Warum sich neue Schulden wie Bärendienst zum Besten von die Verteidigungsfähigkeit erweisen könnten

Deutschland und die EU haben bei den Verteidigungsausgaben Nachholbedarf. Es wäre aber falsch zu suggerieren, dass neue Schulden dafür der einzig richtige Weg wären, schreiben die Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld und Wolf Reuter. Andere EU-Länder machen vor, wie es ohne geht.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz schlug EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor, eine Ausnahmeregel des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) zu aktivieren, um höhere Verteidigungsausgaben über zusätzliche Schulden zu finanzieren.
Olaf Scholz fordert zum gleichen Zweck eine Reform des SWP sowie der Schuldenbremse. Robert Habeck und Friedrich Merz scheinen dafür ebenfalls offen zu sein. Deutschland und die Europäische Union (EU) müssen bedeutend mehr tun, um umfassend verteidigungsfähig zu sein. Landesverteidigung ist eine zentrale Kernaufgabe des Staates.
Sie wurde jedoch über viele Jahre vernachlässigt; die Verteidigungsausgaben wurden vor allem zugunsten sozialer Wohltaten reduziert. Nun führen der Angriffskrieg Russlands und die neue Regierung in den USA der EU, insbesondere Deutschland, vor Augen, wie groß der Nachholbedarf ist.
Nicht nur kurzfristig – in den kommenden Jahrzehnten müssen Deutschland und die EU mehr für Verteidigung ausgeben. Es handelt sich nicht um eine einmalige Aufrüstung, sondern um eine langfristige strategische Notwendigkeit. Kommende Generationen werden ebenso Panzer und Soldaten finanzieren müssen, um die Verteidigungsfähigkeit sicherzustellen. Werden diese Ausgaben jedoch heute zu großen Teilen durch Schulden finanziert, stehen der kommenden Generation weniger fiskalische Ressourcen zur Verfügung.
Militär alleine reicht nicht aus zur Verteidigungsfähigkeit
Zur Verteidigungsfähigkeit gehören neben den militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr insbesondere eine wachsende und widerstandsfähige Wirtschaft sowie eine uneingeschränkte fiskalische Handlungsfähigkeit.
In der EU sind einige Mitgliedstaaten so hoch verschuldet, dass – wie während der Pandemie sichtbar wurde – ihre fiskalische Handlungsfähigkeit bereits heute eingeschränkt ist. Eine Aufweichung der europäischen und deutschen Fiskalregeln könnte zusammen mit einer zusätzlichen Schuldenaufnahme das Vertrauen der Finanzmärkte beeinträchtigen.
Die Zinsen würden steigen. Im schlimmsten Fall droht eine neuerliche Staatsschuldenkrise. Damit wäre der Verteidigungsfähigkeit ein Bärendienst erwiesen.
Andere EU-Mitgliedstaaten zeigen, dass höhere Verteidigungsausgaben ohne zusätzliche Verschuldung möglich sind und eine niedrige Staatsverschuldung einen Teil der Verteidigungsfähigkeit ausmacht. Im Jahr 2024 gaben zehn EU-Mitgliedstaaten relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) mehr für Verteidigung aus als Deutschland: Polen, Estland, Lettland, Griechenland, Litauen, Finnland, Dänemark, Rumänien, Bulgarien und Schweden. Bis auf Griechenland und Finnland liegt die Schuldenquote all dieser Länder (teilweise weit) unter 60 Prozent des BIP.
Bundeshaushalt braucht eine konsequente Priorisierung
Erforderlich ist eine nachhaltige Änderung der Struktur des Bundeshaushalts. Dafür braucht es tief greifende Strukturreformen und eine konsequente Priorisierung. Bestehende Vorbindungen im Haushalt und die Dauer sorgfältig durchzuführender Gesetzgebungsverfahren führen dazu, dass ein Teil der Einsparungen nicht sofort genutzt werden kann. Zur Überbrückung stehen im Sondervermögen Bundeswehr Kreditermächtigungen zur Verfügung, die gegebenenfalls vorgezogen werden können.
Allerdings zeigt nicht zuletzt der schleppende Mittelabfluss im Sondervermögen, dass eine sprunghafte Erhöhung der Verteidigungsausgaben von heute auf morgen nicht sinnvoll ist. Die Kapazitäten der Rüstungsindustrie sowie die administrativen Verfahren erfordern Zeit, um sich an die neue Nachfrage anzupassen. Es muss vermieden werden, dass zwar mehr Geld ausgegeben wird, aber lediglich die gleiche Anzahl an Panzern zu höheren Preisen beschafft wird.
Der Nachholbedarf besteht nicht zuletzt mit Blick auf die Effizienz, also wie viel Verteidigungsfähigkeit Deutschland pro eingesetzten Euro erhält. Eine Studie des GIDS, einer Denkfabrik der Bundeswehr, zeigt eine um 40 Prozent niedrigere Effizienz in Deutschland im Vergleich zum Durchschnitt anderer europäischer Staaten.
Noch viel mehr gilt es, die Effizienz auf europäischer Ebene zu steigern. So könnten etwa eine europäisch koordinierte Beschaffung sowie Forschung und Entwicklung erhebliche Einsparungen durch Skaleneffekte erzielen.
Landesverteidigung durch laufende Steuereinnahmen finanzieren
Landesverteidigung ist eine Kernaufgabe des Staates, die in allererster Linie durch laufende Steuereinnahmen finanziert werden muss. Eine Lockerung der Fiskalregeln führt nur dazu, dass weniger dringende Dinge finanziert werden. Ein leuchtendes Beispiel ist der italienische Super-Bonus zur energetischen Gebäudesanierung, der während der Corona-Krise mit der Lockerung der EU-Fiskalregeln möglich wurde.
Dies belastet den italienischen Staat mit zwölf Prozent des BIP ohne nachhaltige Effekte für das Klima. Im aktuellen deutschen Wahlkampf gibt es zahlreiche Vorschläge für Ausgaben, die keinesfalls über Umwege durch Schulden finanziert werden sollten.
Die Stärkung der Bundeswehr sowie die Steigerung der Widerstandsfähigkeit der EU sind dringend geboten. Ohne Anstrengung und Reformen wird es diese jedoch nicht geben.
Der in den vergangenen Jahren massiv ausgebaute Sozialstaat, ineffiziente Subventionen und eine wachsende Verwaltung müssen hintanstehen. Gänzlich falsch ist es zu suggerieren, eine Finanzierung über Schulden hätte keine Kosten und wäre daher der einzig gangbare Weg.
Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik und Leiter des ordoliberalen Walter Eucken Instituts in Freiburg. 2011 wurde Feld in den Rat der Wirtschaftsweisen berufen, dem er zehn Jahre angehörte, zuletzt als Vorsitzender. Während der Ampel-Regierung war er persönlicher Wirtschaftsberater des damaligen Finanzministers Christian Lindner (FDP).
Wolf Reuter war Generalsekretär des Rates der Wirtschaftsweisen, bevor er im Frühjahr 2022 ins Bundesfinanzministerium wechselte. Dort leitete er zunächst die Abteilung für finanzpolitische und volkswirtschaftliche Grundsatzfragen. Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts machte ihn der damalige Finanzminister Christian Lindner (FDP) Anfang 2024 zu seinem Haushaltsstaatssekretär.
Source: welt.de