Warum Ikkimel rappen kann, welches Konstantin Wecker nie hätte singen die Erlaubnis haben
Ikkimel und Konstantin Wecker haben etwas gemeinsam: Die sexualisierte Darstellung von Frauen. Es hat nichts mit Doppelmoral zu tun, Ikkimel für etwas zu feiern, das bei Wecker kritisiert werden muss
Na, wer hat Bock dieses Bild zu sexualisieren?
Cover: Four Music
Seit 2023 rappt Ikkimel „über Fotzen und bringt sie in die Charts“ – um im Ikkimel-Ton zu bleiben. Und seitdem beschweren sich einige (Männer) darüber, Feministinnen hätten eine unverschämte Doppelmoral. Egal was Ikkimel tut, irgendwo taucht immer ein Typ auf, der kommentieren muss, wie groß doch das feministische Theater wäre, wäre die Sache andersrum.
Andersrum in dem Fall heißt: Wenn Ikkimel ein Mann wäre und statt eines Mannes mit Hundemaske eine Frau auf der Bühne in einen Käfig steckt. Oder wenn ein Mann Zeilen rappen würde wie: „Bettel mich nicht an du Wurm, sonst ist mein Fuß in dei’m Gesicht/ Was ich dir zu sagen hab, ist ich Frau du Nichts“ oder „Ich brauch keinen Macker, ich brauch mindestens zehn/ Die soll’n gefälligst ackern, kochen, putzen und mich eincrem’n/ Und sich mal schön benehm’n, sonst gibt’s Schläge du Penner“. Klar, nett ist anders. Aber deshalb wird hier noch keineswegs mit zweierlei Maß gemessen.
Was diese Männer übersehen ist, dass es Ikkimel ist, die das „Andersrum“ ist. Als im November bekannt wurde, dass der bayerische Liedermacher Konstantin Wecker vor etwa 15 Jahren mit über 60 eine „Beziehung“ mit einem minderjährigen Mädchen hatte, richtete sich der Blick auch in dieser Zeitung auf seine Texte, aus denen ein zutiefst problematisches Bild von Frauen spricht. Weckers Frauen sind mädchenhaft, beinahe kindlich, Sexobjekte, die Männer genießen, während sie sie heimlich durch die Büsche beobachten.
Männer singen „Fotze“, Ikkimel antwortet: „Ja, bin ich. Und?“
Wecker ist alles andere als ein Einzelfall unter Musikern. Die Sexualisierung von Frauen und Mädchen ist fester Teil einer patriarchalen Gesellschaft und Musikindustrie. Wenn Männer über Gewalt gegen Frauen singen oder darüber rappen, wie sie Frauen und Mädchen sexuell ausbeuten, schreiben sie weiter, was überall passiert und verbreiten dadurch auch die Toleranz von Gewalt und Missbrauch weiter.
Und Ikkimel? Immerhin droht sie Kerlen in ihren Texten ja konkret mit Gewalt, wenn diese nicht spuren. Es wäre der Rapperin gegenüber ziemlich unfair, zu behaupten, sie dürfe dies aus dem einzigen Grund, dass sie als Frau damit automatisch die patriarchalen Machtstrukturen umdreht, die Männer in ihren Liedtexten aufrechterhalten. Obwohl das natürlich auch zutrifft: Ikkimels Songs haben eine sehr andere Wirkung, weil sexualisierte Gewalt gegen hetero-cis Männer in patriarchalen Gesellschaften eben nicht die Norm ist und ihre Gewaltandrohung damit gesellschaftlich nahezu wirkungslos bleibt.
Trotzdem macht Ikkimel mehr als nur patriarchale Gewaltmuster umzudrehen. Ihre Musik ist vor allem eins: weibliche Selbstermächtigung. Regelmäßig werden Songs von Männern veröffentlicht, in denen Frauen als „Hure“ oder „Schlampe“ bezeichnet werden, um sie für ihre Sexualität zu degradieren. Ikkimel antwortet darauf, indem sie sich selbst als Fotze bezeichnet und selbstbewusst sagt ja, „ich habe alles gefickt“.
Sie sexualisiert sich selbst, trägt in nahezu jedem Video Outfits, die aus ultraknappen Bikinis bestehen, räkelt sich auf dem Boden und wirft der Kamera laszive Wimpernaufschläge zu. In Kombination mit Texten, in denen Männer der devote Sexpartner sind, Ikkimel sie auffordert, ihr die Eier zu lecken und Arschloch zu geben, sieht wohl keiner der Männer, die sonst sexualisierte Texte über unterwürfige Frauen schreiben, ihr gerne dabei zu, wie sie ihre Brüste in die Kamera hält. Diese Männer wollen der aktive Part sein, Ikkimel verwehrt ihnen diesen und zwingt sie in eine passive Rolle.
Warum Ikkimels Texte funktionieren
Sie kehrt patriarchale Erzählungen von Frauen um, indem sie diese vollkommen auf die Spitze treibt und damit ins Lächerliche zieht. In „Drei Fotzen mit ’nem Bombenarsch“ rappt sie: „Ich kann kein Auto fahr’n und überfahre nur Männer“. Durch diese Übertreibung sind nicht wenige ihrer Songs auch voller humoristischer Pointen, wie etwa in „Böser Junge“: „Ich bin ’ne Granate/ sei froh, dass ich dich knechte/ Ab in deine Ecke/ Frauchen ist die Beste/ Männer sind so peinlich, warum sind nicht alle Ikkimel?“ Alles gerappt in einem etwas zu süßen Tonfall. Ikkimel ist studierte Linguistin. Ihre Texte werden regelmäßig – auch von Linguistik-Professoren und Deutschlehrern – auf TikTok, Instagram und YouTube analysiert.
Für viele, insbesondere junge, Feministinnen funktionieren Ikkimels Songs aber auch, weil sie sich immer wieder in aktuelle Diskurse einordnet, in denen Frauen von Männern sexualisiert oder für ihre Sexualität degradiert werden. In ihrem neuesten Song „Giftmord“ reagiert sie konkret auf einen Podcast, in dem ein Mann Frauen unterstellt, sie seien „hinterhältigere Wesen“, weil ihnen die Kraft fehle, sich körperlich zu wehren. Darauf antwortet Ikkimel „Unsre Waffe heißt Giftmord/ Ermorde den Hur’nsohn wenn er grade nicht hinschaut“ und überlegt ausführlich, wie sie den „Stecher“ möglichst loswird, ohne sich „die Finger krumm“ zu machen.
Die Line „Nach sieben Wodka-Soda weiß ich nicht mehr wie ich heiße/ Aber du schon/ Du Hur’nsohn“ aus „Who’s That“ wurde auf TikTok von zahllosen jungen Frauen und Männern genutzt, um genau das Verhalten von älteren Männern wie Konstantin Wecker anzuprangern, die deutlich jüngere Mädchen manipulieren.
Die Reaktionen auf Ikkimels Musik und den Vorwurf der Doppelmoral an ihre Hörerinnen hat sie auf demselben Song gekontert: „Ich kann machen, was ich möchte, weil ich bin eine Frau“. Eine Behauptung, die auf männliche Influencer und die Incel-Community zurückgeht. Ihnen zufolge hätten Frauen deutlich mehr gesellschaftliche Privilegien als Männer, könnten also, nur weil sie Frauen sind, machen was sie möchten. Anders als Männer, die für ganz normale Dinge – wie Frauen zu sexualisieren – kritisiert würden.
Gerade Ikkimel als Popfigur zeigt, wie wenig das stimmt. Denn sie macht, was sie möchte (insbesondere sexuell) und wird dafür massiv angegriffen – vor allem von Männern. Aber wenn es um ihre eigene Sexualisierung als Frau geht, stimmt es. Sie kann das in ihren Songs machen, weil sie eine Frau ist. Männer wie Konstantin Wecker sollten sich eine Scheibe davon abschneiden und statt junge Frauen und Mädchen zu sexualisieren, das mal bei sich selbst versuchen.