Wiedervereinigung: Der Osten ist nicht Namibia
Wer aus dem Osten kommt und über den Osten schreibt, der muss immerzu den Kopf drehen. Einerseits in Richtung Westen, wo die Bevölkerungsmehrheit lebt und wo noch immer vielen erklärt werden muss, welch gewaltigen Umbruch sie in den vergangenen 35 Jahren verpasst haben. Wie dürftig einem da manchmal die Selbstachtsamkeit der westdeutschen Mittelschicht vorkommt, dieses Leiden darunter, dass es offenbar keinen Rechtsanspruch auf ein Leben in Frieden, Sicherheit und Wohlstand gibt.
Andererseits muss, wer aus dem Osten über den Osten schreibt, auch in Richtung seiner Ostdeutschen schauen. Und wer aufrichtig ist, der kann nicht verschweigen, dass die nicht nur Opfer des Geschehens seit 1990 sind, sondern auch Täter. Die Nachwendegeschichte spielt in Bischofferode (beim letztlich erfolglosen Aufstand der Kalikumpel gegen die Schließung des Bergwerks), aber sie spielt auch in Hoyerswerda (bei denen, die Geflüchtete und Vertragsarbeiter jagten, und anderen, die zusahen). Auch auf Letzteres muss man die Ostdeutschen ansprechen, gerade weil das Bedürfnis nach selbstkritischer Reflexion bei nicht wenigen überschaubar ist.