Wehrpflicht: Ein Bundeswehr-Angebot, dasjenige die Arbeiterklasse nicht verwehren kann

Die Bundeswehr lockt: 80.000 Soldatinnen und Soldaten sollen bis 2030 angeworben werden, mit attraktiven Gehältern und Vergünstigungen. Doch wer wird letztlich den Dienst an der Waffe antreten?


Rekruten der Bundeswehr

Foto: Martin Meissner/AP/picture alliance



6

Die Debatte über die Bundeswehr verläuft erschreckend erwartbar. In Tweed-Sakkos debattieren wir über Militarisierung und Aufrüstung, in Feuilleton-Artikeln fühlen wir uns moralisch erhaben, weil wir keine Rheinmetall-Aktien im eigenen Depot sammeln. Auf Instagram entrüsten wir uns in Rollkragenpullovern über Waffenproduktion und Wehrpflicht. Und genau das ist das Problem.

Viel zu selten wird in diesen Tagen gefragt, wer da eigentlich den Dienst an der Waffe ausführen soll. Mal ganz kurz ausgeblendet, ob wir die Bundeswehr nützlich oder doof finden – die Debatte ist völlig entglitten. Und wird immer noch viel zu elitär von Menschen geführt, die es sich leisten können, zu erörtern, ob sie für ihr Land kämpfen wollen oder lieber nicht. Es wird nämlich vor allem diejenigen treffen, die keine Tweedsakkos, Rollkragenpullover oder Flanellhosen tragen.

Dafür wird die Bundeswehr gerade politisch auf Kurs gebracht. Der Dienst bei der Bundeswehr soll attraktiver werden. Bis 2030 will Verteidigungsminister Pistorius 80.000 zusätzliche aktive Soldatinnen und Soldaten für den Militärdienst gewinnen, mitten im Fachkräftemangel. Der Unterschied? Beim Bund gibt es als Einstieg mehr als 2000 Euro netto plus zusätzliche Vergünstigungen – bisher waren es 1400 Euro für den freiwilligen Dienst. Dazu zählen das kostenfreie Zugfahren innerhalb Deutschlands sowie ein beträchtlicher Zuschuss von bis zu 3500 Euro für den Führerschein.

Anziehen könnte das vor allem junge Menschen aus Arbeiterfamilien oder migrantische Jugendliche. Oder Teenager, die sich aus dem Bürgergeldhaushalt befreien wollen. Eine schnelle finanzielle Unabhängigkeit für Menschen, die sonst aufbauen, abwischen, ausliefern oder anschließen.

Dienst an der Waffe plus subventioniertem Führerschein

Denn wer die Wahl hat zwischen einem schlecht bezahlten Ausbildungsplatz im Handwerk, der Pflege oder im Dienstleistungsbereich – mit knapp etwas über 1000 Euro Einstiegslohn, ohne staatliche Privilegien –, dem fällt die Entscheidung zum Dienst an der Waffe inklusive subventioniertem Führerschein umso einfacher. Ein echter Pull-Faktor – zunächst für einen begrenzten Zeitraum Soldat zu werden. Geld hierfür ist offensichtlich zu Genüge da, um alle fingierten Probleme von CDU und SPD zu lösen.

Der Einstiegssold bei der Bundeswehr wäre dann mit all den Vorzügen höher als nach einem Studium Sozialer Arbeit und einer Ausbildung im Krankenhaus. Während der sogenannte „Herbst der Reformen“ scheinbar unaufhaltsam bevorsteht, werden schlussendlich tausende systemrelevante Stellen unbesetzt bleiben.

Zum Vorwurf sollte man das keinem jungen Erwachsenen machen, der lernen musste, wie man einen Antrag beim Jobcenter ausfüllt, und ihn vielleicht noch für die Eltern übersetzt. Oder der großen Schwester, die stundenlang auf die Geschwister in der viel zu kleinen Wohnung aufpassen muss, während der Orangensaft über die Hausaufgaben am Küchentisch kleckert, weil das Amt den Schreibtisch nicht bewilligt hat.

Die Bundeswehr hat offenbar einfach die geileren Antworten auf den Sozialstaat. Nur, dass dieser diejenigen, die auf ihn angewiesen sind, zur Waffe bringt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagt im Deutschlandfunk-Interview dazu: „Mit einem attraktiven Sold, mit einem attraktiven Wehrdienst wird es uns, (…) gelingen, junge Männer und Frauen für die Bundeswehr zu gewinnen.“

Wahrscheinlich geht es nicht um die jungen Männer und Frauen in leichten Leinenhosen, die flanierend über die Wehrpflicht diskutieren, sondern um jene, die zur Tarnhose greifen, weil sie finanziell dazu gezwungen sind. Doch das hat die Debatte gar nicht erst im Blick. Anders gesagt: Menschen, die ohnehin gesellschaftlich abgehängt werden, riskieren im Zweifel ihr Leben, um die Ungleichheit zu verteidigen, die sie erst zum Militärdienst trieb.