Wildtiere wie Ware: Der Kampf um dasjenige Horn

„Dummheit“, sagte John Hume halb im Ernst – und die Suche nach einer interessanten Beschäftigung im Rentenalter. Das seien die Gründe gewesen, weshalb er in den Neunzigerjahren sein erstes Nashorn kaufte. Über die Jahre kamen weitere hinzu, und irgendwann war der Südafrikaner der Besitzer des wohl größten Nashornzuchtbetriebs auf der Welt. Zeitweise zogen 2000 Tiere durch das Steppengras auf seiner Farm in Klerksdorp, auf knapp 8000 Hektar. Das ist etwa so groß wie der Chiemsee. Er habe eben eine Schwäche für „unterdrückte Kreaturen“, setzte er im Gespräch mit der F.A.Z. vor einigen Jahren hinzu. In den vergangenen Jahren sprach er kaum noch mit der Presse.

In dieser Woche stand Südafrikas „Nashorn-Baron“ zum zweiten Mal vor dem Amtsgericht in Pretoria. Der Vorwurf lautet auf illegalen Handel mit Nashorn-Hörnern. Hume und fünf weitere Personen sollen unter anderem in Formularen einheimische Scheinkäufer angegeben und deren persönliche Daten gekauft oder gestohlen haben. Innerhalb Südafrikas ist der Handel erlaubt, international nicht. Fast 1000 Nashorn-Hörner mit einem Wert von 13 Millionen Euro sollen auf verschlungenen Wegen von 2017 bis 2024 ins Ausland gelangt sein. Die Verhandlung wurde am vergangenen Dienstag auf März kommenden Jahres vertagt, um weitere Ermittlungen der Polizei zu ermöglichen.

Nashörner schützen und gleichzeitig Profit machen – geht das?

Ein einfacher Kriminalfall ist es nur auf den ersten Blick. Es geht um grundsätzliche Fragen, über die seit Jahrzehnten gestritten wird: Wie kann eine vom Aussterben gefährdete Spezies geschützt werden? Können die Zucht und die Nutzung der Tiere als wirtschaftliche Ressource die Lösung sein? Wer entscheidet darüber? Und wie lässt sich kriminellen Banden, die mit dem Nashornverkauf ein Vermögen verdienen, das Handwerk legen?

Parallel zum Gerichtsverfahren fällte kürzlich ein anderes südafrikanisches Gericht ein möglicherweise bahnbrechendes Urteil. Es ermöglicht unter bestimmten Bedingungen den Export von Nashorn-Horn im Einklang mit den Regeln des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES). Die überschaubare, aber mächtige Lobby der Nashornzüchter wittert bereits einen ersten Schritt zum freien Handel und damit lange ersehnte Geschäftsmöglichkeiten. Tierschützer wettern gegen einen „Tabubruch“, wenn Wildtiere wie Vieh gezüchtet werden.

Der heute 83 Jahre alte Hume verkörpert diese Kontroverse wie kein anderer. Für Gleichgesinnte ist er ein Mann mit einer Vision und ein störrischer Kämpfer für das Überleben einer gefährdeten Spezies. Für seine Gegner ist er ein gewiefter Geschäftsmann. Millionen seines eigenen Vermögens hat er ausgegeben, um Nashörner auf seiner Farm zu züchten und vor Wilderern zu schützen. Seit dem Start seiner „Buffalo Dream“-Farm, die später „Platinum Rhino Conservation Enterprise“ hieß, setzte er sich für den freien Handel mit dem Horn ein, nach seinen Beteuerungen nicht nur aus eigenem Interesse. „Das Geschäft mit den Hörnern ist aus den Händen legaler Züchter in die Hände von Kriminellen geraten, und alle arbeiten hart daran, dass dies auch so bleibt“, beschwerte er sich damals in dem Interview.

Heilmittel und Statussymbol

Der internationale Handel ist gemäß CITES – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – seit 1977 verboten. Ein Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts ermöglichte 2017 den Handel innerhalb des Landes, doch faktisch findet er kaum statt, weil nicht zuletzt eine zahlungskräftige und interessierte Kundschaft fehlt.

Das Ziel, über Verbote den internationalen Handel zum Erliegen zu bringen, ist bis heute nicht erreicht. Vor allem in Asien hält sich das Gerücht, das Horn der Dickhäuter könne Krankheiten heilen und die Potenz steigern. Vor wenigen Wochen veröffentlichte die amerikanische Environmental Investigation Agency (EIA) Fotos von Regalen in Geschäften in Laos, in denen pulverisiertes Horn offen – neben Bärengalle – angeboten wurde, als ob es sich um homöopathische Medikamente handle. Tatsächlich bestehen die Hörner aus Keratin wie Fingernägel oder Vogelschnäbel. Trotzdem werden auf dem Schwarzmarkt Schätzungen zufolge mehr als 50.000 Euro für ein Kilogramm bezahlt. In einigen Ländern gilt Nashorn-Horn daher als Statussymbol.

Bei den von Hume erwähnten „Kriminellen“ handelt es sich um international vernetzte Syndikate, für die Wilderer in den Heimatländern der Tiere auf die Jagd gehen. Meist werden die Nashörner dabei grausam niedergemetzelt, nur um an das Horn zu gelangen. 2006 wurden nach Angaben der EIA 60 Nashörner auf dem afrikanischen Kontinent getötet. Neun Jahre später wurden offiziell 1349 Tiere gemeldet, die von Wilderern erlegt wurden. Über zwei Jahrzehnte hinweg seien so mehr als 10.000 Nashörner ums Leben gekommen, schreibt die Organisation, vor allem in Namibia und in Südafrika. Auch große Nationalparks sind keine sicheren Orte mehr. Im berühmten Kruger-Nationalpark sank die Zahl der Breitmaulnashörner von einst mehr als 10.000 auf weniger als 2000 im Jahr 2023.

Gestutzte Hörner halten Diebe fern

Nashorn-Züchter, Parkbetreiber, Tierschutzorganisationen und Wissenschaftler unternehmen enorme Anstrengungen, um die Tiere zu schützen und den Wilderern das Handwerk zu legen, mancherorts mit Erfolg. Hume bezifferte die Betriebskosten seiner Farm vor einigen Jahren mit mehr als 300.000 Euro im Monat, etwas mehr als die Hälfte entfalle auf den Schutz vor der Nashornmafia. Jede Nacht flögen Hubschrauber über die Farm, bewaffnete Wachleute patrouillierten. Wissenschaftler an der Universität Witwatersrand in Johannesburg starteten jüngst nach sechs Jahre andauernden Forschungsarbeiten gemeinsam mit der Internationalen Atomenergie-Organisation ein Projekt, bei dem radioaktive Isotope in die Hörner gespritzt werden, um sie ungenießbar zu machen. Außerdem kann die Schmugglerware von den Sicherheitskontrollen an Grenzübergängen so leicht entdeckt werden.

Weitverbreitet ist mittlerweile die Praxis, den Nashörnern zu ihrem eigenen Schutz regelmäßig die Hörner zu stutzen. Denn sie bestehen nicht nur aus demselben Stoff wie Fingernägel, sie wachsen auch nach. Dadurch ist allerdings ein neues Problem entstanden: Wohin mit all dem Horn? Allein Hume häufte Hörner mit einem Gewicht von mehr als fünf Tonnen über die Jahre an, die wiederum vor Dieben geschützt und streng bewacht werden müssen. Jedes Jahr produziert ein Nashorn etwa ein Kilogramm der begehrten Ware.

Die Zeit drängt, wirkungsvolle Lösungen zu finden. Geschätzt gibt es heute noch etwa 23.000 Nashörner in Afrika, etwa 16.000 Breitmaulnashörner und knapp 6800 Spitzmaulnashörner. Im frühen 20. Jahrhundert waren es ungefähr fünfmal so viele. Das Nördliche Breitmaulnashorn, eine Unterart, ist „funktional ausgestorben“, nur noch zwei Kühe leben in einem Reservat in Kenia.

Freier Horn-Handel soll Kriminelle vom Markt verdrängen

Hume und andere Züchter argumentieren, nur die Freigabe des Handels könne die Tierart bewahren. Ein größeres Angebot auf dem Markt werde die absurden Preise drosseln und den Anreiz zur Wilderei mindern. Es sei ganz einfach, sagte Hume einst: „Wer kauft von Kriminellen, wenn Nashorn-Horn ganz legal in Geschäften erhältlich ist?“

Francis Vorhies sieht das auch so. Der Direktor des African Wildlife Economy Institute an der Universität Stellenbosch spricht zudem von einer vertanen Chance, wenn die zum Schutz der Tiere abgesägten Hörner nicht genutzt würden. Mit den Erlösen aus dem Verkauf der Hörner könnten Projekte des Arten- und Naturschutzes finanziert werden. Stelle man es geschickt an, könnten sogar lokale Wirtschaftszweige rund um Nashornzuchtbetriebe entstehen. Unterentwickelte ländliche Regionen könnten profitieren, Arbeitsplätze könnten entstehen. Wichtig aber sei, dass es sich um eine artgerechte, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Tierhaltung handle, setzt der Wissenschaftler hinzu.

Kritiker halten dagegen, die Nachfrage werde weiter in die Höhe schießen, wenn auch noch kommerzielle Züchter die angeblichen Wunderhörner anpriesen. Tier- und Naturschutzorganisationen wehren sich zudem aus grundsätzlichen Überzeugungen dagegen, die Trennlinie zwischen Wildtieren und Nutztieren weiter aufzulösen. So tobt in Südafrika parallel zur Nashorndebatte ein ähnlicher Streit um die kommerzielle Zucht von Löwen. Diese Tiere werden als Touristenattraktion in Streichelgehegen oder als Beute für die Trophäenjagd in Gehegen genutzt. Ein Verbot der Zucht dieser sogenannten „canned lions“ (Löwen in der Dose) ist seit Langem im Gespräch, kommt aber nicht voran. Offensichtlich ist die Lobby der Züchter und ihrer Kunden in einigen politischen Zirkeln sehr einflussreich.

Gefahr für die internationalen Beziehungen

Der Prozess gegen Hume und das Gerichtsurteil zum Nashornhandel heizen die Debatte zusätzlich an. Das Gericht in Kimberley wies Ende Oktober auf eine Ausnahme im Washingtoner Artenschutzabkommen hin: Werden Südliche Breitmaulnashörner in einem registrierten Betrieb mit dem primären Ziel des Artenschutzes gezüchtet, dann darf die Behörde ein Ursprungszertifikat ausstellen, das den Export ermöglicht. Weitere Genehmigungen oder Zertifikate nach CITES sind dann nicht nötig. Geklagt hatte ein Züchter, der nach eigenen Angaben „nachhaltig“ gewonnenes Nashorn-Horn exportieren wollte, um so die Haltung der Tiere zu finanzieren.

Vorhies von der Universität Stellenbosch hofft, dass das Urteil Anreize liefert, um Nashörner nach diesem Modell zu Artenschutzzwecken zu züchten, zumal in Zeiten, in denen Entwicklungsgelder für den Tier- und Naturschutz schrumpfen. Seine Erwartungen sind jedoch gedämpft, denn viel Politik ist mit im Spiel. „Die Regierungen sind zu nervös, Exportgenehmigungen oder Ursprungszertifikate für den Nashorn-Horn-Handel zu erteilen, weil sie damit die internationalen Beziehungen gefährden könnten.“ Zudem besteht stets die Gefahr, kommerzielle Betriebe oder Wilderer könnten über Korruption an die Genehmigungen gelangen, um den illegalen Handel zu verschleiern.

Lebende Tiere will in Afrika niemand kaufen

Humes Farm heißt mittlerweile „Rhino Rewild Project Site“. Ein Zuchtbetrieb ist es nicht mehr. African Parks, eine Organisation, die Wildschutzgebiete in Afrika mit den dortigen Behörden betreibt, kaufte das Anwesen vor zwei Jahren, mithilfe des südafrikanischen Staats und mit Spenden.

Die jahrelangen Bemühungen, den Handel freizugeben, um die Zucht zu finanzieren, hatten keinen Erfolg. Hume hatte zwischenzeitlich auf Crowdfunding-Plattformen und mit einer Kryptowährung – dem „Rhino Coin“ – versucht, Geld aufzutreiben. Auch der Versuch, die Hörner in Südafrika zu verkaufen, scheiterte. Auf einer Auktion wurde nur ein Dutzend von mehr als 200 Hörnern versteigert. Nicht nur fehlte das Interesse, Hume beschuldigte damals auch die Behörden, ihm selbst für diese wenigen Transaktionen Hürden gesetzt zu haben. „Man braucht für jeden Schritt eine eigene Genehmigung: für den Verkauf, den Kauf, für das Lagern und den Transport der Hörner. Doch sobald eine Genehmigung erteilt ist, ist eine andere ungültig geworden“, sagte er. Schließlich entschied er, den ganzen Betrieb mit allen Tieren zu versteigern. Doch kein einziges Gebot ging ein. Für die Hörner werden in Asien hohe Preise bezahlt, für lebende Tiere in Afrika ist die Zahlungsbereitschaft gering. Das ist die Krux.

African Parks hat nun eigene Pläne. Ziel sei, die Tiere nach und nach in die Wildnis, also in ausgewählte Wildparks, umzusiedeln, damit sie wieder eine „wichtige Rolle in voll funktionierenden Ökosystemen“ spielen könnten, sagt der Projektleiter Donovan Jooste. 300 Nashörner zogen schon um, künftig sollen jedes Jahr weitere 300 folgen. Kräne, Lastwägen und Flugzeuge kommen dabei zum Einsatz, allein die nötige Betäubung ist eine Herausforderung. Die tonnenschweren Dickhäuter dürfen nicht zu wach sein, dürfen aber auch nicht einschlafen, sonst kann man sie nicht mehr bewegen.

„Es ist ein monumentales Unterfangen. Es erfordert Zeit, starke Partnerschaften, fachkundige Koordination, erhebliche finanzielle Mittel und natürlich gut verwaltete funktionale Ökosysteme“, sagt Jooste. Je nach Entfernung kostet die Umsiedelung bis zu 40.000 Euro je Tier – und währenddessen wächst die Herde auf der „Rhino Rewild Project Site“ weiter. Finanziert werden soll die Herkulesaufgabe über Spenden und staatliche Zuschüsse. Die mit Hörnern gefüllten Lager des vorigen Besitzers hat African Parks aus offensichtlichen Gründen nicht mit übernommen.