Wir leben klimapolitisch im Arschlochozän – hingegen dies ist kein Grund zu Gunsten von Fatalismus
Während Weltklimakonferenzen scheitern, wächst im Globalen Norden eine bequeme Untergangsstimmung. Doch weltweit setzen sich Betroffene zur Wehr – und fordern Verantwortung ein. Ein Plädoyer für einen kämpferischen Zweckoptimismus
Menschen im globalen Süden leiden an den Auswirkungen der Klimakrise am meisten. Kleine Jungs paddeln in Gatumba, Burundi, in einem Holzkanu durch das Hochwasser
Foto: Michel Lunanga/Getty Images
Die Teilnehmerländer der Weltklimakonferenz können sich wieder einmal nicht auf einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern einigen. Die Bundesregierung will wieder raus aus dem Verbrenner-Aus und ruft damit ungute Erinnerungen an den Ausstieg aus dem Atomausstieg wach – aus dem sie dann wiederum ausstieg.
Währenddessen sterben in Sri Lanka, Thailand, Malaysia und Indonesien Hunderte Menschen bei den teils schlimmsten Überflutungen seit Jahrzehnten.
Willkommen im „Arschlochozän“ – Warum das Wegschauen so verlockend ist
„Arschlochozän“ nennt Klimaaktivist Tadzio Müller diese Zeit recht passend, und es ist verlockend, jetzt noch einmal den Mittelfinger zu recken und dann alles hinzuschmeißen. Man könne sich immer mehr über die Untätigkeit der Welt aufregen, schreibt der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen, oder man könne akzeptieren, dass die Katastrophe kommt, und Ende.
Fatalismus ist deswegen so verlockend, weil er einem die Erlaubnis gibt, es sich weiter gutbürgerlich nett zu machen, aber eben nicht aus Ignoranz, sondern aus intellektueller Durchdringung der Krise. Und das ist ein Privileg, das sich vor allem gut situierte Autoren wie Herr Franzen in den USA leisten können, weil die Klimakrise für sie eine rein moralische Herausforderung ist, aber eben kein Kampf um Leben und Tod.
Damit lassen sie aber auch alle hängen, für die es jetzt schon um alles geht, und auch jene, auf die das noch zukommt. Ich sag mal so: Bei denen, deren Existenz wegen der Erderwärmung auf dem Spiel steht, kommt der mit Untätigkeit gepaarte grassierende Fatalismus des Globalen Nordens nicht so richtig gut an.
Widerstand durch Klima-Klagen
Ein Instrument, mit dem sie das zum Ausdruck bringen können, sind Klagen. Dass unsere Industrien so viel CO₂ in die Luft blasen und unsere Regierungen keine gescheite Klimapolitik auf die Kette kriegen, ist nämlich in vielen Fällen rechtswidrig. Mehr als 3.000 solcher Klimaklagen wurden weltweit schon eingereicht.
Vergangenen Samstag hatteich die Ehre, mit Klagenden aus Bangladesch, Indonesien, Fidschi, Peru, der Schweiz und Deutschland im Berliner Theater „Hebbel am Ufer“ die Bühne zu teilen. Wir diskutierten Niederlagen und Erfolge – und ob die dann tatsächlich auch zu weniger Treibhausgasen führen, denn natürlich kann man sich auch als verurteilter Staat über Gerichtsurteile hinwegsetzen, wie das zum Beispiel Deutschland macht.
Das verleitet jetzt schon wieder zum Fatalismus, ich schlage aber etwas anderes vor: radikalen Zweckoptimismus. Denn der Kampf ist erst vorbei, wenn wir ausgestorben sind, und das ist meines Wissens noch nicht passiert.
Forst und Wüste
Svenja Beller ist freie Journalistin und Buchautorin. Für den Freitag schreibt sie die Kolumne „Forst und Wüste“ über Klimapolitik, Umweltschutz und was sonst noch alles schief geht. Seit einem Jahr berichtet sie im Team „Blue New Deal“ darüber, wie der Ozean noch zu retten ist