Wird sich Merz pro AfD oder Linke öffnen? Es gibt Hinweise
Nichts wünschen sich die Menschen von der Politik mehr als „einfach mal machen“. So heißt der Podcast von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, und so geistert es zigfach durch diverse Medien: „Einfach mal machen“. Aber was? Ist doch klar, der Kanzler hat es gerade wieder gesagt: „Die Probleme lösen.“
Dahinter steckt die Vorstellung, die komplexen Probleme der Gegenwart seien ein Werkstück, an dem nur die „richtigen“ Schräubchen nachgezogen werden müssten. Das kann natürlich nicht funktionieren. Zuletzt beim Streit über die Rente hat sich gezeigt: Zwischen SPD und Union sind Diskussionen über grundlegend unterschiedliche Ziele nicht zu vermeiden – glücklicherweise! Doch besteht stets die Gefahr, dass sich die Union zur Durchsetzung ihrer Politik für die AfD öffnen. Oder: für die Linke öffnen muss.
Friedrich Merz ist offen für alle Optionen, die er offiziell ausschließt
Eine „große“ Koalition mag sich auf Kompromisse einigen. Aber die grundsätzliche Frage, ob ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge als solidarisches System erhalten oder die Alterssicherung auf die Kapitalmärkte verlagert wird, ist noch lange nicht aus der Welt geschafft. Gehen wir davon aus, dass Merz seinen neoliberalen Standpunkt nicht aufgegeben hat – nur weil der SPD ein paar fragwürdige Erfolge zugestanden hat, wie die begrenzt haltbare „Haltelinie“ bei der Rente. Und gehen wir davon aus, dass er stets darüber nachdenkt, wie und mit welchen Mehrheiten er möglichst viel von seinen ideologischen Dogmen in die Realität umsetzen kann.
Dann landen wir schnell bei einer im Ergebnis relativ erfolgreichen Doppelstrategie: Der CDU-Vorsitzende setzt auf Offenheit für alle Optionen, die er offiziell ausschließt. Also auf Offenheit gegenüber der AfD und auf Offenheit gegenüber der Linken.
Das offizielle Ausschließen ist in dem bekannten Parteitags-Beschluss von 2018 niedergelegt: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“
Auf keinen Fall mit der AfD? Also dann mit der Linken?
Gerade hat Friedrich Merz wieder bekundet, er werde mit der AfD „an keiner Stelle zusammenarbeiten“. Aber auch er kann mit einem Kopfrechnen feststellen, dass er dann das Tabu gegenüber der Linken irgendwann brechen muss. Oder dass er, wenn schon nicht sich selbst, so doch Teilen seiner Partei die Zusammenarbeit mit der AfD stillschweigend zugestehen muss.
Alles deutet darauf hin, dass der CDU-Vorsitzende entschieden hat, sich derzeit schlicht nicht zu entscheiden. Dass er im Bund mit der AfD nicht kann, gilt zumindest so lange, wie die Rechtsextremen ihre Position in Sachen Russland und Ukraine nicht radikal ändern. Es ist kein Zufall, dass vonseiten der Union die Unvereinbarkeit immer wieder besonders laut mit diesem Thema verknüpft wird – in Sachen Wirtschafts- oder Migrationspolitik wäre die Nähe zu offensichtlich.
Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite steht zum einen das Experiment vom Jahresanfang, bei dem der Noch-nicht-Kanzler Merz den lieben Kolleginnen und Kollegen der sogenannten Mitte einmal zeigte, was diese Mitte noch zählt, wenn sie bei der weiteren Brutalisierung der Migrationspolitik nicht spurt. Friedrich Merz verhalf seinem 5-Punkte-Plan zur Verschärfung der Asylpolitik – es war kein Gesetzentwurf, die CDU war ja noch in der Opposition – eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD.
Dieser Wink an die „Mitte“ dürfte der eigentliche Sinn der Abstimmung mit der AfD gegen den Rest des Bundestages gewesen sein.
Landtagswahlen 2026: Wie wird sich die CDU in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern verhalten?
Zum anderen sind da die Bundesländer, in denen 2026 gewählt wird, vor allem Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
Vieles deutet darauf hin, dass auch ein Friedrich Merz interessiert zuschauen würde, wenn sich zum Beispiel Parteifreund Sven Schulze in Magdeburg lieber auf einen Deal mit der AfD einlassen würde als auf die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch die Linke. Auch die ist nicht auszuschließen, schließlich setzen die CDU-geführten Regierungen in Sachsen und Thüringen schon jetzt auf Mehrheiten mit der Linkspartei.
Aber ein Szenario wie das folgende liegt ebenso wenig außerhalb des Möglichen: Was, wenn die AfD als stärkste Partei im Gegenzug für eine Koalition oder Tolerierung der CDU das Amt des Ministerpräsidenten überließe? Würde dann der AfD-affine Teil der Christdemokratie nicht argumentieren, man habe im Vergleich zu einem rechtsextremen Regierungschef die verträglichere Option gewählt?
Der Fall Kemmerich: Als Merz der Thüringer CDU den AfD-Freibrief gab
Das scheint den Bekenntnissen des Friedrich Merz zu widersprechen, er werde mit der AfD „an keiner Stelle zusammenarbeiten“. Aber es war kein anderer als Merz selbst, der vor fast sechs Jahren zeigte, wie man hier mit Interpretationsspielräumen arbeiten kann.
Damals, im Februar 2020, hatte die Thüringer CDU gemeinsam mit der AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. Im Nachgang dazu trat die Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zurück, weil sie so etwas auch auf Landesebene nicht dulden wollte.
Auch Friedrich Merz sprach damals von einem „Tabu- und Dammbruch, der nicht hätte passieren dürfen“ – um gleich anschließend das Hintertürchen einen spaltbreit zu öffnen. Für die Abgeordneten vor Ort sei es ja auch „nicht immer einfach“, und vor allem: Mike Mohring, der damalige Parteichef in Thüringen, sei „ja nicht Angestellter des Konrad-Adenauer-Hauses“, also der Bundes-CDU. So geht Freibrief.
Dass die Partei in Erfurt nach Kemmerichs raschem Rücktritt gleich auch den anderen Teil des Tabus brach und vorübergehend mit der links-geführten Regierung von Bodo Ramelow kooperierte, tut ein Übriges.
Heidi Reichinneks Linke kämpft gegen die rechte Öffnung von Merz
Vor diesem Hintergrund erweist sich der Schachzug der Linksfraktion, sich beim Rentenpaket der aktuellen Regierung zu enthalten, noch einmal als klug. Die Linke von Fraktionschefin Heidi Reichinnek steht, wenn es zum Beispiel um eine echte Reform der Schuldenbremse geht, vor einer wahrhaft großen Aufgabe: Sie wird einerseits zeigen müssen, dass sie trotz entschiedener Gegnerschaft zu Merz und Co. im Einzelfall für Kompromissverhandlungen auch mit der Union zur Verfügung steht.
Nur dann kann sie es einem Friedrich Merz schwermachen, irgendwann zu behaupten, er habe ja keine andere Wahl gehabt, als durch die rechte Tür zu gehen. Zu konsequenter Opposition innerhalb und vor allem auch außerhalb des Parlaments steht das keineswegs im Widerspruch.