Westjordanland: Israels Siedlungsbau hinauf einem Hoch

Die Ankündigung des israelischen Finanzministers erfolgte in gewohnt triumphierenden Tönen. „Wir stoppen vor Ort die Errichtung eines palästinensischen Terrorstaats“, schrieb Bezalel Smotrich am Sonntag auf der Plattform X über die gerade genehmigten Siedlungen und Außenposten im besetzten Westjordanland. Auf diesem Wege werde man weiter „das Land unserer Väter entwickeln, bebauen und besiedeln – im festen Glauben an die Richtigkeit unseres Weges“. Insgesamt 69 Siedlungen habe die rechtsreligiöse Regierung von Benjamin Netanjahu damit binnen drei Jahren errichtet. Das sei „ein nie da gewesener Rekord“.
Das israelische Sicherheitskabinett hatte kurz zuvor der Gründung von elf neuen Siedlungen im besetzten Westjordanland zugestimmt und zudem beschlossen, acht Außenposten zu legalisieren. Manche davon sind in der Nähe der Grenze zu Israel angesiedelt; der Großteil befindet sich tief in palästinensischem Gebiet. Mehrere der geplanten Siedlungen sollen im nördlichen Westjordanland auf den Standorten ehemaliger Siedlungen gebaut werden, die im Rahmen des israelischen Abzugsplans von 2005 geräumt worden waren. Nach 20 Jahren korrigiere man so „eine schmerzhafte Ungerechtigkeit“ und nehme die Orte „wieder in die Siedlungskarte auf“, schrieb Smotrich auf X weiter.
Die Genehmigung der insgesamt 19 neuen Siedlungen und Außenposten bettet sich ein in eine Entwicklung, die die israelische Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu seit 2022 vorantreibt – und nach dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 noch einmal massiv beschleunigt hat. Tausende Palästinenser wurden seitdem aus ihren Häusern im Westjordanland vertrieben, die Gewalt durch israelische Soldaten und Siedler hat sich drastisch verstärkt.
Nach Angaben der Vereinten Nationen befindet sich die Anzahl israelischer Siedlungen in dem Gebiet derzeit auf einem Höchststand seit Beginn der Erhebungen. Seit Jahresbeginn seien mehr als 47.000 Wohneinheiten entwickelt, genehmigt oder öffentlich ausgeschrieben worden, hieß es in einem Bericht, der am Freitag von UN-Generalsekretär António Guterres vorgestellt wurde. In den Jahren zuvor lag die Zahl demnach noch bedeutend niedriger: Von 2017 bis 2022 wurden israelische Siedlungen im Schnitt um knapp 13.000 neue Wohneinheiten im Jahr erweitert.
Guterres sprach am Freitag von einer „anhaltenden Eskalation“ im Westjordanland. Die aktuelle Entwicklung festige die „unrechtmäßige Besetzung durch Israel“ weiter und untergrabe „das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes“. Auch aus Berlin waren kritische Töne zu hören. Die Bundesregierung rufe die israelische Regierung „zur sofortigen Einstellung des Siedlungsbaus“ auf, hieß es von einem Sprecher des Auswärtigen Amtes. „Sowohl eine formale als auch eine durch Siedlungsausbau und andere Maßnahmen herbeigeführte De-facto-Annexion“ des Westjordanlands lehne man strikt ab.
Insgesamt leben in dem Gebiet, das 1967 von Israel erobert und besetzt wurde, heute mehr als 700.000 Siedler inmitten von etwa drei Millionen Palästinensern. Nach internationalem Recht gelten sowohl israelische Siedlungen als auch Außenposten als völkerrechtswidrig.
„So beerdigt man einen palästinensischen Staat“
Die anhaltende internationale Kritik scheint Ministerpräsident Netanjahu und seine rechtsextremen Koalitionspartner derweil kaum davon abzuhalten, ihre Annexionspläne weiter umzusetzen. Im August dieses Jahres hatte Bezalel Smotrich den Bau des lange geplanten Siedlungsprojekts E1 angekündigt, im Zuge dessen mehr als 3000 israelische Wohneinheiten östlich von Jerusalem entstehen sollen. „So beerdigt man einen palästinensischen Staat“, schrieb der Finanzminister damals zu der Entscheidung, deren Umsetzung das Westjordanland praktisch in zwei Teile schneiden würde. Eine Zwei-Staaten-Lösung würde damit noch unwahrscheinlicher als ohnehin schon.
Bereits im Mai hatte die israelische Regierung den Bau 22 jüdischer Siedlungen genehmigt, Smotrich feierte ein „historisches“ Ereignis. Auch Verteidigungsminister Israel Katz sprach damals von einem „strategischen Schritt“, um die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Netanjahu bekräftigt seine Ablehnung eines solchen immer wieder.
Den Ausbau der Siedlungen, der im Westjordanland längst in die Tat umgesetzt wird, wollen derweil immer mehr israelische Rechte auch in Gaza weiter vorantreiben. In der vergangenen Woche überquerten mehrere Siedler die Grenze des abgeriegelten Küstenstreifens, hissten israelische Flaggen und forderten eine Wiederbesiedlung Gazas, bevor sie von der Armee zurück nach Israel gebracht wurden. Dem Aufruf der radikalen Bewegung hatten sich im Voraus auch zahlreiche Minister und Abgeordnete angeschlossen, darunter der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir.
Source: faz.net