Weniger Lebensmittel zum Besten von die Tonne: Wie sich jener Abfall reduzieren lässt
Knapp 80 Kilogramm – so viele Lebensmittel werfen die Deutschen im Schnitt jedes Jahr in die Tonne. Meistens, weil ihr Gemüse verdorben ist, sie zu viel gekocht haben oder das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Damit sind sie schätzungsweise für 60 Prozent der Lebensmittelabfälle verantwortlich. Das Bundeslandwirtschaftsministerium will sie nun mit einer Aktionswoche dafür sensibilisieren, dass dieses Verhalten weder Ressourcen noch die Umwelt schont. Denn Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat sich das Ziel gesetzt, die „Verschwendung“ von Lebensmitteln bis 2030 zu halbieren. Um das zu erreichen, fordern Vertreter des grünen und linken Lagers ein Wegwerfverbot für Händler und Verarbeiter, ähnlich wie in Frankreich. Das aber ist der falsche Weg. Um die Abfälle zu senken, lässt sich nur auf Anreize und Freiwilligkeit setzen.
Verbrauchern als den Hauptverantwortlichen lassen sich Speiseplan und Kaufverhalten nicht diktieren. In den vergangenen fünf Jahren ist die Menge weggeworfener Lebensmittel sogar um fünf Kilo je Person und Jahr gestiegen. Vermeiden lassen sich Abfälle aufgrund des Wohlstandsniveaus ohnehin kaum. Mehr Essen wird geliefert, oft wird auswärts gegessen oder im Supermarkt zu viel eingekauft, sodass die Ware verdirbt. Der Bezug zur Herstellung von Nahrung schwindet. Verbraucher hier besser zu bilden ist sinnvoll. Viele lassen sich etwa durch das starre Mindesthaltbarkeitsdatum verunsichern.
Zu Unrecht steht in der Debatte hingegen der Lebensmittelhandel am Pranger. Er ist nur für etwa sieben Prozent der Abfälle verantwortlich und bemüht sich, den Anteil zu senken. Ziel ist es, möglichst viele Abfälle weiter zu verwerten, etwa zu Kompost oder Biogas. Weggeworfen wird nur, wenn es nicht anders geht. Überschüsse lassen sich auch hier kaum vermeiden und entstehen durch fehlende Nachfrage, Fehlchargen, fehlerhafte Etiketten oder gesetzliche Qualitätsstandards.
Mehr Anreize für bessere Verwertung
Ein Wegwerfverbot ist trotzdem nicht notwendig. Der deutsche Handel spendet schon jetzt mehr Lebensmittel als der französische, obwohl in Frankreich mehr Lebensmittel in den Regalen liegen bleiben. Ein Verbot könnte dazu führen, dass Händler weniger Lebensmittel bestellen, was Engpässe in den Regalen zur Folge haben könnte. Das widerspricht dem Wettbewerbsgedanken und ist nicht im Sinne der Verbraucher.
Sinnvoller wären Anreize, um mehr zu spenden oder anders zu verwerten – oder Maßnahmen, die das Wegwerfen erschweren, wie eine Abfallgebühr. Derzeit legt die Gesetzgebung den Händlern auch Steine in den Weg. Steuerlich lohnt sich eine Lebensmittelspende an die Tafel im Vergleich zum Wegwerfen kaum. Gleichzeitig haften Händler, wenn sie abgelaufene Lebensmittel spenden wollen. Hier sollte man ansetzen. Wer stattdessen fordert, das Durchwühlen von Supermarkttonnen straffrei zu stellen, lenkt von der eigentlichen Problematik ab.
Auch in anderen Sektoren gibt es fragwürdige Gesetzeshürden. In Großküchen und Restaurants fällt aus hygienischen Gründen viel Abfall an. Ungeöffnete Joghurtbecher landen nach dem Abräumen im Müll. Viele Abfälle können an Tiere verfüttert werden, um sie wieder in ein Lebensmittel zu verwandeln. Das Schwein als Allesfresser ist dafür prädestiniert, doch das ist hierzulande seit mehr als 15 Jahren aufgrund gesundheitlicher Bedenken nur noch erschwert möglich.
Die Landwirte am Anfang der Wertschöpfungskette tragen mit zwei Prozent am wenigsten zur Verschwendung bei. Die Nahrungsmittelproduktion ist effizienter geworden, Ernteausfälle sind seltener. Dennoch sieht sich mancher Landwirt gezwungen, Zwiebeln unterzupflügen, wenn sie den optischen Ansprüchen des Handels nicht genügen. Sowohl Landwirte als auch Verbraucher können auf Fortschritte hoffen. Mit der Genschere CRISPR/Cas könnten Tomatensorten entwickelt werden, die länger haltbar sind, oder Äpfel, die nach dem Anschneiden nicht braun werden. Forscher arbeiten an Kühlschränken, die Luftfeuchtigkeit und Gaszusammensetzung an die Lebensmittel anpassen, um deren Haltbarkeit zu verlängern.
In der Debatte wird oft die moralische Komponente angesprochen. Einige Politiker betonen, weniger Lebensmittelverschwendung in Deutschland könne dazu beitragen, den Hunger weltweit zu lindern. Allerdings ist das Problem komplexer, als es oft dargestellt wird. Die Bundesregierung sollte sich darauf konzentrieren, regulatorische Hürden entlang der Wertschöpfungskette abzubauen, um unnötige Abfälle zu vermeiden. Politische Ambitionen, die Abfälle in wenigen Jahren zu halbieren, sind unrealistisch. Verbraucher lassen sich nicht zu einem Umdenken zwingen und nicht, wie etwa in China, für Verschwendung bestrafen. Potential, Abfälle zu minimieren, gibt es an vielen Stellen – das erreicht man aber nicht über Verbote.