Weltpolitik | Wenn sich welcher Imperialismus ehrlich macht: Trump zeigt den Chabos, wer welcher Babo ist
Eines wird es am 1. November in den USA wohl nicht geben: Lebensmittelmarken für die gut 40 Millionen Berechtigten. Das verhindere der Shutdown infolge des Haushaltsstreits, Schuld seien die oppositionellen Demokraten, hieß es aus dem Department of Agriculture. Was, Stand jetzt, in den kommenden Tagen oder Wochen erheblich wahrscheinlicher zu sein scheint als ein gefördertes Abendessen für ein Achtel der US-Bevölkerung, ist ein militärischer US-Überfall in der Karibik. Trifft es Venezuela? Oder Kolumbien? Oder beide?
Dass die USA in ihrem sprichwörtlichen Hinterhof jederzeit „intervenieren“, ist nun nicht neu. Und doch ist diesmal etwas anders. Zwar sagte Präsident Donald Trump, nachdem sein Militär vor Venezuela drei Dutzend Leben genommen hatte: „Ich töte Leute, die Drogen in unser Land bringen, okay?!“ Aber man merkt ihm an, wie lästig es ihm ist, einen potenziellen Angriffsgrund zu finden. Bei Kolumbiens Präsident Gustavo Petro reicht eigentlich schon ein „freches Mundwerk gegenüber Amerika“.
Ein hell gestimmter Trump würde wohl noch nicht einmal widersprechen, wenn man ihm vorhielte, dass es nicht um Drogen geht, sondern „um Energie, Märkte und geopolitischen Einfluss in der Region“, wie es etwa Demian Regehr von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung jüngst sagte. Um was sollte es denn sonst gehen?
Donald Trump ist ein Mann der nackten Macht. Er gibt gar nicht erst vor, dass seine Macht – die Macht der Vereinigten Staaten – einem hehren Ziel diene. Will Trump diesen Staatschef oder jenen Präsidenten absetzen oder angehen, dann ist das eben so, no explanations! In gewisser Weise macht sich der amerikanische Imperialismus in Donald Trump schlicht ehrlich.
Viktor Orbán ist auch nur ein Chabo
Diesen Modus Operandi lernt gerade auch Viktor Orbán kennen. Noch unlängst sah sich Ungarns Ministerpräsident auf dem Zenit: Nur zu gut hätte es ihm gefallen, dem amerikanischen wie dem russischen Präsidenten in Budapest die Hand zu schütteln und Brüssel so zur Weißglut zu bringen. Dann aber schaltete Trump in Sachen Ukrainekrieg jäh von „Erst verhandeln, dann Waffenruhe“ auf „Erst Waffenruhe, dann verhandeln“, was ein Unterschied ums Ganze ist – und verhängte Sanktionen gegen russische Petro-Konzerne. Genau dagegen hatte sich Orbán stets verwahrt.
Fast zeitgleich brachen in einer rumänischen und einer ungarischen Raffinerie, die russisches Öl verarbeiten, spontan Feuer aus – während Trumps NATO-Mann Matthew G. Whitaker seine Hilfe dabei anbot, die Länder aus dieser Abhängigkeit zu befreien. Schon findet sich derselbe Orbán, den MAGA angeblich so verehrt, in einem Rattenrennen nach Washington wieder, wo er um Milde bitten wird.
Vom Rapper Haftbefehl stammt die ikonische Zeile „Chabos wissen, wer der Babo ist“. Treffender lässt sich King Donalds Hofstaat kaum beschreiben. Das alte, „regelbasierte“ Imperium à la Barack Obama bezog die Macht auf eine Idee jenseits ihrer selbst. So hohl und abgeschmackt dieser Anspruch am Ende sein mochte, bot dieses System doch Nischen für Lauheit, Mitläufertum und Nebenagenden. Nun aber, da die Macht nackt ist, gelten andere Regeln: Die Chabos in Brüssel, Paris oder Berlin kostet ihr Platz an Babos Tafel ordentlich Schutzgeld, sicher ist ihnen trotzdem nicht viel. Und wenig spricht dafür, dass sich das so schnell wieder ändert.
Russland, China: Trump handelt klüger, als er meist klingt
Denn das Imperium ist herausgefordert. Mit China erhebt sich eine neue Riesenmacht im Osten. Der alte, längst besiegt geglaubte Rivale Russland hat sich als erheblich geschickter und hartnäckiger erwiesen, als man es ihm in Washington lange zutraute – und die notorische Problemzone im Nahen Osten brodelt weiter. Die strategische Flexibilität, die diese Situation verlangt, scheint aber Trump trotz – oder wegen – seiner oft erratisch wirkenden Art eher aufbringen zu können als das im Glauben an die eigene Allmacht gefangene Washington der Neocons, das wir so lange kannten.
Mit Moskau hat er immerhin den Weg in einen Austausch gefunden. Und in all der Feindseligkeit, die Trump immer wieder gegenüber Peking an den Tag legt, steckt auch die Anerkennung, dass Xi Jinping eben nicht nur ein Chabo ist. Trump provoziert und droht zwar gerne. Hat aber sein Gegenüber ein gutes Blatt, ist er bereit, das anzuerkennen. In etwa so ist wohl die jüngste Runde des amerikanisch-chinesischen Dramas zu verstehen.
Mit feindseliger Rhetorik und horrenden Zolldrohungen forderte Trump sein Gegenüber Xi zunächst auf, die Karten auf den Tisch zu legen. Das tat Chinas Präsident in einer recht beeindruckenden Weise, Stichworte Seltene Erden, Sojabohnen, Computerchips. Und der eben noch schäumende Trump sah, nickte – und verhandelte beim Treffen mit Präsident Xi Jinping im südkoreanischen Busan offenbar einen Modus Vivendi.
Aus dem Ukrainekrieg ein Geschäft gemacht
Wer sich ob seiner gelegentlich clownesken Züge über Donald Trump lustig macht, hat also nur schlecht hingeschaut. Gegenüber Widersachern handelt der Imperator erheblich klüger und vor allem beweglicher, als er bisweilen klingt. Derweil unterwirft er das eigene Lager konsequent einem Imperativ der Straffung. Hielte König Trump in diesen Tagen eine mittelalterliche Heerschau, könnte er ganz zufrieden sein.
Den Ukrainekrieg hat er zwar nicht beendet, aber binnen Monaten bilanzmäßig gedreht: Der „Mineraliendeal“ und der Waffen-Dreieckshandel via Europa haben aus dem Fass ohne Boden ein Geschäft gemacht – egal, wie der Krieg zunächst weitergeht. Statt am billigen russischen hängt Europa jetzt am teuren US-amerikanischen Gas, wobei als Extra ein Wettbewerbsvorteil zu Buche schlägt. Da Brüssel obendrauf den unverschämten „Zolldeal“ geschluckt hat, ist Europa gegenüber dem Jahr 2021 ganz neu eingenordet.
Dreht Trump jetzt auch noch Venezuela, den ewigen linkspopulistischen Troublemaker im Hinterhof, wäre das in der Kürze der Zeit schlicht eine glänzende Bilanz. Selbst wenn man den beträchtlichen außenpolitischen Schaden, den ein neues israelisches Gaza-Bombardement mit sich brächte, aus innenpolitischen Gründen in Kauf nimmt.
Wohlgemerkt und noch einmal: Glänzend ist all das nur im Sinne des Imperiums und seiner politischen Klasse, nicht für all die Menschen, die sterben und leiden. In den Gräben, Panzern und Kellern der Ukraine gibt es nichts, was glänzt – wie in den Trümmerbergen der Horrorzone Gaza. Doch all diese Menschen sind unter den gegebenen Bedingungen nur dann von weltpolitischem Belang, wenn sich ihr Schicksal instrumentalisieren lässt.
Es ist gewiss nicht leicht, sich auch nur vorzustellen, wie sich diese Bedingungen entscheidend verändern ließen. Klar ist nur, dass dabei auch diejenigen eine Rolle spielen müssten, die in den USA nun keine Lebensmittelmarken haben oder hierzulande beim Bürgergeld schikaniert werden. Denn das sind jetzt schon viele – und es werden sehr schnell mehr.