Werbung und KI: Steroide pro den digitalen Kommerz

Weihnachten steht vor der Tür. Der Advent ist für viele Unternehmen die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Damit das so bleibt, laufen bald wieder Werbefilme im Fernsehen und Internet, die mit warmen Gefühlen und Nostalgie zum Kauf der beworbenen Produkte anregen sollen. Manche Unternehmen haben aus ihren Weihnachtskampagnen eine Tradition gemacht. So feiern die Werbefilme mit den roten Lastwägen von Coca-Cola, die Weihnachtsfreude in verschneite Dörfer und Städte bringen, in diesem Jahr ihr 30. Jubiläum.

Im vergangenen Jahr setzte der Getränkehersteller einen Akzent, der Kunden in besonderer Weise bewegte: „Ich finde das super schwach, langweilig und überhaupt nicht inspirierend“, schrieb ein Kommentator unter einem von drei Werbefilmen auf der Plattform Linkedin. Alle drei Filme wurden von verschiedenen Kreativen vollständig mit Künstlicher Intelligenz (KI) generiert. Empörte Rückmeldungen über die mangelnde Authentizität des Films, wie diejenige auf Linkedin, häuften sich derart, dass Coca-Cola in der Zeitung „New York Times“ sein Vorgehen in einem Gastbeitrag verteidigen musste.

Und was ist in diesem Jahr? Coca-Cola hat nachgelegt. Wieder rollen KI-generierte Lastwägen durch winterliche Landschaften und beglücken animierte Tierchen mit den ikonischen Flaschen. Das Unternehmen freut sich in seiner Mitteilung über die Schnelligkeit und Effizienz, mit der es Werbefilme nun produzieren kann. „Das geht über das Filmemachen hinaus – es ist ein transformativer Sprung in die Zukunft der Kreativität und Technologie“, lässt sich Pratik Thakar, der die Entwicklung von generativer KI bei Coca-Cola leitet, in einer Mitteilung zitieren.

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So laut die Gegenstimmen aus der Kreativbranche auch sein mögen: In Zukunft dürfte mehr KI-generierte Werbung über unsere Bildschirme flimmern und die Ablehnung zurückgehen. Martin Fassnacht von der Otto Beisheim School of Management ist sich sicher: „Wir werden von Menschen und von KI gemachte Werbung nicht mehr unterscheiden können. Und Kunden werden nicht so genau hinschauen.“ In wenigen Jahren werde niemand mehr Fragen nach der Authentizität KI-generierter Werbung stellen.

Schon jetzt scheinen Unternehmen sich Erfolg von der Kundenansprache per KI zu versprechen. Im September ergab eine Umfrage des Digitalverbandes Bitkom unter 215 Unternehmen, dass die am weitesten verbreiteten Anwendungen für KI Kundenkontakt (88 Prozent) sowie Marketing und Kommunikation (57 Prozent) sind. Die wenigsten Hemmungen, Maschinen in Arbeitsabläufe einzubinden, haben Unternehmen also an Schnittstellen mit dem Kunden.

Auffälligkeiten schaden der Marke

Der Knackpunkt ist dabei: Die Verwendung von KI darf nicht auffallen. Werbung wird üblicherweise eher beiläufig konsumiert und zieht im Normalfall an Verbrauchern einfach vorbei, sagt Susanne Adler, die am Institut für Marketing der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Verwendung von KI in der Werbung forscht. „Aber gerade, wenn Werbung durch etwas auffällt, das die Sehgewohnheiten stört, ist das erstmal negativ“, sagt Adler. Das könne dann dem Vertrauen in die Marke schaden. Ungewöhnlich starke Sättigung und falsche Darstellungen von Körperteilen, beispielsweise durch einen zusätzlichen Finger, nennt sie als Beispiele.

Viel Forschung dazu, ob KI-Werbung sich besser schlägt als menschengemachte Werbung gibt es noch nicht. Adler verweist aber auf den Anfang 2025 veröffentlichten Vorabdruck einer Studie zum Thema, an der unter anderem Forscher der TU München mitgewirkt haben. Die Forscher überprüften zusammen mit der Werbeplattform Taboola den Erfolg von KI-generierter Werbung. Im Ergebnis brachte die Werbung die meisten Klicks ein, die von KI generiert wurde, aber nicht danach aussah und das auch nicht offenlegte. Zudem heben die Forscher hervor, dass der größere Erfolg mit einem Bruchteil der Kosten erzielt werden kann.

Technologieunternehmen, die ohnehin einen Großteil der Werbeeinnahmen auf sich vereinen, wollen diesen Hebel für sich nutzen. Mark Zuckerberg zum Beispiel will mit den KI-Werkzeugen seines Unternehmens Meta die gesamte Vermarktung von Produkten automatisieren: „Jedes Unternehmen, das ein gewisses Ergebnis erzielen will, soll zu uns kommen können, ohne Inhalte produzieren oder seine Kunden kennen zu müssen“, sagte er im vergangenen Sommer in einem Interview. Geld könnten Auftraggeber je nach dem erzieltem Ergebnis überweisen.

Kosten drücken oder den Wettlauf verlieren

Solche Kampfansagen fordern wiederum ein Umdenken in klassischen Werbeagenturen heraus. Martin Sorrell versucht deshalb gar nicht, die Technologieunternehmen mit einem fundamental anderen Ansatz wie mehr Handarbeit zu schlagen. Der britische Werbeveteran wettet mit seinem Unternehmen S4 Capital vollständig auf Digitalwerbung. Seit seinem Ausstieg bei dem Agenturnetzwerk WPP 2018 werkelt der einst bestbezahlte Manager Großbritanniens an einem vollumfänglichen Werbedienstleister für die digitale Welt.

Sorrell sieht die Frage nach der Verwendung von KI schlicht als Kostenfaktor. „Unternehmen sollten nicht mehr als zehn Prozent ihres Werbeetats für den kreativen Teil der Arbeit ausgeben“, sagt er der F.A.Z. Wer seine Kosten nicht mithilfe von KI senken könne, dürfte zukünftig aus dem Wettkampf um Etats ausscheiden. „Werbeagenturen werden mehr machen müssen, während die Preise und die Kosten für einzelne Anzeigen fallen werden“, sagt Sorrell. Der Preiskampf sei vergleichbar mit dem Markt für Elektroautos, der von chinesischen Herstellern mit billigen Modellen bestimmt wird. Wer die Werbung billiger produzieren und dennoch in relevanten Medien ausspielen kann, gewinnt.

„Netflix-Modell auf Steroiden“

Diese Anzeigen werden wohl nicht mehr handgemacht, aber dafür maßgeschneidert sein. Jeder Text, jedes Bild und jedes Video könne genau auf die Vorlieben eines Kunden zugeschnitten werden. Sorrell nennt es das „Netflix-Modell auf Steroiden“. Der Streaming-Anbieter, mit dem S4 auch zusammenarbeitet, sammelt stetig Informationen über das Verhalten und die Vorlieben seiner Nutzer und spielt ihnen zielgenau Empfehlungen für Filme und Serien aus, um sie bei der Stange zu halten.

Die kleinen Bildkacheln oder Videos, die jedem Benutzer auf dem Startbildschirm des Streamingdienstes angezeigt werden, sind dabei für jeden anders. „Früher haben wir tausende Objekte produziert, die wir in der Werbung für Netflix nutzen konnten. Nun können wir Millionen davon erstellen“, sagt Sorrell. Kampagnen werden zudem wesentlich schneller entstehen. Für den Automobilhersteller Tensor habe S4 einen Werbefilm in zwölf Tagen konzipiert und umgesetzt, der früher 200 Tage gebraucht hätte.

Betrug und Vertrauensverlust

Wie aber das Beispiel von Coca-Cola zeigt, wird der Übergang nicht ohne Verwerfungen und Vertrauensverlust vonstatten gehen. KI-manipulierte Werbung löste während der diesjährigen Cannes Lions einen Skandal aus. Das Festival ist eine wichtige Werbepreisverleihung, die den Filmfestspielen an der Côte d’Azure nachempfunden ist. Einer Kampagne der brasilianischen Agentur DM9 für die Kühlschrank-Marke Consul wurden die Preise aberkannt, weil Teile von ihr mit KI manipuliert wurden. Die Agentur hatte nicht nur die Manipulation nicht deklariert. Auch hatte sie keine Erlaubnis dafür, das Material, welches vom Nachrichtensender CNN stammte, überhaupt zu verwenden, geschweige denn zu verändern. DM9 zog auch zwei weitere Kampagnen von der Preisverleihung zurück.

Als Konsequenz führte die Organisation hinter den Lions neue Standards für die Verwendung von KI ein. Dazu gehören eine Kennzeichnungspflicht und ein ganzes Handbuch für die Verwendung von KI in Einreichungen für die Preisverleihung. Generell verboten wird die Verwendung von generativer KI nicht.

Marketing-Professor Fassnacht sagt, am Ende sei es nicht die Machart der Werbung, die über ihren Erfolg entscheide. Die viel wichtigere Frage sei: „Sind die Inhalte der Werbung denn relevant für die Zielgruppe?“ LMU-Forscherin Adler warnt allerdings davor, dass Werbung Verbraucher zu stark in personalisierten Blasen gefangen halten und dadurch Wirkung einbüßen könnte. „Man kennt das vom politischen Microtargeting: Werbung für die gleiche Partei kann relativ unterschiedliche Inhalte haben, je nachdem wer derjenige ist, dem die Werbung ausgespielt wird“, sagt Adler. Im Ergebnis entstünde eine Service- und Produktwelt, die immer nur zu einer Person passt und für niemand anderen wahrnehmbar ist. „Es ist spannend, zu überlegen, was das mit zwischenmenschlichen Beziehungen macht“, sagt Adler.