Was Musikhochschulen gegen Machtmissbrauch unternehmen

Eine Person spielt Geige, im Hintergrund ein Notenblatt.

Stand: 28.11.2025 15:01 Uhr

Einzelunterricht, Lehrende als Mentoren: Musikhochschulen sind anfällig für Machtmissbrauch. Ein Problem ist das Abhängigkeitsverhältnis. Lange wurde nicht darüber gesprochen, nun gehen Hochschulen dagegen vor.

Von Daniela Ziemann und Alice Kremer, SR

Ein paar Wochen vor Ende ihres Gesangsstudiums hat Julia (Name geändert) an einer deutschen Musikhochschule eine Probeunterrichtsstunde bei einer Dozentin. Der Unterricht findet in einem Raum statt, in dem eine Wand verglast ist. Vom Innenhof kann man in den Raum schauen. Die Dozentin weist sie an, ihr Kleid auszuziehen. „Die Frau meinte, dass sie meine Schultern sehen muss“, erinnert sich Julia, „die könnten verkrampft sein.“

Julia sagt nein, aber die Dozentin droht damit, den Unterricht abzubrechen. Schließlich steht Julia mit nacktem Oberkörper vor der Glasscheibe. Sie sei von der Dozentin gelobt worden, dass sie ihre Grenzen überwunden habe.

Fast 90 Prozent haben Machtmissbrauch erlebt

Julia ist nur ein Fall unter vielen. Nachdem die Münchner Musikhochschule 2018 von einem Skandal um ihren ehemaligen Präsidenten Siegfried Mauser erschüttert wurde, hatte die Hochschule eine Studie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Fast 90 Prozent der Studierenden, Lehrenden und Beschäftigten hatten in den letzten drei Jahren Machtmissbrauch selbst erlebt, gesehen oder davon gehört.

Auch die studentische Initiative gegen Machtmissbrauch an Hochschulen hatte vor gut zwei Jahren über 600 Erlebnisberichte von Studierenden gesammelt. Die Befragungen deuten darauf hin: Machtmissbrauch ist auch fast 15 Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung ein aktuelles Problem an deutschen Musikhochschulen, über das lange nicht gesprochen wurde.

Umjubelte Koryphäen als Dozenten

Auch Julia möchte anonym bleiben. Ihren Studienort will sie nicht veröffentlichen. Sie befürchtet, dass sie erkannt werden und das negative Auswirkungen auf ihre künstlerische Karriere haben könnte. Denn die Klassen an den Musikhochschulen sind oft klein. Einzelunterricht gehört zum Exzellenzstudium dazu, der häufig von umjubelten Koryphäen aus dem Tanz-, Schauspiel- und Musikbereich gegeben wird.

Hauptfachlehrende werden zu Mentoren und bauen persönliche Verbindungen auf. „Es ist auf jeden Fall an Musikhochschulen ein ziemlich krasses Abhängigkeitsverhältnis“, meint Walther Meißen von der studentischen Initiative gegen Machtmissbrauch an Hochschulen. Der Musikstudent aus Rostock sieht vor allem strukturelle Gründe, die ein übergriffiges Verhalten ermöglichen und weiterbefeuern. Der Mentor sitze in Prüfungskommissionen und entscheide über den Erfolg und Misserfolg an der Hochschule.

Unzureichende pädagogische Ausbildung

Die Diplompsychologin Jutta Stahl von der Universität Köln erklärt, dass Macht nicht automatisch negativ sei. Zum Problem werde sie, wenn eine Person Macht über eine andere habe und diese Macht nutze, um sich zu bereichern oder anderen zu schaden. Manchmal seien sich Lehrende gar nicht darüber bewusst, dass sie Machtmissbrauch ausübten.

„Wir als Professorinnen sind oft gar nicht dafür ausgebildet“, erklärt Stahl. Gerade an den Musikhochschulen unterrichteten viele berühmte Künstler und Musiker, die oftmals nur unzureichend pädagogisch ausgebildet seien.

Positionspapier und Handlungsempfehlungen

Auch Julia glaubt, dass die Dozentin ihr nicht schaden wollte. Trotzdem hat sie im Laufe ihres Studiums immer wieder problematische Situationen erlebt. Sie sei oft mit einem unguten Gefühl in den Unterricht gegangen. „Ich werde mich jetzt hinstellen“, schildert sie, „dann werde ich dieses Lied oder diese Arie vorsingen, und dann gibt es erstmal eine Pauschalkritik.“

Die Musikhochschulen in Deutschland haben das Problem erkannt. Bereits im vergangenen Jahr hat die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen (RKM) ein Positionspapier und Handlungsempfehlungen verabschiedet. Für die Umsetzung sind die 24 staatlichen Musikhochschulen in Deutschland allerdings selbst zuständig. Überprüft wird das nicht.

Vertrauensrat und verpflichtende Evaluation des Unterrichts

Die Hochschule für Musik Saar in Saarbrücken hat bereits erste Veränderungen eingeführt: Es gibt einen Vertrauensrat, der sich ausschließlich mit der Thematik beschäftigt und in dem neben Mitgliedern der Hochschulleitung auch Mitarbeitende aus dem Qualitätsmanagement und Studierende aus dem „Awareness-Team“ organisiert sind.

Außerdem hat der Rektor der Hochschule, Hans Peter Hofmann, die ursprünglich freiwillige Evaluation des Unterrichts zur Pflicht gemacht. Lehrende, die trotz wiederholter Aufforderungen und Gesprächen nicht mitwirken, müssen am Ende mit disziplinarischen Konsequenzen rechnen.

Musikhochschulen wollen für das Thema sensibilisieren

Erstmals hatten sich die 24 staatlichen Musikhochschulen in Deutschland am 27. November zu einem gemeinsamen Aktionstag verabredet. Sie wollten Studierende und Lehrende für die Themen Machtmissbrauch und Diskriminierung sensibilisieren. An jedem Standort gab es ein individuelles Programm aus Workshops und Vorträgen. In Saarbrücken ging es beispielsweise um professionell geführte Beratungsgespräche. Außerdem stand das studentische Awareness-Team bereit, um ins Gespräch zu kommen.

Der Aktionstag ist nur eine Maßnahme in einem größeren Paket. Vor gut einer Woche hat das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt eine hochschulübergreifende, empirische Studie bewilligt. Damit soll in den kommenden Monaten erstmals wissenschaftlich erfasst werden, wie groß das Problem Machtmissbrauch an den staatlichen Musikhochschulen in Deutschland insgesamt ist.

Source: tagesschau.de