Wieder rote Zahlen: Thyssenkrupp ruft Entscheidungsjahr aus
Die Krise des Industriekonzerns Thyssenkrupp will einfach nicht enden. Das Unternehmen startet mit einem abermaligen Milliardenverlust in ein „Jahr der Entscheidungen“, wie Konzernchef Miguel Lopez es am Dienstag in Essen ausdrückte. Gemeint ist damit unter anderem, dass das Unternehmen, das in einer tiefgreifenden Transformation steckt, wichtige Sparten verselbständigen, seine Geschäfte stärker auf Effizienz trimmen und auf diese Art wieder wirtschaftlich auf die Beine kommen möchte. Bislang ist das noch nicht gelungen, unterm Strich steht am Schluss des vergangenen Geschäftsjahrs, das zum 30. September endete, nach Anteilen Dritter ein Fehlbetrag von 1,5 Milliarden Euro, teilte das Unternehmen am Dienstag in Essen mit.
Für den Löwenanteil dieses Verlusts war abermals das schon lange kränkelnde Stahlgeschäft verantwortlich, auf das der Konzern rund eine Milliarde Euro abschrieb. Wertberichtigungen musste das Unternehmen aber auch in der Materialhandels- und in der Autozuliefersparte vornehmen. Finanzvorstand Jens Schulte schob die geschäftliche Misere auf die schwache Konjunktur und die strukturellen Veränderungen in der Stahlindustrie – aber auch die Restrukturierung innerhalb des Unternehmens, die schon im Gange sei und Kosten verursache. Im Vorjahr war der Verlust von Thyssenkrupp noch größer gewesen, damals waren es 2,1 Milliarden Euro.
Lopez sprach trotz der nicht enden wollenden Zahlenmisere von einem „respektablen Ergebnis“, das er zum Ende seines ersten vollständigen Jahres als Konzernchef präsentierte. Der Hauptversammlung will er eine stabile Dividende von 15 Cent je Aktie vorschlagen. Unter anderem wird das möglich, weil die wichtige Größe „Free Cash Flow“ auf den ersten Blick eine positive Überraschung bietet. Dieser freie Barmittelzufluss lag mit 110 Millionen Euro im positiven Bereich – prognostiziert war ein Minus von 100 Millionen Euro.
Börsenkurs zwischenzeitlich mehr als neun Prozent im Plus
Der Free Cash Flow zeigt an, ob dem Unternehmen Geld zufließt oder Geld aus dem Unternehmen herausfließt. Er fiel allerdings nur deshalb so positiv aus, weil es vorzeitige Kundenzahlungen im Marinebereich schon in diesem Jahr zu verbuchen gab, die eigentlich erst für später erwartet worden waren. Finanzvorstand Schulte bezeichnete das als „Verschieber“. Heißt übersetzt: Glück gehabt, das Geld kommt – nun aber dafür im kommenden Geschäftsjahr nicht mehr rein. Analyst Christian Obst von der Baader Bank sagte, es würden nach wie vor „Barmittel verbrannt“. An der Börse lag der Kurs des im M-Dax notierten Thyssenkrupp-Titels gleichwohl zwischenzeitlich mehr als neun Prozent im Plus.
Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Konzern einen Umsatzrückgang von sieben Prozent auf 35 Milliarden Euro bekannt geben musste. Auch hierfür waren vor allem schwache Geschäfte im Stahlbereich verantwortlich, das schwache konjunkturelle Umfeld färbt aber auch auf die Materialhandelssparte ab, die ebenfalls einen Teil ihres Geschäfts mit Stahl macht. Auch das Autozuliefergeschäft litt unter Rückgängen – hier schwächelt bekanntermaßen die gesamte Branche. Nur die Marinesparte konnte zulegen. Das bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) fiel insgesamt um knapp ein Fünftel auf 567 Millionen Euro. Damit erreichte das Unternehmen zwar seine Prognose, diese hatte es aber zuletzt schon gesenkt.
Arbeitnehmervertreter zeigten sich enttäuscht. Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp, sagte: „Der Vorstand hat keine überzeugende Bilanz vorgelegt.“ Es fehle „ein Zielbild für die Zukunft des Konzerns“. Probleme seien ungelöst, „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Ebenen sind zutiefst verunsichert“.
Lopez: Rückkehr in die schwarzen Zahlen im kommenden Jahr
Thyssenkrupp kämpft seit Jahren mit schwachen Geschäften, will sich neu aufstellen und dabei nicht nur Sparten ausgliedern, sondern auch Arbeitsplätze abbauen – allerdings ohne betriebsbedingte Kündigungen. Angetreten war Miguel Lopez mit der Ansage, in dem Unternehmen werde endlich etwas passieren, er werde es nicht bei „Ankündigungen“ belassen. Die Ziele, einen Restrukturierungsplan für die kränkelnde Stahlsparte aufzustellen, die Hälfte der Stahltochtergesellschaft zu verkaufen und die Marinesparte in die Eigenständigkeit zu führen, sind allerdings allesamt noch nicht erreicht.
Für das kommende Geschäftsjahr, das Lopez als „Übergangsjahr“ bezeichnete, verspricht er allerdings eine Rückkehr in die schwarzen Zahlen. Das Konzernergebnis soll dann zwischen 100 und 500 Millionen Euro liegen. Der Free Cash Flow vor Fusionen und Übernahmen werde sich dann jedoch im negativen Bereich bewegen – zwischen 200 und 400 Millionen Euro, auch aufgrund hoher Restrukturierungskosten. Darauf angesprochen, wie das Unternehmen wieder nachhaltig positive Cashflows erzielen wolle, antwortete Lopez lediglich: „Wir setzen darauf, dass die Stärke der Segmente so ist, dass sie sich auch selbst finanzieren können und dass alle nachhaltig positive Cashflows erzielen.“
Auch auf dem eingeschlagenen Weg in Richtung grüne Transformation gibt es Rückschläge. Eine milliardenteure und staatlich hoch subventionierte Grünstahl-Produktionsanlage (DRI-Anlage), die in Duisburg gebaut werden soll, kommt später und „wird womöglich teurer als zunächst erwartet“, wie López am Dienstag sagte. „Aktuell bewerten wir die Situation, gehen aber davon aus, dass die Anlage unter den gegebenen Rahmenbedingungen realisiert werden kann.“ Von den zugesagten rund zwei Milliarden Euro Fördergeld vom Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen seien bislang rund 700 Millionen Euro geflossen, sagte López weiter.
In Verhandlungen stehe der Konzern mit der Politik derzeit vor allem über die Förderung der laufenden Kosten nach Fertigstellung der Anlage. Diese kann zunächst mit Erdgas laufen, soll aber perspektivisch mit emissionslosem grünem Wasserstoff gespeist werden. Im Groben soll das so funktionieren, dass mit steigendem Wasserstoffanteil mehr Fördermittel ausgezahlt werden. Doch wann, in welchen Mengen und zu welchem Preis der Wasserstoff nach Deutschland kommen wird, bleibt noch unklar. López sagte dazu am Dienstag, der wichtige Diskussionspunkt mit der Politik sei, „welches Gas setzen wir zu welchem Zeitpunkt ein“.
Angesprochen auf die Frage nach der Bedeutung des Bruchs der Ampelkoalition für die Förderung der Anlage und erwartete Änderungen einer möglichen unionsgeführten Regierung unter Friedrich Merz fügte er hinzu: „Ich glaube nicht, dass es darüber hinaus andere Diskussionen geben wird.“ López betonte die Wichtigkeit des Baus von Wasserstoffpipelines aus Südeuropa nach Deutschland, hier liege der Ball bei der Politik.