Was formen die Sanktionen gegen Iran?
Die Siebzigerjahre waren für Iran Air eine goldene Zeit. Keine andere Fluggesellschaft der Welt, so hieß es damals, wachse so schnell wie sie. Zugleich war Iran Air eines der profitabelsten Unternehmen Persiens. Es gab Direktflüge von Teheran nach New York, was damals noch ungewöhnlich war. Die staatliche Fluggesellschaft hatte den Ehrgeiz, die iranische Hauptstadt zu einem Drehkreuz zwischen Ost und West zu machen. Der Erfolg hatte einen Namen: Ali Mohammad Khademi. Der Geschäftsführer gehörte der religiösen Minderheit der Bahai an. Leute wie er dürfen heute im Iran nicht einmal studieren. Wenige Monate vor der Islamischen Revolution von 1979 wurde Khademi ermordet.
Die Geschicke von Iran Air sind eng verknüpft mit der jüngeren Wirtschaftsgeschichte des Landes. Es ist eine Geschichte der Sanktionen – und der Versuche, deren Wirkung zu unterlaufen. Erst kürzlich musste die Fluggesellschaft alle Flüge nach Europa einstellen, weil die Europäische Union das Unternehmen auf eine Sanktionsliste gesetzt hat. Auf diese Weise sollte das iranische Regime dafür bestraft werden, dass es ballistische Kurzstreckenraketen nach Russland geliefert hat, die Moskau in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine gut gebrauchen kann.
Die EU begründete die Bestrafung von Iran Air damit, dass die Fluggesellschaft zwar nicht die Raketen, aber Drohnen nach Russland transportiert habe. Es gibt aber noch einen Grund: Es gibt kaum noch Unternehmen in Iran, deren Bestrafung Sinn ergibt. Iran ist das am meisten sanktionierte Land der Welt. Fast wöchentlich kommen neue Maßnahmen hinzu. Ob sie überhaupt noch Wirkung zeigen, wird nur selten gefragt.
Die Sanktionen haben eine neue Wirtschaftselite hervorgebracht
Die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen gestand im vergangenen Jahr ein, dass die Sanktionen das Verhalten des Regimes viel weniger verändert haben, „als wir es uns wünschen würden“. 25 Jahre nach dem Beginn der Strafmaßnahmen gegen die Islamische Republik ist das Land näher an einer Atombombe als je zuvor. Es schreckt nicht mehr davor zurück, Israel direkt zu bombardieren, und zeigt keine Bereitschaft, seine Unterstützung für israelfeindliche Milizen wie Hamas und Hizbullah einzuschränken. Inzwischen bedroht die iranische Politik auch Europa, weil Teheran Russland mit Waffen versorgt. Auch die wegen der Menschenrechtsverletzungen verhängten Strafen haben die Brutalität des Regimes nicht gezügelt, wie sich aktuell an der Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd zeigt. Womöglich ist gar das Gegenteil der Fall.
Der Wirtschaftswissenschaftler Mohammad Reza Farzanegan von der Philipps-Universität in Marburg meint, dass die Sanktionen die Herrscher in Teheran gestärkt haben. „Die Mittelschicht wird unter Sanktionen schwächer und rutscht in die Armut.“ Sie habe ihre finanziellen Grundlagen verloren, die sie brauche, um Druck auf den Staat auszuüben. Stattdessen wurden immer mehr Iraner abhängig von staatlichen Transferleistungen.
Die Sanktionen haben eine neue Wirtschaftselite hervorgebracht, die von ihren Verbindungen zur Revolutionsgarde und zum Büro des Obersten Führers Ali Khamenei profitiert. Ihre Geschäfte florieren im Dunkeln. Sie betreibt Tarnfirmen, dominiert den Schwarzmarkt, schmuggelt und erkauft sich die Gunst der Mächtigen mit Korruption. Sie bildet eine mächtige Lobby, die gegen Bemühungen angeht, Sanktionserleichterungen zu erwirken. „Sanktionen haben den Staat gezwungen, weniger transparent zu werden“, sagt Farzanegan.
Auch ein aktuelles Buch mit dem Titel „Wie Sanktionen wirken“ kommt zu dem Schluss, dass sie im Fall Irans inzwischen „wirkungslos“ seien. „Iran ist infolge der erhöhten Sanktionen zu einem aggressiveren Staat geworden“, heißt es dort.
Und das Atomabkommen?
Das war nicht immer so. Sanktionen hatten einen erheblichen Anteil daran, dass Iran 2015 bereit war, ein Abkommen zur Begrenzung seines Atomprogramms zu unterzeichnen. Zuvor hatte der US-Präsident Barack Obama das Land mit heftigen Strafmaßnahmen überzogen. Er verhängte ein Ölembargo, ließ ausländische Reserven der Zentralbank einfrieren und sorgte dafür, dass Irans Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgekoppelt wurden. „Das war ein großer wirtschaftlicher Schock für Iran“, sagt Farzanegan. Die Ölexporte, die ein Drittel zu den Staatseinnahmen beitrugen, halbierten sich innerhalb von zwei Jahren. Die Landeswährung Rial verlor zwei Drittel ihres Wertes gegenüber dem Dollar. Die Inflation stieg erstmals seit den Neunzigerjahren auf mehr als 40 Prozent. Das Wirtschaftsvolumen schrumpfte zwischen 2010 und 2012 um 17 Prozent.
Die Rezession erhöhte den politischen Druck auf die Führung in Teheran. Bei den Präsidentenwahlen 2013 gewann Hassan Rouhani mit dem Versprechen, eine Einigung mit dem Westen zu erzielen. Zwar sind Wahlen in Iran alles andere als demokratisch. Aber die Unterstützung für Rouhani war echt. Der Oberste Führer gab seinem Unterhändler ein Verhandlungsmandat und begründete den Kurswechsel mit „heldenhafter Flexibilität“. Dass Obamas Sanktionen wirkten, erklären die Autoren des genannten Buches mit zwei Faktoren: Der Präsident habe klarstellt, dass er keinen Regimewechsel anstrebe. Und er habe eine klare Belohnung für eine Verhaltensänderung Irans in Aussicht gestellt.
Die offensichtliche Wirksamkeit der Sanktionen war aber auch das Hauptargument der Kritiker des Atomabkommens. Die amerikanischen Republikaner argumentierten, dass Obama den Druck auf Iran zu früh gelockert habe. Er habe das Abkommen ohne Not auf das Atomprogramm beschränkt und Irans israelfeindliche Regionalpolitik, die Bewaffnung und Finanzierung von Hamas und Hizbullah, ausgeklammert.
Nur ein Dutzend der Maschinen wurde geliefert
Allerdings fiel die Belohnung für die Beschränkung des Atomprogramms geringer aus, als Iran sich erhofft hatte. Zwar stieg die Ölproduktion von zwei auf 3,85 Millionen Barrel pro Tag an. Die Inflation sank im Dezember 2016 auf acht Prozent. Und das Bruttoinlandsprodukt wuchs in dem Jahr um fast neun Prozent. Doch die meisten Banken waren weiterhin nicht bereit, Geschäfte mit Iran zu ermöglichen. Das Netz aus Sanktionen, das über drei Jahrzehnte gesponnen wurde, war so unübersichtlich, dass die Banken befürchteten, unwillentlich gegen weiter bestehende Regelungen zu verstoßen und sich Milliardenstrafen einzuhandeln. So wie BNP Paribas, die 2014 fast neun Milliarden Dollar zahlte. Das amerikanische Finanzministerium schickte ranghohe Vertreter nach Europa, um die Banken zu überzeugen. Der Rechtsvorstand der HSBC lehnte das mit den Worten ab: „Regierungen können Sanktionen aufheben, aber der Privatsektor ist noch immer dafür verantwortlich, seine eigenen Risiken zu managen.“
Wie sich zeigte, waren die Zweifel berechtigt. Unter Donald Trump stiegen die Vereinigten Staaten schon drei Jahre später aus dem Atomabkommen aus. Die Folgen lassen sich auch an Iran Air zeigen. Gemeinsam mit anderen Fluglinien hatte das Unternehmen direkt nach der Unterzeichnung des Atomabkommens 300 neue Flugzeuge geordert. Die Deals waren symbolisch wichtig. Denn bis dahin waren ihre Möglichkeiten, ihre Flotten zu modernisieren wegen der Sanktionen über Jahrzehnte stark eingeschränkt. Die Sicherheit des Flugverkehrs im Land war massiv beeinträchtigt.
Doch nur ein gutes Dutzend der Maschinen wurde geliefert, bevor Trump die ausgesetzten Sanktionen wieder einführte und weitere hinzufügte. „Politik des maximalen Drucks“ nannte er das. Er wollte einen „besseren Deal“. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft waren abermals verheerend. Die Rohölexporte sanken 2020 auf ein historisches Tief. Die EU trug die Sanktionen nicht mit. Stattdessen traten sie eine Debatte über die Kehrseite der amerikanischen Dominanz auf den Finanzmärkten los. Nun bekamen sie auch die Verbündeten der USA in Form von Sekundärsanktionen zu spüren.
Trumps Sanktionen trugen aber mit dazu bei, dass es in Iran 2018 und 2019 nach einer Benzinpreiserhöhung zu monatelangen Ausschreitungen kam. Anders als seine Vorgänger versäumte Präsident Rouhani, die Folgen der Erhöhungen durch Geldtransfers an die Ärmsten abzufedern. Dabei gehören sie zu den wichtigsten Unterstützern des Regimes.
Mit Joe Biden nahmen die Spannungen zunächst ab
Die Regierung Trump sah sich bestätigt. Außenminister Mike Pompeo sprach offen von Regimewechsel. Die Führung in Teheran sah ihre Macht bedroht und sah keine Anreize für ein Nachgeben. Sie folgerte, dass nur eine Position der Stärke zu einer Lockerung der Sanktionen führen würde. Die versuchte sie zu erreichen, indem sie den USA wirtschaftliche Schmerzen zufügte. Übergriffe auf Tankschiffe und Angriffe auf saudische Ölanlagen sollten den internationalen Ölpreis hochtreiben. Für Letzteres übernahmen zwar die Huthi-Rebellen im Jemen die Verantwortung, doch Geheimdienste beschuldigen Teheran. „Die zunehmende Isolation und die steigenden Sicherheitsbedenken wegen der radikalen Politik der Trump-Administration, inklusive der Ermordung von General Soleimani, haben den Iran dazu motiviert, mehr in seine Stellvertreter im Nahen Osten zu investieren und sich Russland und China anzunähern“, sagt Farzanegan.
Mit der Amtsübernahme Joe Bidens nahmen die Spannungen zunächst ab. Zwar hat Biden die meisten Sanktionen beibehalten, aber bei der Implementierung zwei Augen zugedrückt. So ist es zu erklären, dass die Ölexporte inzwischen wieder fast das Niveau aus der Zeit des Atomabkommens erreicht haben. Sie gehen fast vollständig nach China, das sich über hohe Preisnachlässe freuen kann.
Die Euphorie der ersten Monate nach dem Abschluss des Atomabkommens ist längst in Zynismus umgeschlagen. Über die Jahre habe die Bevölkerung sich an die Folgen der Sanktionen „gewöhnt“, sagt Farzanegan. „Sie haben ihre Erwartungen angepasst.“ Eine Mehrheit der Iraner kennt kein Leben ohne Sanktionen.
Die iranische Regierungspropaganda betont die humanitären Folgen der Sanktionen und versucht, die Schuld dafür dem Westen zuzuschieben. Zwar sind Medizinprodukte offiziell von Strafmaßnahmen ausgenommen. Doch der Währungsverfall hat Importe von Medikamenten und Vorprodukten so sehr verteuert, dass sie für viele Iraner unerschwinglich geworden sind. Die für das Thema zuständige Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen, Alena Douhan, kam 2022 zu dem Schluss, dass Sanktionen die humanitäre Lage in Iran „substanziell verschlimmert“ hätten.
Die meisten Iraner suchen die Schuld dafür aber offenbar nicht beim Westen. In einer Umfrage von Iranpoll von 2021 nannte die Hälfte der Befragten Missmanagement als Hauptgrund für die wirtschaftliche Krise. Nur 27 Prozent machten die Sanktionen verantwortlich. Und in einer aktuellen Studie der Beratungsfirma Statis sehen 78 Prozent der befragten Iraner die Außenpolitik ihres Landes als Grund für die wirtschaftliche Krise an. Die Hoffnung, dass es in naher Zukunft zu Sanktionslockerungen kommen könnte, haben die meisten Iraner wohl längst aufgegeben. Stattdessen plagt sie nun die Sorge, welche Folgen ein möglicher Krieg mit Israel haben könnte.
Und Iran Air? Das Unternehmen hat tägliche Flüge nach Istanbul eingerichtet, um den Verlust der Strecken nach Hamburg, Rom und Paris abzufedern. Die türkische Finanzmetropole ist jetzt das Drehkreuz zwischen Ost und West, von dem Teheran einst träumte.