Wirtschaft in Hessen: Nach und nachdem verschwinden Tausende Stellen

Ein neuer Konzern mit Sitz in Frankfurt: eigentlich eine gute Nachricht für die Region. Doch die Tatsache, dass nach der Aufspaltung des Traditionsunternehmens Continental die neue Aumovio den Stadtteil Rödelheim als Zentrale auserwählt hat, ist teuer erkauft. Ehe Continental seine Automotive-Sparte in Aumovio umbenannte und sie in die Unabhängigkeit entließ, wurden dort nämlich Tausende Stellen abgebaut.
Das hat auch das Rhein-Main-Gebiet getroffen. Schon 2021 hatte Continental die Schließung seines Werks in Babenhausen bis 2028 und die Einstellung der Bedienelemente-Produktion in Karben bis Ende dieses Jahres angekündigt. 2024 gab die Automotive-Sparte dann bekannt, im Rhein-Main-Gebiet würden 1200 Arbeitsplätze abgebaut. Dieses Jahr kamen weitere 650 Stellen auf die Streichliste.
Das ist nur eines von vielen Beispielen für Stellenabbau in der Region. Am Montag vor einer Woche teilte die Lufthansa mit, 4000 Stellen in der Verwaltung streichen zu wollen. Das wird vor allem Frankfurt treffen, von wo der Konzern gesteuert wird. Goodyear hat gerade sein Werk in Fulda mit zuletzt 1000 Beschäftigten geschlossen. Buderus Edelstahl in Wetzlar soll zerschlagen werden, dort stehen 450 Arbeitsplätze auf dem Spiel. In Lollar bei Gießen will der Bremsscheibenhersteller Breyden eine Gießerei mit mehr als 200 Beschäftigten schließen. Evonik will dieses Jahr die Produktion pharmazeutischer Wirkstoffe in Hanau beenden, auch dort waren bisher 200 Mitarbeiter tätig. Ebenfalls noch in diesem Jahr schließt BASF eine Produktionsstätte für Pflanzenschutzmittel im Industriepark Frankfurt-Höchst mit 120 Beschäftigten; spätestens 2028 will sich auch Bayer von dort zurückziehen. In den ehemaligen Opel-Testanlagen in Rüsselsheim und Rodgau-Dudenhofen, die heute von Segula betrieben werden, dürften mindestens 200 Arbeitsplätze wegfallen. Und beim Fahrzeugbatterien-Hersteller Akasol in Darmstadt fürchtet die IG Metall um mehr als 300 Stellen.
Es trifft vor allem das verarbeitende Gewerbe
Die Gründe für den Stellenabbau sind unterschiedlich. Ein Treiber ist die Absatzkrise der Autoindustrie, die beispielsweise auf Aumovio und Segula durchschlägt. In Stahlwerken und Gießereien spielen, genau wie in der Chemieindustrie, die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten eine Rolle. Hinzu kommt, dass Konkurrenten aus China angesichts der auch dort schwächelnden Nachfrage und der von den USA verhängten Zölle mit ihren Produkten verstärkt auf den hiesigen Markt drängen.
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Bei der Lufthansa wiederum soll die Rentabilität gesteigert werden, indem der Konzern auf Digitalisierung setzt. Das fliegende Personal kann zwar nicht durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden, wohl aber mancher in der Unternehmensverwaltung. In Zentralfunktionen wie Einkauf und Recht hat auch der Chemie- und Pharmakonzern Merck an seinem Stammsitz in Darmstadt seit 2023 rund 550 Stellen abgebaut, 300 weitere wurden in der Pharma- und der Elektroniksparte gestrichen. Allerdings hat Merck andere Abteilungen ausgebaut.
Die Auflistung macht deutlich: Es trifft vor allem das verarbeitende Gewerbe. In diesem Wirtschaftszweig schrumpft die Zahl der Beschäftigten schon seit vielen Jahren. In Hessen ist sie von 2018 bis 2024 von 417.000 auf 381.000 zurückgegangen. Allein in der Kategorie „Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen“ notiert das Statistische Landesamt in diesem Zeitraum einen Rückgang von 54.000 auf 42.000 Tätige.
Flaute schlägt sich auch in den Arbeitsmarktzahlen nieder
Die Beispiele der einzelnen Unternehmen und Branchen formen sich zu einem unerfreulichen Gesamtbild. 2022 war die hessische Wirtschaft immerhin noch um 1,8 Prozent gewachsen, 2023 waren es dann gerade noch 0,4 Prozent, nach 0,6 Prozent im vergangenen Jahr meldete das Statistische Landesamt für das erste Halbjahr 2025 glatt ein Nullwachstum beim Bruttoinlandsprodukt.
Und längst schlägt sich die konjunkturelle Flaute auch in den Arbeitsmarktzahlen nieder. Die Zahl der Arbeitslosen in Hessen hat sich seit September vor drei Jahren von 171.000 auf 206.000 erhöht. „Mit dem Ende der Ferienzeit beobachten wir saisonüblich einen Rückgang der Arbeitslosigkeit“, äußerte vor wenigen Tagen Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. „Dieser ist in diesem Jahr jedoch vergleichsweise schwach ausgefallen.“ Die Unternehmen stellen wenig ein: „Ohne spürbaren Aufschwung bleiben Arbeitgeber zurückhaltend beim Personal.“
Eine Wende zum Besseren ist bisher nicht in Sicht. Im Gegenteil. Der angekündigte Stellenabbau der Lufthansa weist auf ein größeres spezifisches Problem der hessischen Wirtschaft hin: Der Flughafen könnte als Wachstumsmotor des Bundeslandes ausfallen. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hatte er oft dazu beigetragen, dass das hessische Wirtschaftswachstum höher ausfiel als das der gesamten Bundesrepublik. Doch der Airport hat sich lediglich bei der Fracht, nicht aber bei den Passagierzahlen von der Corona-Krise erholt. Von der Dynamik an Deutschlands größter Arbeitsstätte, die oft den ganzen Wirtschaftsraum mitzog, ist derzeit wenig zu spüren.
Wie geht es weiter? Die Zahl neu gemeldeter freier Stellen bei den Arbeitsagenturen sei „auf einem Tiefpunkt angelangt“, sagt Carola Burkert, die beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für Hessen zuständig ist. In seiner Langfristprognose bis 2040 nimmt das Institut zwar an, dass die Gesamtzahl der Beschäftigten in Hessen in etwa stabil bleibe, der Arbeitsmarkt sich aber dennoch erheblich verändere. Denn in diesem Zeitraum dürften der Prognose zufolge 200.000 Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Hoffnung: dass ebenso viele in anderen Tätigkeitsfeldern geschaffen werden. „Fachkräfte beispielsweise aus der Autobranche haben viele Kompetenzen, die in der Rüstungsindustrie, aber auch in anderen Industriebranchen und der Logistik genutzt werden können.“ Zuletzt sind allerdings vor allem viele Stellen weggefallen.