Weltweit so viele Unternehmen insolvent wie 2020 nicht mehr

Seit den Tagen der Finanzkrise 2008 müssen Ratingagenturen mit dem Vorwurf leben, sie machten schlechte Arbeit. Damals war dies kein falscher Eindruck. Denn die Aufgabe der Agenturen besteht darin, die Ausfallwahrscheinlichkeit der Anleihen wichtiger Unternehmen zu beurteilen. Dass man noch kurz vor Ausbruch der Krise 2008 vielen Bankanleihen die besten Noten verlieh, nur um dann wenig später erstaunt deren Wertlosigkeit festzustellen, wirkt bis heute nach.

Trotzdem lohnt es sich sehr, auf eine Studie zu blicken, die die weltweit führende Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) jüngst veröffentlicht hat. Unter dem wenig inspirierenden Namen „Annual Global Corporate Default Study“ (zu Deutsch: Jährliche Studie zu Ausfallraten von Firmen) gibt S&P nämlich einen umfassenden Überblick über den Zustand der Wirtschaftswelt, wie er sich so kaum ein zweites Mal finden lässt.

Das gelingt der Agentur, weil ihr die Daten von derzeit rund 7000 Firmen aus der ganzen Welt zur Verfügung stehen, deren Kreditqualität sie beurteilt. Zusammengenommen können diese Daten tatsächlich ein wenig nervös machen, denn sie zeigen: Die Zahl der Pleiten nimmt wieder deutlich zu.

Die Gesamtausfallrate, die die Analysten nun abschließend für das Jahr 2023 ermittelt haben, hört sich mit 1,85 Prozent zwar niedrig an, aber sie ist immerhin doppelt so hoch wie 2022 und außerdem der höchste Wert seit 2020. Die S&P-Fachleute machen wenig Hoffnung, dass sich das Szenario auf kürzere Sicht verändern wird. Sie schreiben: „Höhere Zinsen infolge einer restriktiveren Geldpolitik der Zentralbanken haben die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen herausfordernder gemacht.“

Tatsächlich erlebt die Welt nun die Spätfolgen des finanziellen Großeinsatzes vieler Regierungen gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. War man 2020 noch von deren Ausbruch überrascht, was bei rund drei Prozent der von S&P beobachteten Firmen zur Pleite führte, senkten die Unterstützungsmaßnahmen die Ausfallrate 2021 auf niedrige 0,85 Prozent. Dass sie jetzt wieder ansteigt, hat auch damit zu tun, dass mittlerweile so gut wie überall die Corona-Hilfen ausgelaufen sind.

Nun könnte man dies als ein Zeichen der Normalisierung deuten – wenn nicht die tatsächliche Höhe der Schulden so herausstechen würde, die die Unternehmen nicht zurückzahlen konnten. Im Jahr 2023 waren dies 222 Milliarden Dollar. Vor 15 Jahren und damit unmittelbar nach der Finanzkrise ging es mit ausgefallenen Schulden in Höhe von 627 Milliarden Dollar zwar um viel mehr Geld, aber im S&P-Vergleich sind die aktuellen Zahlen noch immer der dritthöchste Wert seit 2010.

Welche Branchen und Länder sind nun am stärksten betroffen? Auf den ersten Blick fällt auf, dass rund 50 Prozent der Pleiten auf US-Firmen entfielen. Diese Quote überrascht, weil Amerikas Wirtschaft sich in jüngster Zeit deutlich besser entwickelt hat als der Rest der Welt.

Für diesen scheinbaren Widerspruch gibt es aber eine einfache Erklärung: In den USA ist es üblich, dass sich Unternehmen viel stärker über Anleihen finanzieren als über Bankkredite. Darum begeben dort viel mehr Firmen mit eher schlechteren Ratingnoten Anleihen – die Ratingagenturen sprechen beschönigend von Wertpapieren mit „spekulativem“ Charakter. Deswegen ist es logisch, dass von solchen Anleihen auch mehr Papiere ausfallen.

Aussagekräftiger ist die Entwicklung der Branchen. Gleich in sieben Wirtschaftssektoren liegt die Ausfallrate über dem langjährigen Durchschnitt, hat S&P festgestellt. Am deutlichsten betroffen ist tatsächlich der Bereich, den die Ratingagentur als „Freizeit und Medien“ bezeichnet. Dahinter verbergen sich beispielsweise Spielcasinos oder auch Kinoketten, deren Angebot nach der Pandemie auf weniger Interesse stößt.

Auch der klassische Einzelhandel erlebte 2023 einen vergleichsweise starken Anstieg der Insolvenzen. Exemplarisch zeigen lässt sich das Problem anhand der lange Zeit sehr erfolgreichen Handelskette Bed Bath & Beyond, bei der viele Amerikaner die Ausstattung für Bad und Schlafzimmer kauften. Weil das Unternehmen keinen gut funktionierenden Onlinehandel besaß, ging es 2023 pleite.

Besonders heraus stach übrigens eine Insolvenz im Finanzsektor – der Untergang der Silicon Valley Bank, die auch in Europa die Börsen kurzzeitig nervös gemacht hatte. Die Bank zählt zu den ganz wenigen Unternehmen im vergangenen Jahr, deren Anleihen trotz guter Ratingnote ausfielen. Das zeigt, dass sich die Ratingagenturen mit einer adäquaten Beurteilung des Finanzsektors noch immer schwertun.

Und wie ist die Lage in Deutschland? Unter den von S&P beobachteten deutschen Firmen gab es nur ganz wenige Ausfälle wie die Adler-Modemärkte. Wirklich beruhigen kann das nicht. Eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle hat gerade festgestellt: Allein im März gab es in Deutschland 1297 Firmenpleiten – das ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebung im Jahr 2016.