Weißes T-Shirt: 10 Facts via den Modeklassiker

A

wie Arbeitskampf

Als der Börsencrash 1929 die Große Depression auslöste, entließen die US-Autohersteller viele Arbeiter, um Kosten zu senken. Andere wurden unter Lohndruck gesetzt. Arbeiter (→ Unterhemd) begannen, sich bei General Motors zu organisieren, und gründeten eine Gewerkschaft. Mit einem sechswöchigen Sitzstreik sorgten sie so lange für einen Produktionsausfall, bis das Unternehmen die Arbeitnehmervertretung als Verhandlungspartner akzeptierte. Dies hatte Auswirkungen auf die gesamte Automobilindustrie. 1948 wurde dann der Nationale Weißes-T-Shirt-Tag ins Leben gerufen, um an den 11. Februar 1937 zu erinnern, den Tag, an dem der historische Arbeitskampf in der Automobilbranche beendet wurde. Die Entscheidung für die Farbe Weiß hat einen einfachen Grund: Zum Zeitpunkt des GM-Streiks durften nur Mitarbeiter in gehobeneren Positionen weiße Hemden tragen. Man wollte damit symbolisch zum Ausdruck bringen, dass alle Arbeitnehmer die gleiche Anerkennung verdienen. Tobias Prüwer

B

wie Baumwolle

Saugfähig, hautfreundlich, hitzebeständig, langlebig – bereits im Mittelhochdeutschen ist das Wort „boumwolle“ belegt. Einst schrubbten die Frauen die weißen Hemden im Zuber und legten sie auf eine Wiese, wo sie mit Wasser begossen wurden. Die Rasenbleiche heißt ein Bild von Max Liebermann. Das Bügeln von T-Shirts spare ich mir meist. Sowieso fühlt sich Bio-Baumwolle weicher, gar seidiger an. Keine Pestizide, keine genmanipulierten Pflanzen, keine Monokulturen – ob die Werbung dafür stimmt, lässt sich freilich nicht überprüfen. Wirklich keine Weißmacher und Weichmacher enthalten? Wirklich fair gehandelt? Aber alles ist nachhaltiger, als jeden Tag ein neues weißes Shirt zu kaufen und anzuziehen, wie der Schauspieler Channing Tatum, der das vor Kurzem erklärte. So sehr muss er Wäschewaschen hassen. (→ Chlor). Irmtraud Gutschke

C

wie Chlor

Nie hätte ich gedacht, mal in der Haut von blendend weiß bezahnten Waschmittelwerbungsfrauen zu stecken und kopfschüttelnd das T-Shirt meines zweijährigen Kindes in der Hand zu halten. Es ist schon faszinierend, auf wie viele Arten es so ein Kleidungsstück einsauen kann: Vom gleichmäßig grauen Sandstaubfilm über den Klassiker (Tomatensoßenspritzer) bis hin zu eigentlich allem, was den Kinderalltag berührt (Eis, Fingerfarben, Kettenfett, Blut, …). Ich habe viel probiert, um gegen die Fleckenschar anzukommen: Gallseife, Waschsoda, Natron, das Zeug in der pinken Dose. Und natürlich auch Chlor. Das eignete sich bisher ganz gut bei normaler Verschmutzung (also, Erwachsenenshirts), bei der Kinderklamotte habe ich eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Chlor reagiert mit Sonnencreme und färbt diese Stellen rosa ein. Nach dem Trocknen in der Sonne verschwanden die Flecken wieder, aber das ist leider nicht immer der Fall. Letzte Maßnahme: Keine weißen T-Shirts mehr fürs Kind. Susann Massute

K

wie Klebeband

Klar, alle wollen jetzt wie Carmy aussehen. Und Jeremy Allen White ist ohnehin schon auf dem Weg zum Steve McQueen des 21. Jahrhunderts. Und das heißt nun eben zusätzlich Out-of-the-Bed-Locken und vor allem dieses weiße T-Shirt von der schwäbischen Alb, das mehr kostet als ein Oberhemd. Aber ein normaler Koch wie ich kann sich das nicht leisten. Unter den Menschen am Herd ist das eigentliche Thema deshalb auch das blaue Klebeband, mit dem jede Tupperdose in der Küche der Kultserie The Bear beschriftet wird, übrigens genauestens mit Datum und Zeit. Und dann wird das Band auch noch mit der Schere geschnitten, obwohl es auf einem praktischen Abroller sitzt. So was ist kochliche Präzision bis ins Detail. Handelt es sich um farbigen Malerkrepp oder Washi-Tape? Auf jeden Fall führt der Weg zu den Sternen künftig nur noch über blaues Band. Jörn Kabisch

L

wie Leinwand

Waren Sie schon mal auf einem Holi-Festival? Ein weißes T-Shirt ist dafür quasi ein Muss. Bei einem Holi-Festival bewerfen sich (vor allem) junge Menschen gegenseitig mit Farbpulver. Überall sind bunte Farbwolken zu sehen, dazu gibt es das übliche Festivalprogramm: Alkohol und Musik. Die weißen Kleidungsstücke werden benötigt, um mit den Farben einen Hauch von Kunst zu kreieren. Das weiße T-Shirt dient als Leinwand, auf der sich die Pulverfarbe musterförmig niederlässt. Magnifique! Ursprünglich ist Holi ein indisches Frühlingsfest aus der hinduistischen Tradition, das mehrere Tage lang gefeiert wird. Dabei soll unter anderem der Triumph des Guten über das Böse zelebriert werden. Allerdings wurde Holi, genauso wie Yoga, im Westen seiner Tradition entledigt und vom Kapitalismus geschluckt und vermarktet. Wenig ist übrig geblieben, außer dem Farbpulver und den Spuren auf den weißen T-Shirts. Holi-Varianten gibt es Anfang September auch in Hannover, Leipzig und Mönchengladbach. Ben Mendelson

M

wie Marlon Brando

Stanley Kowalski, gespielt von Marlon Brando, neigt zu Wutausbrüchen. Seine Frau Stella weiß ein Lied davon zu singen. Empathie kennt er nicht, wohl aber einen ausgeprägten Klassenhass. Das bekommt vor allem seine verarmte, aber noch immer hochnäsige Schwägerin Blanche zu spüren, die bei den Kowalskis Unterschlupf sucht. Tennessee Williams’ Drama Endstation Sehnsucht (1947), ein hochtouriger Ausflug in die Kampfzone der Geschlechter, wurde zum Broadway-Erfolg, nicht zuletzt dank Marlon Brando als Stanley Kowalski. Als Sexsymbol etablierte sich der junge Schauspieler aber erst durch Elia Kazans Verfilmung von 1951, was auch seinem auf die Haut geschneiderten weißen T-Shirt geschuldet war. Dass Marlon Brando mit Stanley Kowalski einen Schläger und Vergewaltiger darstellte, wird bis heute gerne übersehen.Joachim Feldmann

T

wie Trigema

Der eine gilt seit Jahrzehnten als Patron der deutschen Textilbranche, der ein mehr als 100-jähriges Familienunternehmen betreibt. Wolfgang Grupp schuf mit seiner Firma Trigema einen Modekult auf der Basis des weißen T-Shirts, mit dem er experimentierte (zum Beispiel führte er die Technik des Batikens ein). Er forderte einen hohen Preis für diese T-Shirts und bekam ihn. Das andere ist ein kleines schwäbisches Unternehmen aus Albstadt, das schon fast pleite gegangen war. Bis The Bear kam,die Erfolgsserie, in der der Koch ein weißes → Baumwoll-T-Shirt trägt und zur Stilikone wurde. Die Kostümdesignerin der US-Serie, Cristina Spiridakis, kaufte das weiße Shirt in einem Herrenbekleidungsgeschäft in New York. Seither ist es so gefragt, dass beim kleinen Hersteller über Nacht der Online-Shop zusammenbrach. Mit dem (Serien)- T-Shirt eroberte „Merz b. Schwanen“ den Weltmarkt. Und Patriarch Wolfgang Grupp von Trigema, der andere Player aus Baden-Württemberg, der hielt immer am Standort Deutschland fest und übergab Anfang des Jahres seine Traditionsfirma an seine Kinder. Toni Heinemann

U

wie Unterhemd

Man hat sofort eine Szene aus Viscontis Rocco und seine Brüder (1960) vor Augen. Das „canottiera bianca“, es war lange eines der Sinnbilder des italienischen Proletariers, verewigt auch in Paola Cortellesis Film Morgen ist auch noch ein Tag (2023), der in der Nachkriegszeit spielt und in dem der rohe Ehemann das weiße Unterhemd wie eine Rüstung trägt. In Roberto Benignis Komödie Berlinguer, ti voglio bene (1977) ist es die Uniform für die Baustelle, mit Hosenträgern unterm bunten Hemd und Goldkette. Was mal das Symbol einer Klasse war (→ Arbeitskampf), wird heute auf roten Teppichen von femininen jungen Männern vorgeführt. Ganz verschwunden ist es aber noch nicht aus den einfachen Milieus. Wenn der Livorneser Bobo Rondelli von „Shanghai“, dem Arbeiterviertel seiner Heimatstadt singt, dann meistens im canottiera bianca. Maxi Leinkauf

W

wie Wet-Shirt

Das Wet-T-Shirt hat Karriere gemacht und tut es noch immer: es war Sexsymbol und ist heute noch immer ein Instrument der Objektifizierung. In den 1990er-Jahren prägten Supermodels wie Cindy Crawford, Kate Moss und Claudia Schiffer das Bild des nassen weißen Shirts – ein Symbol der Mode und weiblicher Erotik, das in der Popkultur Einzug hielt. Frank Zappa griff das Thema 1979 in seinem Song Fembot in a Wet T-Shirt auf und stellte die Sexualisierung von Frauen kritisch dar. Warum wird der weibliche Körper noch immer auf solch oberflächliche Weise reduziert? Kaltes Wasser über ein weißes Shirt zu gießen, scheint zeitlos: So macht Heidi Klum in der neuesten Staffel ihrer Castingshow Germanys Next Topmodel mit ihren Mädels wieder ein Shooting in nassen Shirts. Auch wenn die Zeiten woker geworden sind, dem Wet-T-Shirt scheint das nichts anhaben zu können. Es bleibt ein Symbol für den antiquierten Blick auf Frauen. In einer Welt, die nach Gleichberechtigung strebt, sollte, was ein Relikt aus den 90ern ist, in den Ruhestand geschickt werden, von Männern und Frauen.Jens Siebers

Z

wie Zivilisiert

Rebellisch ist das weiße T-Shirt längst nicht mehr, mehr ein (modisches) Passe-partout. Der Ursprung ist militärisch, es geht auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs. Das T-Shirt war Unterwäsche und gehörte ab 1913 zur Standardausstattung der Navy, was funktionale Gründe hatte. In der Zivilbevölkerung hat es sich parallel als Schutz vor Kälte entwickelt. Seit 1920 wurde es an amerikanischen Prep-Schools getragen, erst nur als Sportuniform, aber auf dem College war man ja unter sich und konnte es offen tragen, was als Tabu-Bruch galt, als Provokation. Nach James Dean in Rebel Without a Cause (1955)präsentiertenes dann auch Studierende an den US-Elite-Unis ohne was drüber, anti-bürgerliches Aufbegehren. Spätestens als sich John F. Kennedy lässig im weißen T-Shirt in Pose setzte, wurde es Massenkultur.ML