Wer jetzt schon reichlich Abschiebungen nachdem Syrien fantasiert, ist ein Unmensch

Wie es in Syrien nach dem Sturz Baschar al-Assads weitergeht, ist vollkommen offen. Der Jubel der Syrer:innen ist noch nicht verklungen, da fantasieren einige Unionspolitiker:innen schon von Abschiebungen syrischer Flüchtlinge. Geht’s noch?


Knittriges Verhältnis? Ein Syrer hält im September 2015 ein Bild von Angela Merkel vor sein Herz. Die Herzen vieler Deutscher sind längst erkaltet

Foto: Sean Gallup / Getty Images


Die Freudentränen der Syrer:innen über den Sturz Baschar al-Assads waren noch nicht trocken, da zeigte Deutschland schon sein kaltes Herz. Noch am Sonntag forderte die CSU-Politikerin Andrea Lindholz einen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus dem arabischen Land. Nur einen Tag später setzte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Forderung de facto um: Alle rund 47.000 noch unbeantworteten Asylanträge von Syrer:innen wurden ausgesetzt, da ansonsten jede Entscheidung „auf tönernen Füßen“ stehe. Bestehende Entscheidungen seien davon nicht betroffen.

Dass vor allem die Zukunft Syriens auf tönernen Füßen steht, ficht einige Unionspolitiker:innen dabei nicht an. Am Montagmorgen, da war Assad gerade 24 Stunden gestürzt, fantasierte Jens Spahn bereits von Rückführungen: „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurückwill nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro.“ Auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, will nun prüfen, „ob der Schutzstatus nicht entfällt“.

SPD und Grüne, ansonsten längst Teil des großen Abschiebekartells, mahnten zur Vorsicht. Zu Recht: Jede Debatte über den Schutzstatus syrischer Geflüchteter ist zu diesem Zeitpunkt nicht nur vollkommen unseriös, sondern auch an Empathielosigkeit nicht zu übertreffen. Viele Syrer:innen leben seit zehn Jahren hier und haben sich ein Leben aufgebaut. Ihre Eigentumsverhältnisse in Syrien sind vollkommen unklar, nachdem Assad sie systematisch und massenhaft enteignet hat – wenn ihre Heimatorte nicht ohnehin zerstört wurden. Und die Zukunft Syriens ist vollkommen offen – auch ein gemäßigtes islamistisches Regime wäre keines, das Menschenrechte achtet. Dazu kommt: Kurzfristig ist auch nicht auszuschließen, dass es neue Flüchtlingsbewegungen aus Syrien gibt. So dürften viele Alawiten, die wichtigste Stütze der Herrschaft der Assads, auf gepackten Koffern sitzen oder schon auf dem Weg in den Libanon oder die Türkei sein. Auch für sie gelten Menschenrechte.

Olaf Scholz wollte auch im Sommer schon nach Syrien abschieben

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass noch im Sommer – da schien Assads Herrschaft noch fest im blutigen Sattel zu sitzen – auch SPD-Kanzler Olaf Scholz den seit 2012 geltenden Abschiebestopp für straffällig gewordene Syrer beenden wollte. Freilich ohne jemals zu erklären, warum für diese keine Menschenrechte gelten.

Wer angesichts der Ereignisse in Syrien nicht zuerst Empathie für die Menschen im Land und die Millionen Geflüchteten hat, wer ihre Freude und ihre Sorgen nicht auf sich wirken lassen kann, sondern umgehend daran denkt, wie er diese Menschen aus Deutschland rausbekommt, der ist schlicht und ergreifend ein Unmensch. Dass man auch in den Mitte-Links-Parteien lediglich dazu mahnt, diese Debatte „noch nicht“ zu führen, zeigt, wie verroht Deutschland längst ist. Besonders perfide ist dabei Jens Spahns Forderung nach einer „Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz“. Als wolle er den Syrer:innen sagen: Hilfe beim Wiederaufbau gibt es nur, wenn ihr Leine zieht.

Deutschland sollte allen, die am Wiederaufbau Syriens, an seiner Stabilisierung und Demokratisierung mitarbeiten wollen, helfen. Das kann natürlich auch bedeuten, Menschen, die hier leben, dabei zu unterstützen, zurückzukehren – wenn sie das wollen. Aber wer hier ein Leben aufgebaut hat und dieses nicht aufgeben möchte, der sollte hier bleiben dürfen – ohne Wenn und Aber.