Weihnachten in Iran: Die Jugend liebt Selfies mit Weihnachtsbäumen

Negar Hosseini hatte schon immer ein Faible für Weihnachten. Aber noch nie erwartete die Iranerin am 25. Dezember so viele Gäste wie in diesem Jahr. „Ich bin auch auf anderen Weihnachtsfeiern eingeladen“, sagt die Muslimin aus einer Kleinstadt in der zentraliranischen Provinz Isfahan am Telefon. „Das Interesse an Weihnachten hat wirklich zugenommen.“ Mit Religion hat das jedoch nichts zu tun. In dem international isolierten Land stillen Weihnachtsfeiern die Sehnsucht, mit dem Rest der Welt verbunden zu sein.
Hosseini findet leuchtende Tannenbäume und rot gekleidete Weihnachtsmänner einfach schön. Früher ließ sich die Zweiundfünfzigjährige ihre Weihnachtsdekoration von ihren Schwestern aus dem Ausland mitbringen, weil sie in Iran nicht fand, was sie suchte. Lange gab es Christschmuck in Isfahan nur in den Geschäften rund um die Vank-Kathedrale zu kaufen, in der die armenische Minderheit ihre Gottesdienste feiert. Jetzt kann man Lichterketten, Bäume und Weihnachtsplätzchen überall in der Stadt kaufen – und sogar auf staatlichen Shopping-Plattformen im Internet.
In diesem Jahr hält sich das Regime zurück
Auch Cafés, Restaurants und Einkaufszentren sind weihnachtlich geschmückt und werben damit auf Instagram. Vor manchen Cafés in Teheran stehen die Leute Schlange, um sich mit der opulenten Dekoration zu fotografieren. „Ich poste gerne Fotos von Weihnachtsbäumen“, sagt Hosseinis siebzehnjährige Nichte Elaheh. Manchmal bekommt die Gymnasiastin darauf negative Reaktionen. So wie: „Das ist nicht unsere Kultur.“ Ihre Antwort: „Ich nehme jede Gelegenheit wahr, glücklich zu sein.“ So sichtbar wie in diesem Jahr war Weihnachten in Iran noch nie.
Dennoch halten sich religiöse Hardliner mit Kritik daran dieses Mal auffallend zurück. Noch im vergangenen Jahr warnte die Nachrichtenagentur der Basidsch-Miliz, das Interesse an Weihnachten könne die islamische Identität Irans untergraben und sei Ausdruck der kulturellen Dominanz des Westens. Die staatliche Nachrichtenagentur Mehr mokierte sich über Iraner, die islamische Feiertage als arabischen Kulturimport ablehnten, während sie westliche Weihnachtskultur imitierten. In diesem Jahr argumentieren regimenahe Kulturwissenschaftler lieber, das westliche Weihnachtsfest sei von der altiranischen Yalda-Nacht beeinflusst, die am 21. Dezember gefeiert wird.
Dass der Kulturkampf in diesem Jahr ausfällt, hat wohl auch mit dem Zwölf-Tage-Krieg mit Israel im Juni zu tun, aus dem das iranische Regime geschwächt hervorgegangen ist. Seither meidet der Sicherheitsapparat offene Konfrontationen mit der Bevölkerung in Fragen des Lebensstils. So nahmen Anfang des Monats unzählige Frauen ohne das obligatorische Kopftuch am Marathon auf der Urlaubsinsel Kisch teil. Verhindert wurde das nicht. Stattdessen wurde gegen die Organisatoren ein Strafverfahren eröffnet. „Vielleicht will die Regierung uns zeigen, dass sie nicht gegen uns sei“, meint Elaheh, die eigentlich anders heißt. „Aber ich glaube ihnen nicht.“ Ihre Tante meint, die Regierung habe verstanden, dass es nur Probleme schaffe, wenn sie den Leuten den Spaß verbiete.
Erfolge der Generation Z
Die begrenzten Freiheiten hat sich Irans Generation Z hart erkämpft. Während der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung von 2022 wurden mehr als 500 Personen getötet und mehr als 20.000 Personen festgenommen. Die Proteste richteten sich nicht nur gegen den Kopftuchzwang, doch dass Frauen ohne Kopftuch heute in dem Land zur Normalität geworden sind, ist ihr sichtbarster Erfolg.
Die Jugend drängt derweil weiter darauf, die Grenzen des Machbaren zu verschieben. Das zeigte sich auch an Halloween im Oktober. Offiziell waren der Verkauf von Kostümen und die Veranstaltung von Halloween-Partys in Restaurants und Cafés verboten, um „kulturelle, religiöse und gesellschaftliche Normen zu schützen“. Doch das Verbot wurde weitgehend ignoriert. Viele Iraner liefen offen in Hexen- und Geisterkostümen durch die Straßen und verbreiteten Fotos davon im Internet. „Das hat mit den sozialen Medien zu tun“, sagt Elaheh. „Wir sehen, wie die Leute im Ausland feiern, und wollen das auch.“ Sie ging als Bellatrix Lestrange, eine der Todesserinnen in den Harry-Potter-Romanen.
Fast schon hilflos wirkten da die Aussagen von Regierungssprecherin Fatemeh Mohadscherani, die sagte, Verbote seien nicht der beste Weg, damit umzugehen. Besser sei es, Kulturarbeit zu leisten, um „zu unseren eigenen nationalen und religiösen Feiertagen“ zurückzukehren. Der frühere Präsidentenberater und gemäßigte Kleriker Ali Abtahi appellierte an die Hardliner, das gestiegene Interesse an Halloween, Weihnachten und Valentinstag nicht zu politisieren. Es handle sich um Vergnügungsfeiern der Generation Z, die sich „durch soziale Medien als Teil der globalen Gemeinschaft sehen“. Anstelle von Verboten sollten „die Grenzen des Glücks für die junge Generation“ erweitert werden.
Zwischen Toleranz und Fanatismus
Irans Führer Ali Khamenei wurde einmal gefragt, ob es in Ordnung sei, wenn Muslime Weihnachten feiern. Er sagte, es sei nichts dagegen einzuwenden, die Geburt Jesu zu feiern. Es solle aber nicht in einer Weise geschehen, welche die degenerierte Kultur des Westens fördere und den Glauben korrumpiere. Seit Jahrzehnten nutzen Irans Behörden die Weihnachtszeit, um vermeintliche Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten zu inszenieren. Sogar während der Präsidentschaft des Hardliners Mahmud Ahmadineschad spendete die Stadt Teheran vor zwanzig Jahren 5000 Weihnachtsbäume an die armenische Gemeinde.
In Iran leben mehr als 120.000 ethnische Armenier. Anders als die Muslime im Land, die sich an westlichen Traditionen orientieren, feiern sie ihr Weihnachten allerdings erst am 6. Januar. Irans Beziehungen zu Armenien sind besonders eng. In Teheran wurde kürzlich in der Nähe der armenischen Sankt-Sarkis-Kathedrale die U-Bahn-Station „Heilige Maria“ mit Wandbildern von Maria und Jesus eröffnet. Ganz in der Nähe ließ die Stadtverwaltung von Teheran einen großen Weihnachtsbaum aufstellen und Poster aufhängen, auf denen die Geburt Jesu gefeiert wird. Zugleich werden in Iran immer wieder Konvertiten wegen Verbreitung des Christentums zu langen Haftstrafen verurteilt.
Source: faz.net