Was kann Rot-Grün jetzt noch gelingen?

Die Ampel ist Geschichte. Doch schon am Morgen nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus dem Kabinett geworfen hat, richtet sich der Blick nach vorne. Scholz will erst am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg für Neuwahlen freimachen. Bis dahin, das hat er am Mittwochabend unmissverständlich klargemacht, will er gemeinsam mit einer rot-grünen Minderheitsregierung weiterregieren und aus seiner Sicht drängende Reformen umsetzen. Wie kann das klappen? Und welche Projekte könnten jetzt noch kommen – und was bleibt auf der Strecke?

Scholz braucht Geld für die Ukraine: Der Bundeskanzler hält es nach dem Wahlsieg Donald Trumps und den Geländegewinnen der Russen in der Ukraine für notwendig, die Ukraine noch stärker zu unterstützen als bisher. Er will dafür aber nicht an anderer Stelle im Haushalt sparen. Er wolle niemals die soziale Sicherheit in Deutschland gegen die Unterstützung der Ukraine ausspielen, betonte der Kanzler. Ein solches „Entweder-oder“ sei auch „unnötig“, so Scholz.

Der Kanzler will neue Schulden über die bisherige Haushaltsplanung hinaus aufnehmen und dafür die Haushaltsnotlage ausrufen. Artikel 115 des Grundgesetzes bietet in einer außergewöhnlichen Notlage die so genannte Überschreitungsmöglichkeit. Und wegen des Ukraine-Kriegs im dritten Jahr sei man in einer solchen Notlage. Eine solche Notlage schaffe „nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zum Handeln“. Bisher hat die Bundesregierung für die Unterstützung der Ukraine und der Ukrainer hierzulande 12,5 Milliarden Euro im Haushalt für das kommende Jahr 2025 eingeplant. Die zusätzlichen Schulden sind in der Höhe nicht begrenzt, sie müssen aber mit einem Tilgungsplan verbunden sein. Eingesetzt werden darf das Geld nur für einen bestimmten Zweck. Allerdings könnten SPD und Grüne auch Wege finden, um durch die Zusatzschulden Spielräume im regulären Haushalt zu vergrößern.

Scholz braucht die Union für die Notlage: Die Notlage muss von der Mehrheit der Mitglieder des Bundetages beschlossen werden. Da die FDP gegen diese Notlage ist, die Mehrheit mit den Stimmen mit den Linken nicht zu erreichen ist und der Kanzler mit großer Sicherheit nicht auf die Stimmen von AfD oder BSW angewiesen sein will, braucht er die Unterstützung von CDU und CSU. Er appelliert deshalb an deren Verantwortungsbewusstsein, die Ukraine in der schwerer werdenden Lage nicht im Stich zu lassen. Ob sich die Union, die den Ukrainehilfen grundsätzlich positiv gegenübersteht, darauf einlässt, ist aber völlig offen. Bislang hat Friedrich Merz sich stets gegen eine Umgehung oder Lockerung der Schuldenbremse gestellt.

Scholz will das Rentenpaket durchbringen: Als zentrale wirtschaftspolitische Reform, die er noch durchsetzen will, nannte Scholz die Stabilisierung der Rente, gemeint ist das schon in den Bundestag eingebrachte Rentenpakt II. Darin festgeschrieben ist eine langfristige Sicherung des bisherigen Rentenniveaus von 48 Prozent – die allerdings sehr teuer für die jüngeren Beitragszahler wird. Der Bundesrechnungshof schätzt die Zusatzkosten auf 500 Milliarden Euro bis zum Jahr 2045. Auch der Eisntieg in die Aktienrente ist Teil des Rentenpakets.

Steuerliche Entlastungen: Zu den Vorhaben, die der Kanzler noch durchs Parlament bringen will, gehört der Ausgleich der sogenannten Kalten Progression. Die Eckwerte des Steuertarifs sollen an die Inflation angepasst werden, damit Arbeitnehmer nicht nach einer Gehaltserhöhung in Höhe der Preissteigerung unter dem Strich weniger Geld in der Tasche haben, weil sie einen höheren Steuersatz zahlen müssen. Alle Arbeitnehmer sollten mehr Netto vom Brutto haben, sagte Scholz. Der Ausgleich der Kalten Progression ist Teil des Steuerfortentwicklungsgesetzes, das zuletzt die Grünen im Bundestag aufgehalten hatten.

Scholz will Sofortmaßnahmen für die Industrie: Das Papier, das der Kanzler am Mittwoch in den Verhandlungen präsentiert hatte, knüpft zur Stärkung der Industrie an die Forderungen an, die vor einigen Wochen schon der SPD-Fraktionsvorstand aufgestellt hatte. Es geht zum einen um die Netzentgelte auf den Strompreis, zum anderen um die Förderung der Elektromobilität. Konkret will der Kanzler mit einem Bundeszuschuss von 1,3 Milliarden Euro die Übertragungsnetzentgelte auf dem aktuellen Niveau einfrieren. Zudem soll die Strompreiskompensation, mit der energieintensive Unternehmen die Kosten für CO2-Zertifikate ersetzt bekommen, auf weitere Branchen wie die Glas- und die Batteriezellenproduktion ausgeweitet werden. Auch der Kreis der Unternehmen, die nur reduzierte Netzentgelte zahlen müssen, soll erweitert werden.

Zur Stärkung der Autoindustrie schlägt das Kanzleramt in dem Papier ein 400-Millionen-Euro-Paket vor. Die Abschreibungsregeln für Unternehmen beim Kauf eines Elektroautos sollen gegenüber der Wachstumsinitiative nochmal verbessert werden. Die Befreiung von der Kfz-Steuer für Elektroautos soll mindestens bis zum Jahr 2030 verlängert werden. Die Strompreise an Ladesäulen sollen transparenter werden. Eine klassische Kaufprämie, wie es sie bis Ende vergangenen Jahres gab, steht nicht in dem Papier. In Brüssel will sich die Bundesregierung für eine Aussetzung der Bußgelder beim Reißen der Flottengrenzwerte einsetzen.

Die Abschreibungsregeln für Anschaffungen von Unternehmen (degressive Afa) sollen weiter verbessert werden, statt 25 Prozent ist nun ein Satz von 30 Prozent im Gespräch. Auch Habecks Vorschlag einer Investitionsprämie findet sich wieder – mit Verweis auf EU-beihilferechtliche Gründe aber beschränkt auf Investitionen in die Energieeffizienz.

Das vom Kanzleramt verfasste Papier listet auch etliche Punkte zur Bürokratieentlastung auf, etwa die Entschlackung des deutschen Lieferkettengesetzes. In den Koalitionsturbulenzen auf der Strecke bleiben könnten die geplanten Erleichterungen für mehr den Bau neuer Wohnungen und die Reformen von Karl Lauterbach (SPD). Die vom Bundestag bereits beschlossene Klinikreform wird der Bundesrat in den Vermittlungsausschuss schicken, zur Reform der Pflegeversicherung gibt es bislang nicht mal einen Entwurf.