihren Durchschnittswert von 76,8 Prozent eines idealen Höchstwertes auf 80 Prozent verbessern. Das bedeutet konkret, dass vor allem Italien, Japan, Frankreich und Großbritannien aufholen müssen, denn sie liegen bisher unter 80 Prozent. Deutschland notierte 2023 knapp darüber. Die Vereinigten Staaten erreichen mit gut 91 Prozent den höchsten Wert der G7-Länder. Zugrunde gelegt werden mehr als 330 Kriterien der Wettbewerbsfähigkeit.
Lebenserwartung, KI, Bildung
Bei der Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt indes verhält es sich weitgehend umgekehrt: Hier gelten Japan und Italien als Vorbilder. Die Vereinigten Staaten etwa, wo die Lebenserwartung seit dem Jahre 2019 zurückgeht, liegen mit mehr als acht Jahren unter Japan. Die Verbände haben nun das sehr ehrgeizige Ziel ausgerufen, dass alle G7-Länder bis zum Jahr 2050 zu Japan und Italien aufschließen sollen.
Die Wirtschaftsvertreter sprechen sich auch grundsätzlich für den internationalen Freihandel aus, müssen aber konstatieren, dass er sich auf dem Rückzug befindet. Nun fordern sie Gegenmaßnahmen, nicht zuletzt durch eine Wiederbelebung der heute oft ignorierten Welthandelsorganisation WTO.
So solle der Anteil der importierten Güter innerhalb der weiter gefassten G20-Länder, der von Handelsbeschränkungen betroffen ist, bis zum Jahr 2027 von 11,8 auf 10 Prozent zurückgehen – ein eher bescheidenes Ziel, das der zunehmenden Fragmentierung in der Welt geschuldet ist.
Besondere Aufmerksamkeit gilt in diesem Jahr der Künstlichen Intelligenz (KI). Die Verbände nehmen sich vor, bei Eigenkapital-Investitionen durch Venture Capital-Fonds dem Spitzenreiter der Vereinigten Staaten näherzukommen. Doch der Abstand ist riesig: Während es in den USA im vergangenen Jahr zu solchen KI-Investitionen in Höhe von fast 55 Milliarden Dollar kam, waren es in keinem der übrigen Länder mehr als 2,2 Milliarden Dollar. Der G7-Gesamtwert soll bis zum Jahr 2029 um 15 Prozent auf gut 75 Milliarden Dollar steigen.
Auch in der Bildung erscheinen die Ziele weniger ehrgeizig – und dadurch unter Umständen realistischer: In der Altersgruppe der 15-bis 29-Jährigen sollen die Menschen ohne Schulabschluss, Ausbildung oder Beschäftigung (Neet) bei den Männern von gut 11 Prozent und bei den Frauen von gut 13 Prozent auf jeweils 9 Prozent gesenkt werden, und zwar bis zum Jahr 2030.
Vor allem Italien muss hier aufholen, aber auch Frankreich, die USA und Kanada. Gleichzeitig sollen die G7-Länder versprechen, deutlich mehr Menschen in den Bereichen Ingenieurwesen, Naturwissenschaften, Mathematik und Informationstechnologie auszubilden.
Afrika soll profitieren
Große Fortschritte sollen die G7-Länder dagegen bei Investitionen in den ärmsten Länder der Welt machen: Im Rahmen einer vor zwei Jahren unter deutscher Präsidentschaft gestarteten Initiative für Infrastrukturinvestitionen in den Entwicklungsländern sollen bis 2025 mindestens 50 Prozent der versprochenen Mittel ausgegeben werden. Im vergangenen Jahr waren es erst gut 5 Prozent, vor allem durch die Vereinigten Staaten. Um das Ziel zu erreichen, müssten aus den G7-Staaten bis zum kommenden Jahr Investitionen von fast 270 Milliarden Euro in die Entwicklungsländer fließen, vor allem nach Afrika.
In Energiefragen sollen die G7-Staaten ihren Investitionen in „saubere Technologien“ ohne fossile Brennstoffe, aber inklusive Kernenergie, bis zum Jahr 2030 um 140 Prozent erhöhen. Die Investitionen in Energieeinsparungen sollen sich bis zu diesem Zeitpunkt verdoppeln.
Die konkreten Kriterien markieren den Versuch, in einer spannungsgeladenen Welt greifbaren Zusammenhalt zu schaffen. Die G7 könnten nur Erfolg haben, wenn Europa in der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten aufhole, betonte die italienische B7-Beauftragte, die Stahlmanagerin Emma Marcegaglia, die am Freitagabend das Dokument der B7 der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni übergab.
In ihrer Abschlusserklärung forderten die B7 neben offenen Märkten sowie einer sicheren Versorgung mit Energie und Rohstoffen auch „Entschädigungsmechanismen für Verluste und Schäden“ auf dem Weg der grünen Transition. Gemeinsame Standards für die Regulierung von KI sollten Wachstumschancen eröffnen und „die zentrale Stellung des Menschen gewährleisten“.
Verbände sind verunsichert
Uljan Sharka, Chef des KI-Unternehmens „iGenius“ aus Mailand, berichtete auf einer B7-Konferenz in Rom am Freitag, dass „mit KI das Wissen für Milliarden von Menschen innerhalb von 24 Stunden manipuliert werden kann“. Auf der Veranstaltung war die verbreitete Unsicherheit allenthalben zu spüren. Beunruhigend seien auch die rückläufigen ausländischen Direktinvestitionen in aufstrebenden Volkswirtschaften um 40 Prozent im vergangenen Jahr – eine „schockierende Zahl“, wie Rick Johnson von der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) findet.
Die Furcht vor Altersarmut käme hinzu: „Die Menschen haben Angst, dass sie länger leben als ihre Ersparnisse reichen“, meinte Larry Fink, Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock. Dort, wo die Altersversorgung weniger von privaten Ersparnissen abhänge, wachse das Misstrauen gegenüber den staatlichen Systemen. Die steigende Staatsverschuldung, die auch damit in Zusammenhang stehe, ist für Fink eine weitere Sorge. Länger zu arbeiten, müsse darauf eine Antwort sein.
In Bezug auf die KI erinnerte er an den riesigen Energiebedarf der erforderlichen Datenzentren. Privates Kapital sei unverzichtbar für die Finanzierung der anstehenden Investitionen; Europa brauche daher eine Kapitalmarktunion so wie die Vereinigten Staaten, sagte der aus New York zugeschaltete Fink.
Im Rahmen der grünen Transition dürfte nicht zu scharf reguliert werden, denn die Märkte bräuchten Freiräume, war eine oft gehörte Forderung. Manger wie der Pirelli-Chef Marco Tronchetti Provera kritisierten die EU-Kommission wegen ihrer einseitigen Bevorzugung von Elektroautos. Der Vorstandsvorsitzende des italienischen Schiffbauunternehmens Fincantieri,Pierroberto Folgiero berichtete, wie sein Unternehmen heute Schweißer in Nordafrika ausbildet, weil es keine Arbeitskräfte in Italien findet.