„Was du kriegen kannst“: Nimm dich in Acht vor jener schönen Frau an jener Bar
Wie man sich bettet, so liegt man. Das sang schon Lotte Lenya, und auch Uta, die Hauptfigur in Clemens Boeckmanns neuem Roman Was du kriegen kannst, würde da wohl zustimmen. Als junge Frau in der DDR ist sie als Sexarbeiterin und Spionin für die Stasi tätig. Im normalen Leben alleinerziehende Mutter und Verkäuferin in einem Möbelgeschäft, im zweiten Leben IM Anna. IM Anna reißt auf der Leipziger Buchmesse Männer auf, bespitzelt sie und berichtet der Staatssicherheit über ihre Erkenntnisse.
Sie bekommt Geschenke, schwarze Seidenstrümpfe, Schmuck, und sie wird bezahlt, von den Männern und von der Stasi. Sie kehrt von einer Woche in dieser Arbeit reich beladen zurück: „Stapel an Geldscheinen, in Währungen, die sie noch nie zuvor gesehen hat, D-Mark, Kronen und Dollars, umgerechnet und zusammengezählt mehr, als sie in sechs Wochen im Möbelgeschäft verdient.“ schreibt Boeckmann. „Sie betrachtet die Gegenstände, für einige Augenblicke neben ihnen auf dem Bett liegend, und beginnt sie dann einzeln in dafür nicht vorgesehenen, ausgemusterten Socken zu verstauen, die sie nacheinander im hinteren Bereich ihres Kleiderschranks verwahrt. Die Geldscheine sortiert sie nach Währungen.“
Clemens Boeckmann erzählt Utas Geschichte aus drei unterschiedlichen Perspektiven. Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten, die der Autor literarisiert, ohne ihr Wesen zu verfremden. Die erste Perspektive ist Utas eigene Darstellung, von der sie ihm in verschiedenen Treffen berichtet: „Du musst schreiben, wie die Leute reden“, rät sie dem Erzähler: „So etwas lesen die Leute gerne.“ Durchflochten sind diese Abschnitte mit der Sicht des Chronisten. Der Prozess der Romanwerdung ist Bestandteil des Romans, und der Erzähler schildert sein Kennenlernen mit Uta, auch seine Zweifel. „Beim Lesen unserer Gespräche bleibe ich an meinen eigenen Sätzen hängen, die sich wie selbstverständlich in Utas Erzählungen eingefügt haben“, notiert er. Der dritte und wohl ernüchterndste Blickwinkel ist jener der Stasi. Deren Sätze sind mit schwarzen Balken durchsetzt, ausgestrichene Kollegen finden sich in ihnen oder nebenbei erwähnte Schicksalsschläge.
Uta wird von dem Staatsorgan von Anfang an auf ihre Nützlichkeit hin seziert. Später kommen ihre Berichte dazu, Listen von Männern, Adressen, Geheimnisse. Manchmal unterscheiden sich diese drei Erzählungen, werden widersprüchlich, finden dann wieder zusammen. Es ist ein faszinierendes, bedrückendes Leseerlebnis, weil der Autor nie der Versuchung erliegt, Utas Los zu verherrlichen, einen Thriller daraus zu machen oder eine moralische Fabel. Die schwarzen Balken holen einen immer wieder unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Uta ist zugleich Täter und Opfer, wenn sie ihre Geldbündel in aussortierte Socken einsortiert. Wie man sich bettet, so liegt man, aber nicht immer ist ein Bett so weich oder hart, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Clemens Böckmann: Was du kriegen kannst. Roman; Hanser, München 2024; 416 S., 24,– €, als E-Book 17,99 €